Ausflug nach Münster (2)

Münster ist ein Stadt voller Skulpturen, auch sehr moderner, so daß man bewundernd feststellen kann: Was für ein aufgeschlossenes Bürgertum! Das war allerdings nicht immer so. Mit dieser Skulptur fing es an: Drei rotierende Quadrate, eine kinetische Aluminiumplastik von George Rickey. Wer schon mal irgendwo eine Plastik von Rickey gesehen hat, weiß, wie schön die sind: Metallische Flächen und Stangen bewegen sich so sanft und zart im Wind, als würden sie schweben und hätten kein Gewicht. Als die Stadtverwaltung dieses Exemplar 1973 kaufen wollte, brandete unter den Bürgern ein Sturm der Entrüstung los: Das sollte Kunst sein? Für diesen Mist sollte 130.000 DM Steuergeld ausgegeben werden? Die Verwaltung ließ sich einschüchtern, sodaß die Westdeutsche Landesbank das Werk schließlich kaufte und es der Stadt schenkte.

Über soviel Borniertheit der Bevölkerung war man allerdings gar nicht glücklich, also wurde eine Ausstellung geplant, die anhand von Beispielen Auskunft geben sollte über moderne Bildhauerei. Im Zuge der Überlegungen entstand das Konzept Skulptur.Projekte: Alle zehn Jahre werden Künstler eingeladen, direkt vor Ort eine Skulptur zu erschaffen, den Platz in der Stadt kann sich jeder selbst aussuchen. Mindestens 100 Tage (immer parallel zur Dokumenta in Kassel) soll jedes Werk stehenbleiben. 1977 fand das erste Skulpturen-Festival statt und stieß in der Bevölkerung auf ein geteiltes Echo: Die Künstler konnten teilweise nur unter Polizeischutz arbeiten, und Vandalismus an den fertigen Objekten war zwar nicht an der Tagesordnung, aber wohl auch nicht selten. So versuchte man z.B. die dreiteilige Skulptur Giant Pool Balls des Pop-Artisten Claes Oldenburg in den Aasee zu rollen …

… was freilich nicht gelang, die Betonkugeln sind viel zu schwer (das ist übrigens der selbe Künstler, von dem die Kölner Eistüte ist).

Beim zweiten Skulpturenfestival 1987 waren die Ressentiments immer noch groß, doch in seinem Verlauf änderte sich die Stimmung: Man kann viel über die Westfalen sagen, aber nicht, daß sie keine cleveren Geschäftsleute sind: Die Veranstaltung zog Touristen in die Stadt und damit Geld – viel Geld. Außerdem gewann das kleine beschauliche Städtchen, für das sich bisher außer in Münster selbst niemand interessierte, international an Renommee, zumindest in der Kunstwelt, denn überall berichteten die Medien darüber, was hier Außerordentliches passierte.

Zu den beiden Festivals 1997 und 2007 kamen jeweils über eine halbe Million Besucher, und ich würde mich nicht wundern, wenn man es inzwischen bereut, es nur alle zehn Jahre stattfinden zu lassen. Von dem öffentlichkeitswirksamen Wert von Skulpturen braucht man hier jedenfalls niemanden mehr zu überzeugen.
Die comichaften Figürchen gehören zu einer großen Skulptur neben der „neuen“ Stadtbibliothek von 1993 …

… der acht Meter hohen Überfrau von Tom Otternsen. „Als Personifikation der Weisheit und Freiheit greift sie Ansätze der traditionellen Ikonographie auf“, steht in dem kleinen Führer – was man halt so schreibt, wenn man ein wenig ratlos ist. Aber imposant.

Wie bereits gesagt, sollen die Kunstwerke jeweils nur für 100 Tage an ihrem Platz stehen. Einige kauft die Stadt (oder Sponsoren) nach Ende des Festivals und läßt sie stehen. In dem kleinen Skulpturenführer, den ich mir gekauft habe, werden 64 Orte in der Altstadt – oder direkt angrenzend – aufgeführt. Hier ein Werk für das Festival 1997: 100 Arme der Guan-yin von Huang Yong Ping. Wer sich etwas in der Kunstgeschichte auskennt, sieht sofort, daß hier ein ready made eines der einflußreichsten Künstler des 20. Jahrhunderts, Marcel Duchamps, zitiert wird: Der Flaschentrockner, in dieser Version überdimensional.

Zu den aufgesteckten Ärmen wurde der Künstler einerseits durch eine beschädigte, da armlose Christusfigur in einer Kirche in der Nachbarschaft angeregt, andererseits durch weibliche, tausendarmige Buddhafiguren aus seiner Heimat. Hier halten die Hände keine Kultutensilien, sondern Alltagsgegenstände. Ja. Hm. Auf jeden Fall interessanter als ein Reiterstandbild irgendeines Fürsten.

Viele Kunstwerke machen natürlich auch viel Arbeit, und die kostet Geld. Aber man kann nicht beides haben: Touristen, die genau wegen der Kunst in die Stadt kommen, und Kunstwerke, um die sich keiner kümmert, weil man die Kosten dafür sparen will. Die Skulptur von George Rickey oben auf dem ersten Foto muß dringend restauriert werden: Sie bewegt sich kaum noch und ist so mit Moos überwachsen, daß sie ihre Wirkung verliert. Ich hoffe, das ist bis 2017 behoben, wenn ich die nächste Skulptur.Projekte besuchen werden. Der Termin ist schon fest eingeplant.

Fortsetzung folgt.

4 Gedanken zu “Ausflug nach Münster (2)

  1. Die Arme der Guan Yin ist das einzige, das mir hier wirklich gefällt, sowohl von der Symbolik, als auch von der Ausführung her. Witzige Idee.
    Wir hatten übrigens so einen Flaschentrockner tatsächlich zuhause, so daß mich das Werk auch noch gleichzeitig daran erinnert. Das Objekt ist irgendwie sehr einprägsam.

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