Berliner Eindrücke (2)

Zeit im Fluß: Im Europa-Center an der Tauentzienstr. ist eine große Wasseruhr zu besichtigen. Durch kommunizierende Röhren fließt gefärbtes Wasser erst nach und nach in die 30 kleinen Kugeln auf der rechten Seite, die sich nach 60 Minuten in eine der zwölf großen Kugeln links ergießen – ergießen ist vielleicht nicht das richtige Wort, irgendwie wird das Wasser da hingeleitet. Preisfrage: Wie lange dauert es, bis eine kleine Kugel gefüllt ist?

Das Europa-Center ist ein Einkaufszentrum – über 70 Läden, Restaurants und Cafés – ohne jede Aufenthaltsqualität, also schnell raus hier.

Schon wieder Zeit. „Alles verzeiht am Ende die eine Macht, die Macht der Zeit“ – steht da gar nicht. „… verzehrt …“, verziehen wird gar nichts, sondern gefressen, oder wie?

Und was kommt dabei raus, hinten? Nicht nichts, das geht ja gar nicht, also was? Ich glaube, der Spruch ist Quatsch: Die Zeit hat keine Macht und verzehrt gar nichts und scheidet auch nichts aus, sie vergeht einfach. Daß wir älter werden und auch vergehen, dafür kann die Zeit nichts – ich fühle mich jedenfalls nicht von ihr beherrscht, im Gegenteil, wir gehen Hand in Hand.

Gestern und heute in der Architektur (von der Gedächtniskirche wird man wahrscheinlich noch in ein paar hundert Jahren reden, der Neubau wird vermutlich in nicht allzuferner Zeit wieder abgerissen): Zwei Kathedralen, eine für den staatlich geförderten Obskurantismus, eine für die staatlich geförderte ökonomische Ungleichheit.

Hier ist Anis Amri mit einem Laster auf den Weihnachtmarkt gebrettert, der Idiot. In Nordrhein-Westfalen versuchen besonders CDU und FDP, politisches Kapital aus dem Attentat zu schlagen – schließlich sind bald Wahlen – indem sie behaupten, der SPD-Innenminister sei dafür verantwortlich. Widerwärtig, abstoßend.

Was ist das für en häßliches Ungetüm? Ein Brunnen, ich finde, man sieht, daß er aus dem Osten kommt, er entspricht einer ganz typischen Ostästhetik, deren Eigenschaften man mal besonders untersuchen sollte.

Dahinten ist er, vor dem Kaufhof auf dem Alexanderplatz, der auch nur sehr wenig Aufenthaltsqualität hat.

Für eine Thüringer im Stehen reicht es wahrscheinlich immer. Das letzte Mal, als ich so einen „Grillrunner“ fotografiert habe, kostete die Wurst noch 1 Euro.

Das Kaufhaus mit dem sinnigen Namen Alexa schmückt sich mit einer ansprechenden Wanddeko, die an die Kunst der russischen Avantgarde erinnert – vielleicht etwas viel Anbiederung, denn das Kaufhaus ist erst ein paar Jahre alt und völlig überflüssig.

„Von dieser Stelle aus rief Karl Liebknecht am 1. Mai 1916 zum Kampf gegen den imperialistischen Krieg und für den Frieden auf“ – wofür er erst im Gefängnis landete und zusammen mit Rosa Luxemburg 1919 von Freicorps-Offizieren ermordet wurde. In der DDR wollte man ihm ein Denkmal errichten, doch über den Sockel hinaus ist man nicht gekommen, zumal er bald im Grenzbereich zu West-Berlin stand, am Potsdamer Platz.

Da steht er nun, umgeben von Zeugnissen des Kapitals.

Übrigens, der Schriftsteller Honoré de Balzac soll täglich 50 Tassen Kaffee getrunken haben – kein Wunder, daß er nicht älter als 51 geworden ist.

Gute Aussichten: Die Sonne scheint!

Fortsetzung folgt!

