Urlaub 4. Station: Quedlinburg (Umgebung)

„Je höher man den Berg hinaufsteigt, desto kürzer, zwerghafter werden die Tannen, sie scheinen immer mehr und mehr zusammen zu schrumpfen, bis nur Heidelbeer- und Rotbeersträuche und Bergkräuter übrig bleiben. Da wird es auch schon fühlbar kälter. Die wunderlichen Gruppen der Granitblöcke werden hier erst recht sichtbar; diese sind oft von erstaunlicher Größe.
Das mögen wohl die Spielbälle sein, die sich die bösen Geister einander zuwerfen in der Walpurgisnacht, wenn hier die Hexen auf Besenstielen und Mistgabeln einhergeritten kommen, und die abenteuerlich verruchte Lust beginnt, wie die glaubhafte Amme es erzählt, und wie es zu schauen ist auf den hübschen Faustbildern des Meister Retzsch.“

„In der That, wenn man die obere Hälfte des Brockens besteigt, kann man
sich nicht erwehren, an die ergötzlichen Blocksberggeschichten zu
denken, und besonders an die große mystische deutsche Nationaltragödie
vom Doktor Faust. Mir war immer, als ob der Pferdefuß neben mir hinauf
klettere, und jemand humoristisch Atem schöpfe. Und ich glaube, auch
Mephisto muß mit Mühe Atem holen, wenn er seinen Lieblingsberg ersteigt;
es ist ein äußerst erschöpfender Weg, und ich war froh, als ich endlich
das langersehnte Brockenhaus zu Gesicht bekam.“
Heinrich Heine: Die Harzreise, 1826

Das kann ich nur bestätigen: Zweieinhalb anstrengende Stunden dauert es, von dem kleinen Örtchen Schierke aus auf den Brocken zu steigen. Oben erwartet einen ein schöner Ausblick und eine sehr gute Erbsensuppe. Hexen habe ich keine gesehen, aber bis zur Walpurgisnacht dauert es ja auch noch ein wenig.

Im Gegensatz zu Heine brauchten wir nicht hinunterzulaufen, sondern konnten die Brockenbahn nehmen, eine Bequemlichkeit, die sich die Betreiber teuer bezahlen lassen: 18 Euro pro Person, unverschämt!

Auch bergauf, aber sehr viel angenehmer zu gehen, kommt man vom Selketal zur Burg Anhalt aus dem Jahre 1123, nach der heute noch das Bundesland genannt ist. Albrecht der Bär, der hier Burgherr war, gründete auch die Mark Brandenburg – ein geschichtsträchtiger Ort also.

Von der Burg ist allerdings nicht mehr viel zu sehen, die Natur hat gesiegt.

Halberstadt liegt ganz in der Nähe von Quedlinburg, ein Ort, über den man kein Wort verlieren sollte, er ist duch seine Architektur schon genug gestraft. Wir waren nur da, um ins Kino zu gehen. Ein Wegweiser weckte aber unsere Neugier und führte uns an diese Kirchentür, die leider schon geschlossen war, aber wenn man ein Ohr daran preßte, hörte man einen Ton. In dieser Kirche wird gerade das längste Musikstück der Welt aufgeführt, „ORGAN²/ASLSP“ heißt es und ist komponiert von John Cage. „As slow as possible“ sagt die Spielanweisung, und so dauert das Stück 639 Jahre. Im Jahr 2001 hat man mit dem Spielen angefangen, und man hörte – erstmal nichts, denn das Stück fängt mit einer Pause an, die anderthalb Jahre dauert. Der letzte Tonwechsel war am 5. August 2011, die beiden nächsten sind am 5. Juli 2012 und am 5. Oktober 2013. Dann passiert erstmal sieben Jahre nichts, auf den nächsten Wechsel muß man bis 2020 warten.
Ob es mir gelingt, eine Karte für die Abschlußvorstellung zu ergattern?

Urlaub 4. Station: Quedlinburg (1)

Quedlinburg ist eine Sonnenstadt. Das soll nicht heißen, daß hier immer die Sonne scheint, aber wenn der Himmel grau ist und es vielleicht noch leicht nieselt, ist nach Geschäftsschluß oder am Wochenende kaum jemand auf der Straße, und man hat das Gefühl, man wäre in einer Geisterstadt.

In diesem zentral gelegenen Restaurant/Kneipe kann man recht gut essen, aber wir wurden abends um 9 Uhr vor die Tür gesetzt – kein Wunder, schließlich waren wir die einzigen Gäste.

Wenn die Straßen leer sind, kommt man sich ein wenig so vor wie in einem Museumsdorf. Eindrucksvolle 1200 Fachwerkhäuser gibt es hier, bis auf 250, die noch nicht fertig sind, liebevoll in den letzten Jahren restauriert.

Man kann von Glück sagen, daß die historische Altstadt, die 1994 auf die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes gesetzt wurde, überhaupt noch steht: In den 60er Jahren hatte die DDR-Führung vor, alles komplett abzureißen und mit Plattenbauten neu zu bebauen.

Dann fehlte ihnen das Geld, zur Sanierung hatten sie sowieso keins, und so verfiel die Stadt über die Jahre. Wer konnte, zog nach außerhalb in einen der neuen Plattenbauten, in denen die Wohnungen Zentralheizung und fließendes warmes Wasser hatten, die anderen verharrten im Elend. Heute sieht das ganz anders aus, die Stadt ist fast perfekt, das einzige, was fehlt, ist – mehr Lebendigkeit, so wie hier mal ausnahmsweise auf dem Markt.

Aber man gibt sich Mühe, wenn auch nicht immer mit den richtigen Mitteln: Zufällig war an dem Samstag, als wir da waren, die Live-Übertragung einer neuen MDR-Show: „Zeit ist Geld“ ist ihr unsympathischer Titel. Vier Kandidaten müssen auf einer Art Schnitzeljagd durch die Stadt hetzen und infantile Aufgaben erfüllen, während Goldstaub durch eine Sanduhr rinnt. Begleitet werden sie von drei penetrant lustigen Moderatoren, von denen eine Motzi Mabuse heißt – Himmel, war das eine öde, langatmige Angelegenheit, länger als 15 Minuten haben wir das nicht ausgehalten.

Dieses sehr schöne Café in der Nähe des Schlosses wirbt damit, daß man zwischen 130 Käsekuchenvariationen wählen kann.

Nicht ganz so viele stehen im Verkaufsraum, aber es reicht völlig aus. Sehr lecker!

In Quedlinburg gibt es zu meiner Überraschung ein Lyonel-Feininger-Galerie. Ein Bürger der Stadt war früher Schüler des Bauhauses und hat eine Sammlung von hauptsächlich Druckgrafiken aufgebaut. Na jaa – nicht so mein Fall. Aber sehr behutsam hat man die neue Architektur in das alte Umfeld gebaut, klasse.

Feininger, der vor 1933 lange im Osten Deutschlands lebte, hat übrigens solche Bilder gemalt.

Die charakteristischen Kirchtürme scheinen typisch für die Gegend zu sein.

Idyllische Orte findet man hier viele – manchmal hat man den Eindruck, als seien sie inszeniert, aber das stimmt wohl nicht. Die Bank wurde übrigens gestiftet, sehr löblich, da hat eine Firma die letzten Groschen zusammengekratzt, um eine Sitzgelegenheit zu schaffen, auch wenn es nur für Restholz gereicht hat: