
Nach meinem Eindruck schwankt die Stimmung in der Stadt in diesem „kleinen“ Lockdown zwischen Gelassenheit und leichter Hysterie, die besonders die öffentlichen Anordnungen betrifft. In dieser Konditorei nimmt man die Situation mit angemessenem Humor und ist hocherfreut über die Aufmerksamkeit, als ich frage, ob ich ein Foto machen darf.

Ich hatte mir angewöhnt, erst nach 22 Uhr einzukaufen, kaum Leute im Supermarkt, da ist man schnell durch, und das Ansteckungsrisiko ist gleich Null. Als ich vor ein paar Tagen eine Flasche Bier zu meinen anderen Einkäufen aufs Band legte, sagte mir der Kassierer, das könne er leider nicht mehr verbuchen, den Grund kenne er auch nicht. Ich machte ein bißchen Rabatz, der Türsteher eilte herbei und gab mir recht: Seit Monaten gab es ein Alkoholverkaufsverbot ab 23 Uhr, es war erst kurz nach zehn, aber was soll man machen, der Filialleiter war nicht mehr da, die Kasse nahm das einfach nicht an, also zog ich verdrossen von dannen. Wie sich später herausstellte, hatte die Stadtverwaltung bereits eine Woche vorher neue Corona-bedingte Einschränkungen in einem Amtsblatt verkündet, ohne das weiter mitzuteilen. Vielleicht stand es im „Kölner Stadtanzeiger“, aber wenn man den nicht mehr liest, blieb man uninformiert. Und in dem Amtsblatt steht, daß Alkohol seit dem 2. November bereits nach 22 Uhr nicht mehr verkauft werden darf. Natürlich ist das kompletter Blödsinn: Die Straßen sind leer, da alle Kneipen, Bars und Restaurants geschlossen sind. Wer unbedingt privat Parties feiern will, für den ist es egal, ob er sich vor 22 oder vor 23 Uhr mit Alkoholika eindeckt. Selbst ich, der nur ein Feierabendbier trinken möchte, weiß jetzt, daß ich früher einkaufen muß – blöderweise mit erhöhtem Risiko, da viel mehr Kunden im Supermarkt sind. Eine kleine und völlig sinnlose Anordnung – glücklicherweise wußte mein Stammkiosk auch noch nichts davon, so daß ich an dem Abend doch noch zu meinem Bier kam.

Alkoholverzehrverbot in der Öffentlichkeit herrscht heute bereits seit 6 Uhr, bis morgen 6 Uhr: Es ist der 11.11., Beginn der Karnevalssession, was normalweise mit tausenden Feiernden, also Saufenden, gefeiert wird. Wie jedes Jahr stellt die Stadt schon mal am Rand des Studentenviertels Absperrungen bereit, die normalerweise dazu dienen, die Straßen vom Autoverkehr abzusperren. In diesem Jahr – die Stadt traut ihren Bürgern nicht – rechnet man trotz des Karnevalsverbots mit unverbesserlich Feierwilligen, die es abzuhalten gilt. Alles hat zu, keine Karnevalsschlager, keine „superjeile Zick“, kein Alkohol – was sollte hier jemand suchen? Gut, wer das Amtsblatt nicht gelesen hat, weiß vielleicht nichts davon. Egal, die Stadt ist gewappnet. Und vielleicht hat sie recht: Es gibt leider viele, denen es völlig egal ist, ob sie jemanden anstecken und eventuell umbringen, solange es nur nicht sie selbst oder die eigene Familie betrifft.

Wer hier ohne Maske eintritt, wird erschossen. Der Laden ist inzwischen dicht, die Drohung geht ins Leere. Aber auch in bestimmten Straßen gilt die Maskenpflicht, und welche das sind – steht in dem Amtsblatt. Am besten macht man sich einen Ausdruck, um kein Bußgeld zu riskieren, oder macht es wie ich, sobald ich die Haustür verlasse, setze ich die Maske auf.
Damit man mich nicht mißversteht: Ich halte die Maske für wichtig und sinnvoll, und ich habe kein Verständnis für die 20.000 Covidioten, die neulich in Leipzig überwiegend maskenlos gegen die Corona-bedingten Einschränkungen demonstrierten. Moment – „Covidioten“ soll man nicht mehr sagen, habe ich kürzlich im Fernsehen gehört, das sei beleidigend und verhindere den Dialog mit Coronamaßnahmenkritikern, die ja zum Teil berechtigte Einwände hätten. Okay.
Im Oktober hat es in Tokyo eine Studie gegeben, in der nachgwiesen wurde, daß schon eine einfache Baumwollmaske bis zu 70% der Viren einer infizierten Person abhält, aber viel weniger, wenn man als Maskenträger einer infizierten Person gegenüber steht. Eine Maske schützt also vor allem die anderen, wenn man – vielleicht ohne Symptome und ohne eigenes Wissen – selbst infiziert ist. Das ist den … Coronamaßnahmenkritikern aber völlig egal.
Zu Anfang der Pandemie empfahl ein geschätzter Blog-Kollege, ich solle mir doch einmal die Videos eines coronakritischen Hals-Nasen-Ohren-Arztes ansehen: Ich war entsetzt über den hetzenden Ton, den Unsachverstand des Arztes – und über die Empfehlung des Blog-Kollegen. Eben diesen Arzt sah ich neulich am Rande einer Demo in eine Fernsehkamera sprechen: Die Coronaschutzmaske sei der neue Hitlergruß. Wie bitte? Laufen neuerdings Neonazis mit einer Maske durch die Gegend und glauben, sich gegenseitig daran erkennen zu können? Dann sollte doch mindestens ein Hakenkreuz darauf gemalt sein, oder? Nein, so ist es natürlich nicht gemeint. Der Arzt behauptet, daß Leute die Maske tragen, damit sie ihre Ruhe haben, obwohl sie überzeugt sind, daß sie keine Wirkung hat – wie damals im Dritten Reich, als viele ihren Arm zum Hitlergruß reckten, um sich bei der Gestapo nicht verdächtig zu machen. Daraus folgt: Wer die Maske nicht trägt, ist ein Widerstandskämpfer.
Mal davon abgesehen, daß der HNO-Arzt durch diese Gleichsetzung die Widerstandskämpfer gegen das Nazi-Regime verhöhnt, die ihr Leben einsetzten gegen eine Barbarei, wie sie die Welt selten gesehen hat, gegen Folter und KZ und Genozid der Juden, der Sinti und Roma, gegen die Vernichtung von Behinderten und Andersdenkenden – der Vergleich ist so dumm, da fehlen mir fast die Worte. Ein Maskenverweigerer hat mit einer Verwarnung und – bei Nichtbeachtung – mit einem Bußgeld zu rechnen. Dann kann er nach Hause fahren, sich weiterhin den Blödsinn seines Hals-Nasen-Ohren-Helden auf Youtube anhören und sich auf Twitter mit Beschwerden über – wissenschaftlich fundierte – Einschränkungen seiner Grundrechte aufregen, ohne daß ihm irgendwas passiert. Ja, er kann sogar andere Leute anstecken und unter Umständen umbringen, ohne daß das für ihn irgendwelche Konsequenzen hat. Zur Erinnerung: Den Ausdruck „Covidioten“ sollen wir nicht mehr benutzen. Schwer.
Die Studie über die Wirksamkeit von Masken wird hier in deutscher Sprache erklärt, die Originalstudie in Englisch findet ihr hier.

Wir gehen viel spazieren in diesem wundervollen Herbst …

… und essen selbstgebackenen Schokoladenkuchen mit Vanillesoße. Man muß sich zu helfen wissen.