Queen’s Walk, Southbank, London

Als wir vor zwei Jahren in London waren, spazierten wir am Ankunftstag am südlichen Themseufer entlang. Da kann man sich nicht verlaufen, also für den ersten Eindruck genau das richtige. Es war einer der ersten sehr warmen Tage, ein Freitag Mitte Mai, wir hatten den Eindruck, halb London und alle Touristen stehen vor den Pubs und trinken Bier. Das Themseufer ist, wie man sich vorstellen kann, recht dicht bebaut, und so waren wir überrascht und froh, auf diese schöne Allee zu stoßen: Ah – endlich kann man mal durchatmen.

An den Bäumen hingen kleine Zettel, auf denen geschrieben stand, daß alle Bäume gefällt werden sollten, neben einer Internetadresse für weitere Informationen. Wieder zu Hause, recherchierte ich:

Die Stadt London hatte vor, hier als weitere Touristenattraktion eine Fußgängerbrücke aus Beton über die Themse zu bauen, die aufgrund der Begrünung „Garden Bridge“ heißen sollte. Weil man dafür Eintritt nehmen wollte, plante man ein großes Verwaltungs- und Kassengebäude, um die Touristenströme zu leiten, und dafür sollten die 38 Bäume gefällt und das bisher öffentlich zugängliche Gelände zugebaut werden.

Das Projekt hat folgende Geschichte: Die in England populäre Schauspielerin Joanna Lumley, eine gute Freundin von Prinz Charles, hatte 1998 die Idee für diese Brücke als Denkmal für die verstorbene Lady Diana. Erst 2012 griff der damalige Bürgermeister von London, dessen Familie bereits seit seinem vierten Lebensjahr mit der Schauspielerin befreundet war, die Idee auf. Es wurde ein „Garden Bridge Trust“ gebildet. Die Anwohner wurden nicht groß gefragt, sondern vor vollendete Tatsachen gestellt: Man macht das jetzt, basta. Trotz vieler Proteste wurde sofort Geld für die Planung und Umsetzung eingesetzt.

Es gab natürlich viel zu prüfen und zu begutachten, aber Gründe und Bedenken gegen den Bau wurden schnell abgebügelt, ein Kriterienkatalog wurde willkürlich so verkürzt, daß man einfach weiter machen konnte, und als klar war, daß der amtierende Bürgermeister die nächste Wahl wohl nicht gewinnen würde, pumpte man schnell nochmal 9 Millionen Pfund in das Projekt, um es dem Nachfolger schwer zu machen, es aufzugeben. Und so war es dann auch erst: Sadiq Khan, der neue Bürgermeister, war der Meinung, man habe nun schon so viel Geld dafür ausgegeben, wahrscheinlich sei es billiger, die Brücke zu bauen, als alles abzublasen. Glücklicherweise war er so klug, eine Studie in Auftrag zu geben, und das Resultat war: Insgesamt würde die „Garden Bridge“ 200 Millionen Pfund (ca. 218 Mio Euro) kosten. Damit war das Projekt gestorben.

Am 13.02.2019 berichtete die Zeitung „The Guardian“, daß die Kosten für Planung, voreilige Erteilung des Bauauftrags, Bürgschaft der Stadt und den Rücktritt vom Projekt die Londoner Steuerzahler 53,5 Millionen Pfund (ca. 58,3 Mio Euro) gekostet hat – eigentlich für gar nichts: Die Kosten für ein komplett überflüssige Projekt, mit dem sich ein Bürgermeister profilieren wollte, vor seiner Schauspielerfreundin und natürlich auch vor allen anderen, und das Resultat ist eine unglaubliche Geldvernichtung. Nur einige wenige haben sich eine goldene Nase verdient: Der Architekt, die Baufirma und noch ein paar andere Nutznießer.

So sollte die Brücke übrigens aussehen:


An artist’s impression of the garden bridge. Photograph: Heatherwick Studio/PA

Preisfrage: Wie hieß dieser Hasardeur, der ehemalige Bürgermeister von London? Alfred E. Neumann ist es nicht.


Spiegel 30/20.07.2019

Boris Johnson – der neue Premierminister von Großbritannien, der die Briten in den Brexit hineingequatscht hat. Nach seiner Antrittsrede im Parlament scheint der unregulierte Austritt seines Landes aus der EU sogar ein gutes Geschäft zu sein: Die 44 Milliarden Euro, die Großbritannien der EU schuldet, droht er einfach einzubehalten, nach dem Motto: Nicht beglichene Schulden verbuche ich als Plus auf meinem Konto. Die katastrophalen wirtschaftlichen Folgen, die in den nächsten Jahren auf die Einwohner zukommen, verschweigt er. Ich halte es für gar nicht unwahrscheinlich, daß unter seiner Regentschaft Großbritannien in der EU verbleibt, weil er es einfach nicht hinkriegt, dabei aber unglaublich viel Geld vernichtet wird. In London hat er ja schon gezeigt, wie man sowas macht.

Die gute Nachricht: Die 38 Bäume am Queen’s Walk stehen noch.