Berliner Eindrücke (1)

Die Berliner Verkehrbetriebe (BVG) duzen und lieben mich immer noch, jetzt schon seit einem Jahr. Es fällt mir schwer, diese Gefühle zu erwidern: Daß in Berlin keine Karnevalisten sind, ist genau der Grund, weshalb wir überhaupt hier sind, aber das ist kein Verdienst oder Gefallen der BVG. Als Liebesbeweis taugt das nicht viel. Wie wäre es mit einer Einladung zum Candle-light-Dinner? Freifahrtscheine? Was ist, wenn ich mal gerade kein Kleingeld habe, schwarz fahre und dabei erwischt werde? Schwamm drüber, nicht so schlimm, kann ja jedem mal passieren … in einer Liebesbeziehung sollte das möglich sein. Aber nichts da: Wo das Geld anfängt, da hört für die BVG die Liebe auf, her mit den 60 Ocken! Ich befürchte, die BVG sind (keine Heirats-, aber) Beziehungsschwindler.

Keine Karnevalisten also. Getrunken wird hier aber anscheinend trotzdem, und zwar nicht wenig, in den Redaktionsräumen der B.Z.

Dauerregen an den ersten beiden Tagen – gut, macht nichts, wir lassen es ruhig angehen und stöbern ein bißchen im Kulturkaufhaus Dussmann, wo man schon wieder umgebaut hat (die CDs stehen nun dort, wo vorher die Bücher standen, und umgekehrt, keine Ahnung, warum, es erscheint so sinnlos) …

… und ergattern einen Tisch im hauseigenen Café mit dem hängenden Garten.

Wenn es nicht so ungemütlich wäre, würden wir betimmt aussteigen, um noch einen Blick in die traditionsreiche Kreuzberger Buchhandlung „Kisch & Co.“ zu werfen, solange es sie noch gibt: Der Pachtvertrag ist abgelaufen, und die neuen Mieten sind so hoch, daß die Betreiber sie nicht mehr aufbringen können.

Das „Schweinesystem Kapitalismus“ und mit ihm die üblen Auswirkungen der Gentrifizierung sind hier in vollem Lauf (das halten weder Ochs noch Esel auf):

Das türkisfarbene Gebäude am anderen, sehr ruhigen Ende der Reichenberger Str. ist neu. Da finden nicht etwa einige der vielen Wohnungssuchenden ein neues Zuhause für angemessene Mieten, nein, das komplette Haus besteht aus Ferienwohnungen, nur im Erdgeschoß ist ein Restaurant mit gehobenen Preisen. Dem Besitzer des angrenzenden Gebäudes rotieren in Erwartung einer zahlungskräftigen Klientel die Eurozeichen in den Augen: Er hat die Miete für die französische Bäckerei „Filou“, die es hier schon seit 15 Jahren gibt, so stark erhöht, daß es einem Rauswurf gleichkommt – so eine dusselige Bäckerei, das bringt doch keine Kohle, da muß eine Bar rein oder sowas!  Die Aufregung im Kiez ist groß, zumal das nur zwei Beispiele sind für einen Trend – die Leute haben ganz einfach Angst, bezahlbaren Wohnraum zu verlieren. An der Demonstration, die an dem Samstag veranstaltet wurde, haben unerwartet 2.500 Leute teilgenommen.

Fortsetzung folgt.

Berliner Luft (6): Berlinische Galerie

Zwei Selbstbildnisse, beide vom selben Maler: Kein Mensch hat Max Beckmann wohl so oft als Modell gedient, wie er selbst. Zwischen den beiden Bildern liegt nicht nur der 1. Weltkrieg, sondern auch eine gewandelte Auffassung der Bildgestaltung – beides, so die allgemeine Ansicht, stehe durchaus in einem gewissen Zusammenhang.

Beckmann, 1884 geboren, war zu Beginn seiner Laufbahn ein konservativer Snob. 1904 bis 1914, also in seinen 20ern, machte er sich in Berlin, dem kulturellen Zentrum Deutschlands, schnell einen Namen. Seine Vorbilder waren Max Liebermann und Lovis Corinth, die in impressionistischer Weise malten, neuere Entwicklungen jedoch lehnte er als zu plakativ ab.

