Noch ein Kunstwerk: „Privileged Points“ (Beliebte Stellen) ist der Titel des von der Künstlerin Nairy Baghramian geschaffenen Werks vor dem Erbdrostehof, dessen zweiter Teil auf dem Hinterhof des Gebäudes …
… so aussieht. Tja, was kann das sein? Unsere Fremdenführerin hatte folgenden Vorschlag: Auf dem ersten Foto ist ein überdimensionaler runder und in Bronze eingefrorener Pinselstrich zu sehen, eine malerische Geste, übersetzt ins Dreidimensionale.
Und warum ist die Skulptur dreigeteilt? Das hat mit dem Ort zu tun: Der Erbdrostehof ist ein barockes Palais aus demJahre 1757, die Münsteraner sind total stolz darauf, ein solches Gebäude zu haben (ein Drost war seit dem späten Mittelalter ein mächtiger Beamter, der für einen bestimmten Bezirk den Landesherren vertrat; er war militärischer Oberbefehlshaber, Polizeichef und Richter in einer Person). Wenn nun ein moderner Künstler vor dem Gebäude eine zeitlang eins seiner Kunstwerke ausstellt: Okay, aber dann muß es auch wieder weg. Daß die Künstler der „Skulptur.Projekte“ dazu aufgefordert werden, einen Münsterbezug in ihrem Werk auszudrücken, es aber gleichzeitig ausgeschlossen ist, daß ein Werk, das in der Nähe des Erbdrostehofs steht, von der Stadt gekauft wird, führte bei Künstlern in der Vergangenheit nicht nur zu Umut, sondern auch zu einer Wertminderung des jeweiligen Kunstwerkes, so geschehen mit der Skulptur von Richard Serra 1987 – hier ist es zu sehen. Richard Serras riesige Stahlplatten sind in vielen Städten zu sehen. In denen von 1987 hatte er nach eigener Aussage die Maße der Architektur des Palais aufgegriffen – woanders aufgestellt verlieren sie – zumindest teilweise – ihren Sinn. Wie gesagt, in Münster wollte man den Platz vor dem Gebäude nicht dauerhaft „verschandeln“, also wurden sie nach der Ausstellung auch nicht gekauft, und Richard Serra zog ein langes Gesicht. Und aus genau diesem Grund ist das Werk von Baghramian dreigeteilt – die drei Teile sind nur deswegen noch nicht zusammengefügt, damit sich die Skulptur auch für andere Plätze eignet. Und aus den sechs Stücken, die im Hinterhof lagern, könnte man nochmal zwei solcher Werke zusammensetzen. Die Künstlerin thematisiert und kritisiert damit den Umgang der Stadt mit diesem Platz und den Künstlern, die, wenn sie ihn als Ausstellungsort wählen, sicher sein können, daß ihr Werk nicht angekauft wird. Mit der Wahl dieses – eigentlich attraktiven – Standortes wird der Künstler von vornherein ausgeschlossen.
Das führt zu einer paradoxen Situation: Die Unfertigkeit ist Teil dieser Skulptur. Aber was, wenn die Teile nach der Ausstellung tatsächlich zusammengeschweißt werden? Dann ginge dieser ganz spezielle Münsterbezug zum Umgang mit diesem Platz verloren. Sollte Münster die Skulptur also kaufen (ich glaube ja nicht daran), müßte sie immer in diesem unfertigen Zustand bleiben, wird sie woanders hin verkauft, geht ein großer Teil der Werkbedeutung verloren.
Und wo ist hier das Kunstwerk? Es hängt in der Luft. Rechts ist die ruinöse Fassade des alten, im 2. WK zerstörten Theaters zu sehen, links das neue Theater aus den 50er Jahren. Man fand das damals schick, das so stehen zu lassen. Künstler aus der Gruppe CAMP spannten nun Kabel zwischen Ruine und Neubau und nennen es „Matrix“. Zitat aus dem Katalog: „Das von CAMP gespannte Netz steht sinnbildlich für eine globale Vernetzung und das bis heute nicht eingelöste Versprechen einer flächendeckenden, horizontalen, basisdemokratischen Partizipation […] CAMP metaphorisiert Systeme der Teilhabe: Vom Zugang zu Strom – der sich heute nahezu überall in privater Hand befindet – bis hin zur digitalen Kommunikation und den Möglichkeiten der Manipulation, die darin liegen […] Woran sind die Ideale von basisdemokratischer, horizontaler Gleichberechtigung und Teilnahme gescheitert, und welche Wege und vertikale Abkürzungen gibt es, sich trotz allem Zugang zum System zu verschaffen?“ (Katalog, S. 159)
Die Künstler geben drei Beispiele der Partizipation und Interaktivität, die die Unterdrückungsmechanismen einer kapitalistisch unkontroll : Es hängen drei Kabel mit Druckknöpfen herunter. Drückt man auf den ersten, ertönt ein Glockenklang wie von einer Kirchenglocke; der zweite verursacht einen Wechsel von historischen Fotos in einem Monitor, drückt man den dritten, passiert in dem Fenster eines gegenüberliegenden Hauses eine der folgenden Aktionen:
Lustig. Ob das wirklich alle sind, weiß ich nicht. Unsere Fremdenführerin versicherte, daß man niemanden dauernd aufscheucht, wenn man auf den Knopf drückt, sondern nur einen Projektor anwirft.
Als letztes noch diese Skulptur – die aber gar nicht Teil der Ausstellung ist. Im Moment ist ja das Luther-Jahr, und offensichtlich durfte irgendeine Jugendgruppe sich austoben – die Evangelen sind ja ach-so-tolerant. Ein Jugendlicher muß aber was falsch behalten haben aus dem Konfirmandenunterricht: Luther soll gesagt haben: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“, und nicht …
… „Ich hatte einen Ständer“. Gut, kleine Verwechslung, kann ja mal passieren.