„Die Moral der Arbeit ist eine Sklavenmoral“ (Bertrand Russell)

„Ich möchte […] in vollem Ernst erklären, dass in der heutigen Welt sehr viel Unheil entsteht aus dem Glauben an den überragenden Wert der Arbeit an sich, und dass der Weg zu Glück und Wohlfahrt in einer organisierten Arbeitseinschränkung zu sehen ist […] Dank der modernen Technik brauchte heute Freizeit und Muße, in gewissen Grenzen, nicht mehr das Vorrecht kleiner bevorzugter Gesellschaftsklassen zu sein, könnte vielmehr mit Recht gleichmäßig allen Mitgliedern der Gemeinschaft zugute kommen. Die Moral der Arbeit ist eine Sklavenmoral, und in der neuzeitlichen Welt bedarf es keiner Sklaverei mehr […]

Der Krieg hat zwingend bewiesen, dass sich moderne Völker durch wissenschaftlich organisierte Produktion auf der Basis eines geringen Teils der tatsächlichen Arbeitskapazität der neuzeitlichen Welt angemessen versorgen lassen. Hätte man nach Kriegsende die wissenschaftliche Organisation, die geschaffen worden war, um die Menschen für die Front und die Rüstungsarbeiten freizustellen, beibehalten und die Arbeitszeit auf vier Stunden herabgesetzt, dann wäre alles gut und schön gewesen. Statt dessen wurde das alte Chaos wiederhergestellt; diejenigen, deren Leistungen gefragt waren, mussten viele Stunden arbeiten, und der Rest durfte unbeschäftigt bleiben und verhungern. Warum? Weil Arbeit Ehrensache und Pflicht ist und der Mensch nicht gemäß dem Wert dessen, was er produziert hat, bezahlt werden soll, sondern entsprechend seiner tugendhaften Tüchtigkeit, die in rastlosem Fleiß ihren Ausdruck findet […]

Der Gedanke, dass die Unbemittelten eigentlich auch Freizeit und Muße haben sollten, hat die Reichen stets empört. Zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts war ein fünfzehnstündiger Arbeitstag für den Mann das Normale; Kinder arbeiteten zuweilen ebenso lange und sehr häufig zwölf Stunden täglich. Als vorwitzige Wichtigtuer darauf hinwiesen, dass das doch eigentlich eine recht lange Arbeitszeit sei, wurde ihnen erklärt, die Arbeit hindere die Erwachsenen daran, sich zu betrinken, und die Kinder, Unfug zu treiben […] Ich höre noch eine alte Herzogin sagen: »Was wollen denn die Habenichtse mit Freizeit anfangen? Arbeiten sollen sie!« So offen äußern sich die Leute heute nicht mehr, aber die Gesinnung ist noch die gleiche geblieben und hat weitgehend unsere chaotische Wirtschaftslage verschuldet […]

Wenn auf Erden niemand mehr gezwungen wäre, mehr als vier Stunden täglich zu arbeiten, würde jeder Wissbegierige seinen wissenschaftlichen Neigungen nachgehen können, und jeder Maler könnte malen, ohne dabei zu verhungern, und wenn seine Bilder noch so gut wären. Junge Schriftsteller brauchten nicht durch sensationelle Reißer auf sich aufmerksam zu machen, um wirtschaftlich unabhängig zu werden, dass sie die monumentalen Werke schaffen können, für die sie heute, wenn sie endlich so weit gekommen sind, gar keinen Sinn und keine Kraft mehr haben. Menschen, die sich als Fachleute für eine besondere wirtschafts- oder staatspolitische Phase interessieren, werden ihre Ideen entwickeln können, ohne dabei im luftleeren akademischen Raum zu schweben, was der Arbeit der Volkswirtschaftler an den Universitäten so häufig einen wirklichkeitsfremden Anstrich gibt. Die Ärzte werden Zeit haben, sich mit den Fortschritten auf medizinischem Gebiet vertraut zu machen, die Lehrer werden sich nicht mehr erbittert bemühen müssen, mit routinemäßigen Methoden Dinge zu lehren, die sie in ihrer Jugend gelernt und die sich in der Zwischenzeit vielleicht als falsch erwiesen haben.

Vor allem aber wird es wieder Glück und Lebensfreude geben, statt der nervösen Gereiztheit, Übermüdung und schlechten Verdauung. Man wird genug arbeiten, um die Muße genießen zu können, und doch nicht bis zur Erschöpfung arbeiten müssen. Wenn die Menschen nicht mehr müde in ihre Freizeit hineingehen, dann wird es sie auch bald nicht mehr nach passiver und geistloser Unterhaltung verlangen […] Die normalen Männer und Frauen werden, da sie die Möglichkeit haben, ein glückliches Leben zu führen, gütiger und toleranter und anderen gegenüber weniger misstrauisch sein.

Die Lust am Kriegführen wird aussterben, teils aus diesem Grunde und teils, weil Krieg für alle lang dauernde, harte Arbeit bedeuten würde. Guten Mutes zu sein, ist die sittliche Eigenschaft, deren die Welt vor allem und am meisten bedarf und Gutmütigkeit ist das Ergebnis von Wohlbehagen und Sicherheit, nicht von anstrengendem Lebenskampf. Mit den modernen Produktionsmethoden ist die Möglichkeit gegeben, dass alle Menschen behaglich und sicher leben können; wir haben es statt dessen vorgezogen, dass sich manche überanstrengen und die andern verhungern. Bisher sind wir noch immer so energiegeladen arbeitsam wie zur Zeit, da es noch keine Maschinen gab; das war sehr töricht von uns, aber sollten wir nicht auch irgendwann einmal gescheit werden?“

Bertrand Russell: Lob des Müßiggangs. Zitiert nach: Wolfgang Schneider: Die Enzyklopädie der Faulheit. Frankfurt/Main, 2004. S. 93-95