Franz Marc, wie hier zu sehen, die anderen deutschen Expressionisten, Kubisten wie Picasso, Fauvisten wie Matisse, Abstraktionisten wie Kandinsky, also alle, die heute als die herausragenden Künstler der klassischen Moderne gelten, riet er, in die Werbung zu gehen: „Warum machen die Leute nicht überhaupt einfach Zigarettenplakate?“

Ein Künstler jedoch wurde auch von ihm bewundert: Der Norweger Edvard Munch (1863-1944), der unter den Malern seiner Zeit schon zu Lebzeiten legendär war und als einer der Begründer moderner Malerei überhaupt angesehen werden kann. Oben rechts ist eine Trauergesellschaft dargestellt, eine Szene, die Beckmann von Munch übernommen hat. Links hängt zum Vergleich eine Tuschezeichnung von Munch zu folgendem, eigentlichen Referenzbild (das die Ausstellungsmacher sich wohl nicht ausleihen konnten), wie ich vermute :

Zu Edvard Munch gibt es folgende Anekdote:
1904, Beckmann war also 20 Jahre alt, wohnte er für kurze Zeit in Paris und besuchte ein Künstlercafé, in dem auch Munch verkehrte. Es schrieb in sein Tagebuch: „Hier in Cigarrenqualm, norwegisch sprechen, sich selbst und anderen teils interessant teils lächerlich vorkommend […] Der edle Munch, welcher mir gegenüber sitzt. Ja, ich möchte ihn gerne kennenlernen. Mein Herz sehnt sich nach Menschen, Menschen die auch leiden wie ich. Denn ich leide auch.“
Ein halbes Jahr später, in einem Brief an einen Freund, liest sich das dann so:
„Feiner Kerl was. So ziemlich mein Gegenfüßler, denn der arme Kerl plagt sich noch zu viel mit Menschenschmerzen und Menschenleid, na ja ich weiß er muß, aber trotzdem. Fertig, logisch, riecht ein bißchen zu sehr nach Medizin, beinahe Chloroform. Aber er ist anerkennungswert und ein ganz feiner Psychologe.“

Bis zum 1. WK hatte Beckmann einige schöne Erfolge, aber es blieb ihm natürlich nicht verborgen, daß sein Stern sank – die impressionistische Malerei war an ihr Ende gekommen zugunsten der neuen, abstrahierenderen Kunst.

Zum 1. WK eingezogen, arbeitete Beckmann als Sanitäter und erlitt angesichts der Gräuel bereits 1915 einen Nervenzusammenbruch – ungefähr zu der Zeit malte er eins der ersten Bilder in dem neuen Stil (Bild in der Mitte, ich hoffe, man kann es noch erkennen). Hier kommen also zwei Ereignisse zusammen: Die Schrecken des Krieges und die Erkenntnis, um des Erfolgs Willen künstlerisch neue Wege beschreiten zu müssen.

Erst ab jetzt entwickelte er seine ihm eigene unverwechselbare „Handschrift“, die ihn weltberühmt machen sollte. Bereits in den 20er Jahren war ein erfolgreicher und allseits anerkannter Künstler …

… dessen expressive Malweise und geheimnisvollen Bildthemen allerdings nicht in das Kunstbild der Nazis paßten. Viele seiner Werke hingen in der von den Nazis veranstalteten Schau „Entartete Kunst“. Der Künstler hatte vermutlich hochrangige Fürsprecher, daher ließ man ihn selbst unangetastet, er durfte allerdings keine öffentlichen Ämter mehr ausüben (bis 1933 war er Professor an der Frankfurter Städelschule) und seine Bilder durften nicht mehr öffentlich gezeigt werden. 1937 emigrierte er nach Amsterdam und bemühte sich dort um ein Visum in die USA, das er aber erst 1947 erhielt. Dort lebte er noch ein paar Jahre hochgeachtet, bevor er im Dezember 1950 starb.

Die Ausstellung „Max Beckmann und Berlin“ fand in der „Berlinischen Galerie“ statt, dem „Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur“. Das Gebäude gibt es (als Museum) erst seit 2004.

Sammlungsschwerpunkt ist alles Künstlerische, was irgendwie seit 1870 bis heute mit Berlin zu tun hat, sei es, daß der Künstler in der Stadt geboren wurde, hier gewirkt hat oder sonstwie mit ihr in Berührung gekommen ist.

Auch die ständige Ausstellung glänzt durch hervorragende Ausstellungsstücke …

… hier waren wir bestimmt nicht zum letzten Mal.

Ende.

Berliner Luft (4): Mahnmal Levetzowstr.

