Ausflug an die Sieg: Herchen

Das ist doch wirklich selten, daß der „Goldene Oktober“ so weit in den November hineinragt. Also nichts wie los in die Natur, solange die Gelegenheit noch da ist. Eine halbe Stunde mit dem Zug, und wir sind in Herchen an der Sieg.

Der Ort hat 1000 Einwohner, weshalb man hier die Uhr noch nicht umgestellt hat, das lohnt sich einfach nicht, und nach sechs Monaten schon wieder, da hat man hier Besseres zu tun, nämlich: Schlafen. Wir sehen jedenfalls keinen Menschen.

Und wollen wir ja auch gar nicht – diese Farben, der Geruch: Herr-lich!

Wir gehen den 18 km langen Wäldlerweg und müssen dafür immer dem S auf rotem Grund folgen. Der Weg ist gut markiert, aber man muß aufpassen, man quatscht über Gott und die Welt – und schon hat man eine kleine Abzweigung übersehen. Aber das ist uns nur ein Mal passiert.

Wow! – was für Farben!

Wir überqueren die Sieg bei Stromberg …

… und tauchen tief ein in die Wälder. Wilde Tiere haben wir nicht gesehen, Räuber auch nicht und auch sonst keinen Menschen – sehr angenehm, wenn man sonst immer nur das Stadtgewusel um sich hat.

Die Kehrseite der Medaille: Kein Mensch bietet uns Kaffee und Kuchen an, auch nicht gegen Bezahlung. Gut, daß wir uns Proviant mitgebracht haben.

Der Weg ist abwechslungsreich und nicht sehr schwierig, allerdings auch nichts für Rollstuhlfahrer, und festes Schuhwerk ist unbedingt von Vorteil.

Da bringt die Abendsonne einen kleinen Bach zum glitzern … Moment mal, Abendsonne? Wir haben uns etwas verschätzt: Die Wanderung soll etwa 6 Stunden dauern, bei mäßigem Tempo; da wir erst um 12.30 Uhr losgegangen sind, müssen wir einen Zahn zulegen, um vor Einbruch der Dunkelheit wieder in Herchen zu sein.

Uff! – geschafft. 17 Uhr, das ist Rekord – und eigentlich blöd, denn wir gehen ja nicht spazieren/wandern, um uns abzuhetzen. Nächstes Mal gehen wir früher los.

Ausflug an die Sieg

Der „Natursteig Sieg“ ist ein Wanderpfad entlang der Sieg, ein Nebenfluß des Rheins südlich von Bonn, der in mehreren Etappen aufgegliedert ist: Anfang und Ende einer jeweiligen Etappe bilden Ortschaften mit S- und Regionalbahnanschlüssen. Der Pfad wurde jüngst um weitere Etappen erweitert, einen kleinen Wanderführer gibt es auch schon, also machen wir uns auf den Weg. Erstmal muß man mit der Regionalbahn eine Stunde lang nach Au fahren.

Der Bahnhof hier ist schon längst aufgegeben, Fahrkartenautomaten regeln das Geschäftliche. Da die Deutsche Bahn kein Lust, kein Geld und vor allem kein historisches Gewissen hat, sich um die Gebäude zu kümmern, verrammelt sie sie und überläßt sie einem langsamen Verfall – wie an hunderten Bahnhöfen in Deutschland auch. Eine Schande.

Aber – wie mich meine Begleiterin gelehrt hat, auch der Verfall hat seinen eigenen Reiz.

Gleich am Bahnhof beginnt der Wanderweg. Was uns wundert: Auf dem ersten Wegweiser steht 19,1 km nach Wissen, unserem Zielort. In dem kleinen Büchlein ist von 14 km die Rede … egal, frohgemut stapfen wir los, ein kleines Stück an der Sieg entlang, bald geht es in den Wald, den Fluß sollen wir erst in unserem Zielort wiedersehen.

