Spaziergänge in Zeiten von Corona (11)

Ach nee, was war das schön – und schon ist es wieder vorbei. Glühwein bekommt man an den zahlreichen Fensterverkaufsständen nur noch bis 16 Uhr, und ab Mittwoch ist es auch damit vorbei. Nach meinen Beobachtungen ist es da eigentlich immer recht gesittet zugegangen, allerdings gab es hier und da große Menschentrauben, die von der Polizei aufgelöst werden mußten.

Nun zu etwas völlig anderem: Neulich stand auf dem Roncalliplatz (wie von mir angekündigt) ein weiteres Werk von dem Künstler Dennis Josef Meseg, die Installation heißt „Broken“ (das andere: Hier klicken).

Wieder sind es in Flatterband eingewickelte Schaufensterpuppen, 222 an der Zahl, diesmal – bis auf eine Ausnahme – nur weibliche. Die vorherrschende Farbe ist Orange, und überwiegend sind die Puppen beschriftet mit Wörtern wie „gesperrt“, „bedroht“, „geschlagen“ und andere, in mehreren Sprachen.

Auf einem Info-Zettel gibt es dazu folgende Erklärung: „Es gibt wenige rote Fäden, die sich so zerreißfest durch die gesamte Menschheitsgeschichte ziehen wie die physische und psychische Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Kein Krieg, dessen Sieger nicht die Frauen der Verlierer verschleppt, vergewaltigt und ermordet hätten. Keine Religion, die Frauen nicht als Wurzeln allen Übels einstuft oder zumindest als dem Manne unterlegen. […] Orange […] ist die Farbe der Freiheit, der Freude und Geborgenheit, der emotionalen Wärme. Deshalb hat die alljährlich von UN Women durchgeführte Kampagne ‚Orange the World‘ eben diese Farbe für ihren Feldzug gegen das unausgesetzte, vielfältige Leid der Frauen erwählt.“

Ich weiß nicht recht, was ich davon halten soll, daß für zwei völlig unterschiedliche Aussagen die selben zwei Mittel eingesetzt werden, nämlich Schaufensterpuppen und Flatterband. Das Werk neulich zu Corona leuchtete mir unmittelbar ein. Hier ist vor allem die schiere Menge bemerkenswert, aber auf die Aussage kommt man ohne zusätzliche Information nur schwer. Die Absicht des Künstlers ist ehrenwert, die Umsetzung erscheint mir dagegen wenig originell.

Das Thema ist allerdings ein Skandal, der täglich in den Nachrichten dokumentiert werden sollte: Jeden dritten Tag wird in Deutschland eine Frau von ihrem (Ex-)Partner umgebracht, und in der übrigen Welt wird das nicht anders sein, eher schlimmer. In Deutschland gibt es dazu eine sehr merkwürdige und auch skandalöse Rechtsprechung: Wird eine Frau von ihrem Partner getötet, weil sie den Entschluß gefaßt hat, sich von ihm zu trennen, gilt das als strafmildernd und wird als Totschlag gewertet, als wolle man sagen: Er hat es ja nicht so gemeint, es ist halt mit ihm durchgegangen, als das, was doch ihm gehört, also seine Frau, sich selbständig machen wollte.

Kein schönes Adventsthema, aber, angesichts des Lockdowns und der Feiertage, leider aktueller denn je. Nicht die Straßen sind unsicher für Frauen und Kinder, es sind die Wohnungen.

PS: Hier klicken, um eine Petition gegen Femizide zu unterschreiben.

19 Gedanken zu “Spaziergänge in Zeiten von Corona (11)

  1. …da stehen dort die Frauen fast wie Soldaten uniformiert…finde ich weniger passend, auf dieses Thema ihrer Unterdrückung usw. wäre ich auch nicht gekommen…ein Kunstwerk, das erklärt werden muss, scheint mir ohnehin fragwürdig…das Anliegen ist natürlich lobenswert, aber rechtfertigt nicht jede Umsetzung…

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    1. Das ist ja ein recht häufig anzutreffendes Merkmal moderner Kunst, daß man sich fragt: Was soll das bedeuten. Man fantasiert dann so vor sich hin, und oft liegt man nicht ganz falsch, weil die Unbestimmtheit/Mehrdeutigkeit Teil des Werkes ist. Hier allerdings hatte der Künstler etwas ganz Bestimmtes im Sinn, das sich mir nicht erklärungslos mitteilt.

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  2. Das Thema ist immens wichtig. Aber es gibt auch eine ganz fiese Kehrseite der Medaille, es sind MÜTTER, die Klitorisbeschneidungen zulassen, es sind FRAUEN selber, die eine Sexualität ausüben, die Grenzen der Gewalt überschreitet. Es sind Frauen, die ganze Kerle wollen und „keine Weicheier.“ Es sind Mütter, die ihren Töchter erzählen, sie seien dumm, weniger wert, die diese kürzer stillen, weniger mit ihnen sprechen, sie runtermachen vor anderen.
    Viele, viele Männer bemühen sich mittlerweile, es anders zu machen, aber wie immer ist das System falsch. Wir brauchen im Grunde keinen Feminismus, sondern ein humaneres Menschenbild.
    Und wir brauchen vor allem Mädchen, die von Anfang an wissen, daß sie selber Grenzen setzen dürfen und müssen. die Mädchen von heute sind die Mütter von morgen.