Hier stand einst eine der größten Synagogen Berlins, sie hatte über 2100 Sitzplätze. Die Nazis zündeten sie 1938 an, aber die Synagoge brannte nur teilweise nieder. Ab 1942 mißbrauchten die Nazis das Gebäude als Sammellager für jüdische Mitbürger, hier wurden sie ausgeraubt und für die Verschleppung in eins der Konzentrationslager – oft direkt ins Vernichtungslager Ausschwitz – registriert.

1955 wurde die im 2. WK stark beschädigte Synagoge abgerissen. 1988 errichteten die beiden Architekten Jürgen Wenzel und Theseus Bappert und der Bildhauer Peter Herbrich dieses Mahnmal, das die Deportation in Sonderzügen der Reichsbahn thematisiert.

Ein sehr eindrucksvolles Mahnmal!

Fortsetzung folgt.

Berliner Luft (3): Hansaviertel

Wenn man am Hansaplatz aus der Bahn aussteigt, befindet man sich unversehens vorm Grips-Theater, das Stücke für Kinder und Jugendliche aufführt. Ich habe mal die Aufführung des Stücks „Was heißt hier Liebe“ gesehen, das in den 70ern wegen seines unbefangenen Umgangs mit dem Thema Sexualität einen Skandal verursachte. Ich fand es großartig.

Am selben Gebäude hängt diese Erinnerungstafel: Hier hat Kurt Weill mal gewohnt – und ich war jetzt auch hier, toll, Kurt Weill und ich, an der selben Stelle! Das Haus ist allerdings erst von 1957 … Ich sah mal ein Schild, auf dem stand: Hier kotzte Goethe. Das ist doch gut zu wissen, und wenn einem zufällig auch gerade schlecht ist, kann man ein bißchen würgen und schon hat man was gemeinsam.

Das Hansaviertel war nach dem 2. WK größtenteils zerstört, also organisierte die Stadt 1956/57 eine Internationale Bauaustellung, kurz Interbau genannt. 53 Architekten aus 13 Ländern setzten ihre Ideen um, zu denen solche interessanten Experimente gehörten wie oben …

… und zusammenhängende Bungalows, die nach außen relativ abgeschottet sind, aber einen gemeinsamen Innenhof haben (sollen, den haben wir natürlich nicht gesehen) …

… aber auch solche Prachtstücke.

Tja – irgendwie mußte man die Leute unterbringen. Außerdem dachte man sich nichts Böses dabei. Die Idee des Architekten Le Corbusier, massenhafte Behausung als „Wohnmaschinen“ zu planen, galt als architektonisch und sozial fortschrittlich. Tatsächlich weiß ich nicht, wie da die Wohnqualität ist – sind sie Häuser gut gepflegt, die Wohnungen groß genug und gut schallisoliert, ist sie vielleicht gar nicht schlecht.

Es ist nicht weit zur Haltestelle Bellevue, ein paar Meter weiter, direkt an der Spree ist das Café Buchwald, von dem wir im TV gehört hatten, und das berühmt ist für seinen Baumkuchen, dem „König der Kuchen“, wie es in einem Prospekt heißt.

Ein Oma-Café, wie man es sich schöner kaum wünschen kann – das tut mal ganz gut als Kontrast zu diesen ganzen trendigen Cafés in Kreuzberg, in denen man von Glück sagen kann, wenn man das bekommt, was man bestellt hat. Keine Musik, eine Bedienung, die einen zur Kuchentheke begleitet und fachmännisch berät – ich glaube, ich werde immer konservativer.

Der Baumkuchen schmeckt anders als der, den ich sonst schon gegessen habe: Unter anderem nach Marzipan und Aprikosenmarmelade, alles fein aufeinander abgestimmt, sehr lecker – und sehr teuer. Gut, man war Hoflieferant seit 1900, das wird nicht jeder, und heute verschickt man sogar nach Japan. Also: Nicht unbedingt jeden Tag, aber immer mal wieder kann man da gut hingehen.

Fortsetzung folgt.

Berliner Luft (1)

… gibt es hochprozentig, sogar mit Schokoladen- oder Pfefferminzgeschmack, was wir aber nicht probiert haben. Gleichwohl – die Berliner Luft war in diesem Jahr zur Zeit unserer üblichen Karnvalsflucht sehr feucht, es regnete so häufig wie noch in keinem Jahr zuvor. Ob es daran lag, daß ich, zurück in Köln, erstmal eine Woche lang mit einer hartnäckigen Erkältung zu kämpfen hatte, kann ich kaum sagen, die Sprechstundenhilfe erzählte, halb Köln sei krank … gut, nach anstrengenden Karnvalstagen muß das nicht nur mit Viren zu tun haben.