Die Wege sind gut ausgebaut und begehbar, manchmal etwas matschig, die meisten werden alte Forstwege sein. Man streift Ränder von Siedlungen, wo Schilder stehen, die von längst vergangen Zeiten erzählen. Ob der Begriff „Aula“ bewußt gewählt wurde wegen der Nähe zur Ortschaft Au? Au und LA, die Metropole in Kalifornien – das heizt die Fantasien an. Damit sie nicht überschäumen: „Musik und Mores …“, Mores heißt ja „Sitte, Anstand“, das ’s‘ muß irgendwie verloren gegangen sein. Hier wurden die jungen Damen wahrscheinlich noch von den schneidigen Herren zum Tanze aufgefordert. Aber – vielleicht war auch alles ganz anders.

Viel los ist hier nicht – wir haben kaum einen Menschen gesehen. Wahrscheinlich sind alle in Köln, wo zu der Zeit ca. 1 Mio. Verrückte durch die Straßen hetzen und versuchen, nicht zusammenzubrechen, bevor sie die 42-km-Marke erreicht haben.

Oder sie verkriechen sich in ihren Häusern, die Dörfer, durch die wir kommen, wirken wie ausgestorben, postapokalyptische Szenen aus Filmen drängen sich uns auf. Merkwürdigerweise ist auf der Wanderkarte im Hintergrund kein Standort eingezeichnet, diese Karte kann nur lesen, wer sich hier auskennt, und dann braucht er sie eigentlich nicht mehr. Wird hier mit den Wanderern aus der Großstadt Schabernack getrieben?

Der wilde Müll wurde erkennungsdienstlich behandelt und „zur Anzeige gebracht“ – angeklagt und hoffentlich ordentlich bestraft: Herr Richter, ich fordere zwei Jahre Einzelhaft für die noch gebrauchsfähige Matratze und zwei Wochen Normalverzug für den organischen Müll, danach Sicherheitsverwahrung auf einer Mülldeponie!

Äh – ist das eine Grabskulptur (die Eisdecke auf dem Swimmingpool war noch zu dünn, als sie der Sohn des Hauses betrat) oder schwarzer Humor?

Ein und das selbe Schild von der einen Seite …

… und von der anderen. Je nachdem, von wo man kommt, also ein Unterschied von 7,5 km – das läßt nichts Gutes ahnen.

In Dünebusch, einem Ortsteil von Bitzen, schicken uns die Wanderzeichen im Zickzack über (gefühlt) jede Streuobstwiese und entlang eines jeden Gartens, man hat das Gefühl, man kommt keinen Meter voran, man landet immer wieder an der kleinen Hauptstraße des Dorfes.

Schließlich geht es doch weiter. In unserem Wanderführer steht, nach der Überquerung einer kleinen Brücke gehe es nochmal 900 Meter hoch, dann stehe man an der Abzweigung nach Wissen. Die Wanderwegzeichen am Wegesrand führen uns stattdessen in einen anderen Ortsteil von Bitzen, von dem in dem Büchlein nicht die Rede ist. Die Wanderwegzeichen werden immer kleiner, sodaß wir prompt eins übrsehen. Nach zwei Kilometern ohne Zeichen fragen wir Spaziergänger, ein junges Paar, nach dem Natursteig. Sie haben keine Ahnung, zeigen aber in die entgegengesetzte Richtung, als wir nach Wissen fragen und machen entsetzte Gesichter, als wir erzählen, daß das unser Wanderziel sei. „Sollen wir Sie hinfahren?“ Wirklich sehr freundlich.

Später denken wir: Hätten wir das doch nur angenommen! Wir gehen zurück und finden das verpaßte Zeichen, aber an der nächsten Kreuzung das selbe Spiel, wieder kein Hinweis. Ich bin inzwischen so geladen, daß ich das Schild als persönliche Beleidigung empfinde. Nachdem eine Passantin uns erneut erzählt, Wissen liege in der entgegengesetzten Richtung als die, in der wir gehen …

… geben wir auf und beschließen, auf der Straße weiter zu laufen.