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    1. Ja, das ist ein wichtiger Aspekt, den Du da nennst. Du beschreibst die systemischen Zusammenhänge innerhalb einer patriarchalischen Gesllschaftsstruktur, in der leider auch oft Frauen eine tragende Rolle spielen. Das darf freilich nicht als Entschuldigung herhalten für individuell ausgeführte Gewalt von Männern gegen Frauen – Männer, die Frauen schlagen und umbringen, sind natürlich voll verantwortlich für ihre Taten, egal, wie sie von ihrer jeweiligen Mutter behandelt wurden. Aber dem widersprichst Du ja auch gar nicht.

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      1. Ja, ein fieses Thema. Alles verflochten.Verknotet.
        Ich persönlich habe -ehrlich! mehr seelische Gewalt und Grausamkeit von Frauen erfahren als von Männern.
        Mobbing, fat shaming, Ausgrenzung, üble Nachrede, Neid, darin sind viele Frauen leider viel zu gut. Aber Gewalt in einer Partnerschaft hab ich auch erfahren und auch Übergriffe. Es gibt wohl keine Frau, die „ungeschoren“ davon kommt.

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        1. Sensible Männer glauben oft, daß Frauen die besseren Menschen sind. Aber Erfahrung macht klug: Gemeinheiten sind recht ausgewogen verteilt, ich weiß, wovon ich spreche: Ich arbeite in einem Beruf, in dem überwiegend Frauen vertreten sind. Körperliche Gewalt jedoch geht überwiegend von Männern aus.

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  3. Leider (ich jedenfalls bedaure es) gibt es auch in der Kunst Dinge, die gerade „angesagt“ sind. Schaufensterpuppen benutzte zum Beispiel auch irgend ein Künstler bei einer Ausstellung, die ich vor nicht allzu langer Zeit im Museum Europäischer Kulturen gesehen habe, um die verschiedenen Paarungen (Mann-Frau, Mann-Mann, Frau-Frau) darzustellen Da leuchtete es mir noch irgendwo ein. Diese formierte Art der Aufstellung erinnert mich immer sofort an Ivan Kafka. Aber okay, es ist auch in Ordnung, wenn Künstler aufeinander antworten oder sich auf einander beziehen. Dieses Thema allerdings zieht sich wirklich seit der Antike (und sicher auch davor) durch die Menschheitsgeschichte, durch alle Kulturen, durch alle Gesellschaftsschichten. Mich stört, dass es immer auf das Problem der Unterdrückung der Frauen durch die Männer festgelegt wird. Es ist die ewige Unterdrückung der physisch (aber auch wirtschaftlich) Schwächeren durch die Stärkeren. An den Geschlechtern macht sich das nur besonders leicht fest.

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    1. Ich habe auch gedacht, was kommt als nächstes: Vielleicht 444 männliche Schaufensterpuppen, die oben rum wie katholische Prister gekleidet sind, unten rum Strapsen tragen und an der Hand jeweils einen Jungen halten, der in fleischfarbenes Flatterband eingewickelt ist? Und so weiter, das könnte man endlos variieren.
      Ich mußte unwillkürlich an die Müllmänner von HA Schult denken.

      Das, was Du da ansprichst, ist die alte Diskussion um Haupt- und Nebenwiderspruch: Während die einen sagen, die Unterdrückung der Frauen sei nur eine Unterform oder Begleiterscheinung der Antagonisten Ausbeuter und Ausgebeutete, behaupten die anderen, die Unterdrückung der Frauen seien ein eigenes, neben dem ökonomischen Repressionsapparat bestehendes Problem, das es unabhängig davon zu lösen gelte. Wahrscheinlich sind beide Theorien nicht ganz falsch.

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  4. Es ist noch gar nicht so lange her, dass Vergewaltigung in der Ehe praktisch straffrei war. Insofern sehr aktuell das Thema. Ich finde die Aktion auf der Dom-Platte cool. Ob sich der Sinn nun erschließt, aber es sieht gut aus… 🙂

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    1. Ja, schlimm, ich kann mich daran erinnern, als das unter Strafe gestellt wurde, wie groß das Geschrei dagegen war bei CDU/CSU-Politikern.
      Auf jeden Fall war es ein Blickfang. Auch wenn mir diese Installation nicht so gut gefällt wie die andere, finde ich es super, daß sowas überhaupt gemacht wird.

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  5. mir ist gleich in den sinn gekommen, dass die verklebten schaufensterpuppenfrauen das thema gewalt gegen frauen zum thema haben.
    es war doch erst der gedenktag gegen gewalt an frauen, der 25. november.
    wie du schriebst, war bis auf eine alle frauen, es liegt also nahe.
    aber nicht jeder hat gedenktage im kopf.
    man hätte das thema vielleicht auch anders präsentieren können, da magst du richtig liegen, aber jeder künstler hat so seine vorstellungen.
    fein, dass du dich des themas annimmst und eine meinung dazu hast.
    jeden dritten tag ein mord an einer frau ist heftig.
    da bin ich froh, dass meine trennungen friedlich über die bühne gingen.

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    1. Ja klar, jeder Künstler muß das machen, was er machen muß. Als Betrachter muß man einfach nachspüren, wie sehr einen das berührt, und da gibt es die unterschiedlichsten Reaktionen, wie ja hier schon die Kommentare zeigen. Positiv ist, daß sowas überhaupt passiert, Kunst im öffentlichen Raum, das Nachdenken darüber, völlig unabhängig vom Resultat, macht Spaß. Dem Künstler ist auf jeden Fall zu danken.
      Ich erinnere mich an den Tag, in Köln wurden auch einige Gebäude orange angestrahlt.

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