In den nächsten Tagen erzähle ich euch mehr von unserem Berlinbesuch.

Fluchtpunkt Berlin (8) – dies & das (2)

Gute Nachricht an alle Paare, in deren Beziehungen Schwierigkeiten auftauchen – die Lösung kann oft so einfach sein.

Konsumtempel am Alexanderplatz, dabei brauchten wir nur einen Pingpongball (von dem die Katze dann nichts wissen wollte).

Konsumtempel KaDeWe, oberstes Stockwerk, in der Süßigkeitenabteilung soll es laut Aussage meiner Begleiterin die weltbesten belgischen Pralinen geben – da verweigert man als charmanter Begleiter nicht die Begleitung.

Durch Köpenick kann man auch mal schlendern, da ist viel Wasser drumherum …

… auf einem Platz stehen gegossene Pferde …

… die vielleicht zu Wilhelm Voigt gehören? Ich weiß es nicht. Wilhelm Voigt kennt übrigens fast jeder: Er war der Hauptman von Köpenick. Eigentlich war er ein arbeitsloser Schuhmacher, der sich 1906 als Hauptmann verkleidete, ein paar Soldaten auf der Straße unter sein Kommando stellte und dann den Bürgermeister verhaftete und die Stadtkasse beschlagnahmte. Das Theaterstück nach diesem wahren Ereignis von Carl Zuckmayr wurde mehrfach verfilmt.

Ein Restaurant wirbt mit adretter Bedienung – also hier mal nicht die sonst überall übliche Schnodderigkeit? Oder was soll das heißen?

Apropos Schwindelei: Diese 3 Meter hohe Skulptur auf dem Mittelstreifen der „Straße des 17. Juni“ ist ein Nachguß einer Skulptur von Gerhard Marcks (den wir hier schon öfter hatten), finanziert von einer Stiftung von einigen Banken und dem Axel-Springer-Verlag zum 100. Geburtstag des Künstlers. Wenn man etwas sieht, woran der Springer-Verlag beteiligt ist, müssen alle Warnlampen angehen, was die da wieder vermurkst haben, und so auch hier wieder zu Recht: „Der Rufer“, so die Bezeichnung der Skulptur, steht an der Stelle, an der der damalige US-Präsident Ronald Reagen Gorbatschow aufforderte, die Berliner Mauer einzureißen. Als ob das an Bedeutung nicht ausreichte, setzte man noch eine drauf: Die Skulptur soll nun laut einer angebrachten Tafel der italienische Dichter Petrarca sein, der da nach Osten den Satz „Ich gehe durch die Welt und rufe Friede Friede Friede“ ruft.

Tatsächlich hat Marcks den Rufer 1966 im Auftrag von Radio Bremen modelliert. Die Figur ist angelehnt an den Soldaten Stentor in der „Ilias“ von Homer, der eine Stimme hatte so laut wie die von 50 seiner Kameraden zusammen (wenn einer eine laute, kräftige Stimme hat, sagt man ja auch noch heute: Mit Stentorstimme) – als Allegorie für eine Radiostation passend gewählt. Daß Bankenstiftung und Springer-Verlag die Skulptur für Propagandazwecke künstlich-kitschig aufpimpen, zeigt nicht nur eine Verfälschung der Absichten des Künstlers, sondern spricht auch von wenig Sachverstand in künstlerischen Dingen.

Wenn man über die Oberbaumbrücke geht (sollte man immer eine Kaputze aufhaben oder einen Schirm aufspannen: Zweimal haben mir Tauben auf den Kopf geschissen – beim zweiten Mal wurde ich unfreiwillig an die Grenzen meines Humors geführt), am S-Bahnhof Warschauer Str. vorbei …

… kommt man rechter Hand zum Cassiopeia-Gelände, auf dem es immer wieder neue Graffiti zu bewundern gibt.

Am Wochenende findet hier regelmäßig ein Flohmarkt statt – eine nette Alternative, wenn einem der Andrang auf dem nahen Boxhagener Platz zu groß ist. Der rote Umhang scheint allerdings ein Ladenhüter zu sein.