Immerhin – eine herrliche Abendstimmung, durch die wir wandern, wer weiß, ob wir das im Wald so erlebt hätten.

Außerdem: Wer mehr von seinem Leben haben will als zwei Garagen, einer Mülltonne und einem TV-Gerät in der guten Stube, muß auch mal was wagen … gut, das Wagnis mit gut ausgeschilderten Straßen war jetzt nicht soo groß, aber immerhin …

Endlich angekommen: Wissen an der Sieg. Unser Wanderführer führt uns noch ein bißchen in die Irre …

… aber eine Viertelstunde vor Abfahrt des nächsten Zuges erreichen wir glücklich – zwei Stunden später als ursprünglich geplant – den häßlichen Bahnof der Stadt.

Ausflug zur Sieg

Da ist die Siegmündung. Wo? Na da, davorn links. Zugegeben, nicht besonders spektakulär, die Sieg verläuft nämlich ca. anderthalb Kilometer parallel zum Rhein, bevor sie sich quasi hineinschleicht in den größeren Fluß. Im 18. Jahrhundert hatte man mal einen Durchbruch gemacht, so daß die Sieg im rechten Winkel auf den Rhein traf, aber durch die veränderte Strömung wurde soviel Geröll in den Rhein gespült, daß sich das Flußbett verflachte, was nicht gut war für die Schiffahrt, und auch nicht für die Überschwemmungsgebiete. Tja, wie so oft wußte die Natur es besser, so daß man den Lauf schnell wieder geändert hat.

Man steigt in Köln bei mir in der Nähe in die Straßenbahn 16, fährt eine halbe Stunde nach Süden und steigt am Stadtrand von Bonn in Hersel wieder aus. Nach einem halbstündigen Spaziergang landet man an der Rheinfähre, die einen für 1 Euro auf die andere Seite nach Mondorf bringt.

Und von Mondorf ist es gar nicht weit zur Siegaue, einer unter Naturschutz stehenden Auenlandschaft, wohl eine der letzten naturbelassenen Rheinmündungen. Sehr schön!

Auf dem Siegdamm gehen sogar die Engel spazieren – hier sind wir richtig.

Motorsport ist auf der Sieg auf der ganzen Länge von 155 km verboten – gut für die Tiere, aber auch gut für uns.

Immer mal wieder gibt es kleine mit Muskelkraft betriebenen Fähren, um Spaziergänger und Fahrradfahrer überzusetzen. Auch ein Umweltschutzhinweis darf nicht fehlen: Kinder bitte nicht im Wasser entsorgen, sondern schön wieder mitnehmen!

Gleich neben der Fähre ist ein riesiges Biergarten-Restaurant. Dafür, daß der Kuchen aufgetaut aus industrieller Herstellung kommt, schmeckt er gar nicht schlecht, und auch der Kaffee ist passabel (ein Hoch auf den Kaffeevollautomaten). Gern werden hier auch deutsche Nationalgerichte bestellt, also Chicken-Nuggets mit Fritten, oder paniertes Schweinefleisch, von einer glasigen braungefärbten Soße übergossen, in der gummiartige Champignonscheiben schwimmen, auch bekannt als Jägerschnitzel.

Abenteuer Wildnis: Auf dem Rückweg müssen zwei Nebenarme der Sieg überquert werden, doch beide Brücken waren überschwemmt! Unter Lebensgefahr mußten wir auf dem Geländer balancieren – was wir natürlich mit Bravour erledigten. Pah! Vielleicht noch irgendwo ein Löwe, mit dem ich kämpfen soll? Kein Problem!

Es waren aber nur diese Tiere da, und eigentlich bin ich ja auch friedlich. Und, ehrlich gesagt, angenehm müde und schlapp – einer der ersten langen Märsche in diesem Sommer, ich hoffe, es werden noch viele folgen.