Ein merkwürdiges und befremdliches Phänomen: Überall stehen solche Paßbildautomaten für Bilder in Schwarzweiß. Kann mir jemand sagen, was das soll, zu einer Zeit, in der jeder pausenlos Selfies mit seinem Handy weltweit bekannt machen kann? Hat das vielleicht irgendeine übersinnliche Bedeutung?

Zeichen, die das Universum einem sendet – hier ist ja klar, was der Butterrest bei einem Caféfrühstück uns sagen will: Leute, so langsam wird es Zeit, wieder nach Hause zu fahren. Adieu Berlin, bis zum nächsten Mal!

Ende.

Fluchtpunkt Berlin (7)

Diese beiden Graffiti im Wrangelkiez in Kreuzberg gehören zu den bekanntesten Kunstwerken der Stadt, man findet sie in Fremdenführern und Bildbänden auch nicht-alternativer Verlage, und wohl Legionen von Touristen haben sie seit ihrer Entstehung 2007/2008 fotografiert.

Nun sind sie weg, im November 2014 wurden sie schwarz übermalt (das Foto zeigt die linke, nun geschwärzte, Figur). Man denkt sofort voller Empörung an skrupellose Hausbesitzer oder korrupte Politiker, aber nein – der Künstler, der sich Blu nennt, selbst hat sein eigenes Werk vernichten lassen. Uff!

Wie es aus dem Umfeld des Künstlers heißt, ist das ein Protest gegen die zunehmende Gentrifizierung der Stadt: Die Brache in der Nachbarschaft wurde bis Herbst 2014 von Obdachlosen besetzt, die dort Hütten bauten und damit keine Obdachlosen mehr waren. Nach einem Streit unter zwei Bewohnern und einer schnell eingedämmten Brandstiftung ergriff die Polizei die Gelegenheit, das ganze Areal zu räumen und abzusperren. Im Frühjahr dieses Jahres soll es losgehen: Der Besitzer des Geländes plant, hier 250 Luxuswohnungen zu errichten für Leute, die irgendwo in der City in hohen Positionen arbeiten, es sich also leisten können – und außerdem in einem richtig geilen Kiez leben wollen, mit Szenelokalen, kleinen hippen Geschäft, ausländischen Imbissen und authentischen Drogies, die man ab und zu in den Hauseingängen liegen sieht.
Und zur anrüchig-attraktiven Authentizität des Viertels gehören eben auch die kunstvollen Graffiti. Also ist es nur konsequent, wenn man sie wieder wegnimmt.

Fortsetzung folgt.

Fluchtpunkt Berlin (6) – dies & das (1)

Aha. Man kann sie auch zu einem Salat anrichten. Ist das dann ein Ameisensalat?

Jedenfalls gehen sie manchmal komische Verbindungen ein, die Buchstaben. Ein Getränkemarkt, in dem der Durst lacht? Müßte es nicht heißen: „Hier fürchtet sich der Durst!“? Oder gibt es hier nur Cola, von der man noch mehr Durst bekommt, so daß er immer fröhlicher wird angesichts der Dummheit der Trinkenden, und sich auf die Schenkel klopft?

Hier, vor der Humboldt-Universität, versorgt sich der gemeine Student mit Lektüre – kein Wunder, daß das mit den Buchstaben so eine Sache ist.

Im Foyer der Uni ist eine Kunstinstallation zu sehen, ich habe sie fotografiert. Bitteschön, was sagt ihr dazu? Was? Man sieht gar nichts? Doch doch … paßt auf, es handelt sich um folgendes:

1953 ließ die Sozialistische Einheitspartei der DDR (SED) das Zitat von Karl Marx dort anbringen. Nach der Einverleibung der DDR in die BRD war natürlich alles pfui, was die SED je getan hat, deshalb wollte man den Schriftzug wieder abmontieren, unabhängig von seinem Inhalt. Dagegen gab es Proteste, und so streitet man bis heute, als wenn es nichts anderes zu tun gäbe. Um mal ein bißchen Luft herauszulassen aus der aufgeblasenen Diskussion, schrieb die Uni einen künstlerischen Wettbewerb aus, man wollte das Zitat „künstlerisch kontextualisieren“. Das, was man oben sieht, ist ein Beitrag der Künstlerin Ceal Floyer und besteht in der x-fachen Anbringung des Schildchens „Vorsicht Stufe“.

Aaah ja. Gut. Fein fein. So so. Jo, ist doch ganz schön, wie die glänzen. Oder nicht? Wie oft ist man schon mal gestolpert auf einer Treppe … also bitte: Danke dafür. Auf der Homepage der Universität weiß man ganz genau, wie man das Werk zu beurteilen hat und poliert wahrscheinlich schon den Preispokal (es folgt ein Originalzitat):

„Ihre Installation „Vorsicht Stufe!“ im Foyer der Humboldt-Universität versucht erst gar nicht, sich in einer Debatte zu positionieren, in der man mit jeder Antwort in ein Minenfeld tritt. Trotzdem wirkt das Werk nicht wie eine Flucht vor einer Stellungnahme, sondern drückt Esprit und Selbstbewusstsein aus. Es lässt eine ganze Fülle an Deutungen zu. Das ist wichtig an einem Transitort, den Hunderte sehr verschiedene Menschen täglich mehrfach betreten. Noch wichtiger aber ist, dass Floyers Arbeit nicht dominant einfordert, interpretiert zu werden. Durch ihre leise Bildsprache ist die Installation zugleich ein Gegenentwurf zu der intendierten Autorität des Marxzitats. Floyers Arbeit ist damit auch ein Protest gegen propagandistische Vereinfachung.
Die Installation überzeugt nicht nur auf theoretischer Ebene, sondern ist auch physisch unmittelbar präsent. Obwohl klar als künstlerische Intervention erkennbar, fügt sie sich optimal in den architektonischen Kontext ein. Denn den Kontext, erklärte Floyer einst einem Kunstmagazin, betrachtet sie als eigenständiges Medium in seinem eigenen Recht.“

Wir wollen jetzt auch selbst mal was schreiben, vielleicht eine Postkarte an die Lieben zu Hause? Oder könnte man das mißinterpretieren? Ein Gegenentwurf zu einem Gegenentwurf zu einer intendierten Autorität? Eine mangelnde Fülle an Deutungsmöglichkeiten mit einer dominanten Interpretationsforderung, eine Affirmation, ja, Antizipation vereinfachter Propaganda? Oder öffnen wir ein Minenfeld, und wenn man da hineintritt, hat man das Zeug am Schuh kleben, bzw. eine Debatte an der Backe, die gar nicht intendiert war? (ich denke besonders an Onkel Günther, der die mittlere Karte als Kritik verstehen könnte)

Die Wissenschaft – ein weites Feld. Wenden wir uns den Erscheinungen des Alltags zu: Kann mir mal jemand sagen, wieso bereits seit Jahren an der U-Bahnhaltestelle Unter den Linden/Ecke Friedrichstr. herumgebaut wird? Oder bleibt das jetzt so, eine ewige Baustelle? Kann man sich ja drauf einrichten, und die Baufirma freut’s. Der Reiter rechts ist übrigens „der alte Fritz“, den ihr jetzt alle aus den letzten beiden Einträgen kennt. Wahrscheinlich ist er auf dem Weg zu seinem Kartoffelfeld, das er oben vor der Museumsinsel angelegt hat. Kennt ihr die Geschichte? Friedrich II. erkannte den Wert der Kartoffel für die Ernährung des Volkes, aber die tumben Bauern wollten nicht so recht mitziehen und weiter nur Getreide anbauen. Also ließ Friedrich ein großes Kartoffelfeld anlegen und es Tag und Nacht bewachen, und tatsächlich, die Bauern fielen auf die List herein: Wenn etwas so gut bewacht wird, muß es wertvoll sein, also stiegen sie im Dunkeln über die Zäune und stahlen das kostbare Gut. Und so wurde die Kartoffel in Deutschland zum Nahrungsmittel Nr. 1.

Der Mensch lebt allerdings nicht von Kartoffeln allein, das Würstchen empfiehlt sich.

So langsam kriegen wir auch Hunger. Vorbei an der Staatsoper, die unsere Aufmerksamkeit mit freundlicher Werbung weckt („hey, super, komm, da müssen wir unbedingt hin, eine Frau in rotem Kleid schreit uns wütend an, wie geil ist das denn“) …

… und auch vorbei am Engel im Historischen Museum (dahinten linst uns Friedrich schon wieder an, er ist allgegenwärtig, wenn man ihn erstmal bemerkt hat) …

… landen wir im Café eben dieses Hauses, wo sich junge Leute mit nicht so viel Geld gegenseitig füttern. Brav.

Ich bin gerne hier.

Fortsetzung folgt.

Fluchtpunkt Berlin (5)

So ungefähr sah ich aus, als ich hörte, daß zum recht stolzen Eintrittspreis (inkl. Führung) von 12 Euro für das Schloß Sanssouci noch eine Gebühr von 3 Euro für eine Fotografiererlaubnis bezahlt werden muß. Unverschämt! Das kannte ich bisher nur aus Polen.

Was hilft das Gejammere – dafür sehen wir schönstes Rokoko (die vorletzte Phase des Barock): Wild und üppig wucherndes Ornament. Die Bänke an der Seite waren übrigens schon immer reines Ziermobiliar und dienten nicht zum Sitzen.

Das Musikzimmer, vielleicht erinnert ihr euch, es schon mal gesehen zu haben, nämlich …

… auf dem Gemälde von Adolph Menzel, das er 1850-52 gemalt hat. Das Querflötenspiel war eine der großen Leidenschaften von Friedrich II., eine Kunst, die er heimlich erlernt hat, denn sein Vater, der „Soldatenkönig“ Friedrich Wilhelm I., hätte das niemals erlaubt. Der wollte seinen 1,62 Meter großen Sohn auch zum Soldatentum erziehen und zwang ihn in eine militärische Laufbahn, in der Musik, schöngeistige Literatur und Philosophie, die der Sohn liebte, nichts zu suchen hatten. Als Friedrich im Alter von 18 Jahren nach England (oder Frankreich, je nach Quelle) fliehen wollte, vereitelte der Vater den Plan. Ein Freund Friedrichs wurde zu lebenslanger Haft verurteilt, was der Vater in eine Todesstrafe umwandelte, die er wegen Verrats auch für seinen eigenen Sohn vorsah, nur durch internationale Fürsprache konnte er davon abgebracht werden. Friedrich saß zwei Jahre im Gefängnis, wo er auf Geheiß des Vaters gezwungen wurde, die Hinrichtung seines Freundes anzusehen.

Friedrich II. war, wie gesagt, ein Liebhaber der schönen Künste, sammelte Skulpturen, Bilder und Bücher, von denen er 5.000 Stück besaß – in drei Residenzen die gleichen, denn er hatte keine Lust, die Bücher mit sich herumzuschleppen. Er war zu Anfang ein relativ aufgeklärter Herrscher und korrespondierte mit den Geistesgrößen Europas, u.a. mit Voltaire, der sogar für zwei Jahre am Hof lebte, bevor man sich zerstritt.

Ein Gästezimmer mit Bettnische – schlichter, als die anderen Räume, aber dennoch geräumig.

In späteren Jahren, nach Erlebnissen in einigen von ihm selbst angezettelten Kriegen um die Eroberung des österreichischen Schlesien (deren Erfolge ihm den Beinamen „der Große“ eintrugen) und dem Verlust der Vorderzähne im Alter von 50 Jahren, was ihm die Leidenschaft fürs Flötenspiel verdarb, soll er unleidlich und verbittert geworden sein. Dies ist sein Arbeitszimmer, in dem er sich mit seinen geliebten Windhunden, die von der Dienerschaft jeweils mit „Sire“ angesprochen werden mußten, hauptsächlich aufhielt. Und das ist auch der Grund, weshalb hier kein Rokoko mehr zu sehen ist, sondern Klassizismus (die letzte Phase des Barock): Das Zimmer war so verwohnt, daß sein Neffe und Nachfolger das Zimmer im zeitgenössischen Geschmack renovieren ließ.

In diesem Sessel starb er schließlich, in den Armen seines Kammerdieners, 74jährig im Jahr 1786, Friedrich II., genannt „der Große“ oder auch „der alte Fritz“.

Auf dem Rückweg kamen wir an dieser geheimnisvollen Skulptur vorbei – sieht aus wie moderne Kunst. Ist es aber nicht, die Bretterverschalungen schützen figürliche Skulpturen vor dem winterlichen Wetter. Wenn wir sie sehen wollen – es gibt (gefühlt) hunderte von solchen Verschlägen – müssen wir im Sommer nochmal wiederkommen. Mal sehen.

Fortsetzung folgt.