Spaziergänge in Zeiten von Corona (7)

Nach meinem Eindruck schwankt die Stimmung in der Stadt in diesem „kleinen“ Lockdown zwischen Gelassenheit und leichter Hysterie, die besonders die öffentlichen Anordnungen betrifft. In dieser Konditorei nimmt man die Situation mit angemessenem Humor und ist hocherfreut über die Aufmerksamkeit, als ich frage, ob ich ein Foto machen darf.

Ich hatte mir angewöhnt, erst nach 22 Uhr einzukaufen, kaum Leute im Supermarkt, da ist man schnell durch, und das Ansteckungsrisiko ist gleich Null. Als ich vor ein paar Tagen eine Flasche Bier zu meinen anderen Einkäufen aufs Band legte, sagte mir der Kassierer, das könne er leider nicht mehr verbuchen, den Grund kenne er auch nicht. Ich machte ein bißchen Rabatz, der Türsteher eilte herbei und gab mir recht: Seit Monaten gab es ein Alkoholverkaufsverbot ab 23 Uhr, es war erst kurz nach zehn, aber was soll man machen, der Filialleiter war nicht mehr da, die Kasse nahm das einfach nicht an, also zog ich verdrossen von dannen. Wie sich später herausstellte, hatte die Stadtverwaltung bereits eine Woche vorher neue Corona-bedingte Einschränkungen in einem Amtsblatt verkündet, ohne das weiter mitzuteilen. Vielleicht stand es im „Kölner Stadtanzeiger“, aber wenn man den nicht mehr liest, blieb man uninformiert. Und in dem Amtsblatt steht, daß Alkohol seit dem 2. November bereits nach 22 Uhr nicht mehr verkauft werden darf. Natürlich ist das kompletter Blödsinn: Die Straßen sind leer, da alle Kneipen, Bars und Restaurants geschlossen sind. Wer unbedingt privat Parties feiern will, für den ist es egal, ob er sich vor 22 oder vor 23 Uhr mit Alkoholika eindeckt. Selbst ich, der nur ein Feierabendbier trinken möchte, weiß jetzt, daß ich früher einkaufen muß – blöderweise mit erhöhtem Risiko, da viel mehr Kunden im Supermarkt sind. Eine kleine und völlig sinnlose Anordnung – glücklicherweise wußte mein Stammkiosk auch noch nichts davon, so daß ich an dem Abend doch noch zu meinem Bier kam.

Alkoholverzehrverbot in der Öffentlichkeit herrscht heute bereits seit 6 Uhr, bis morgen 6 Uhr: Es ist der 11.11., Beginn der Karnevalssession, was normalweise mit tausenden Feiernden, also Saufenden, gefeiert wird. Wie jedes Jahr stellt die Stadt schon mal am Rand des Studentenviertels Absperrungen bereit, die normalerweise dazu dienen, die Straßen vom Autoverkehr abzusperren. In diesem Jahr – die Stadt traut ihren Bürgern nicht – rechnet man trotz des Karnevalsverbots mit unverbesserlich Feierwilligen, die es abzuhalten gilt. Alles hat zu, keine Karnevalsschlager, keine „superjeile Zick“, kein Alkohol – was sollte hier jemand suchen? Gut, wer das Amtsblatt nicht gelesen hat, weiß vielleicht nichts davon. Egal, die Stadt ist gewappnet. Und vielleicht hat sie recht: Es gibt leider viele, denen es völlig egal ist, ob sie jemanden anstecken und eventuell umbringen, solange es nur nicht sie selbst oder die eigene Familie betrifft.

Wer hier ohne Maske eintritt, wird erschossen. Der Laden ist inzwischen dicht, die Drohung geht ins Leere. Aber auch in bestimmten Straßen gilt die Maskenpflicht, und welche das sind – steht in dem Amtsblatt. Am besten macht man sich einen Ausdruck, um kein Bußgeld zu riskieren, oder macht es wie ich, sobald ich die Haustür verlasse, setze ich die Maske auf.

Damit man mich nicht mißversteht: Ich halte die Maske für wichtig und sinnvoll, und ich habe kein Verständnis für die 20.000 Covidioten, die neulich in Leipzig überwiegend maskenlos gegen die Corona-bedingten Einschränkungen demonstrierten. Moment – „Covidioten“ soll man nicht mehr sagen, habe ich kürzlich im Fernsehen gehört, das sei beleidigend und verhindere den Dialog mit Coronamaßnahmenkritikern, die ja zum Teil berechtigte Einwände hätten. Okay.

Im Oktober hat es in Tokyo eine Studie gegeben, in der nachgwiesen wurde, daß schon eine einfache Baumwollmaske bis zu 70% der Viren einer infizierten Person abhält, aber viel weniger, wenn man als Maskenträger einer infizierten Person gegenüber steht. Eine Maske schützt also vor allem die anderen, wenn man – vielleicht ohne Symptome und ohne eigenes Wissen – selbst infiziert ist. Das ist den … Coronamaßnahmenkritikern aber völlig egal.

Zu Anfang der Pandemie empfahl ein geschätzter Blog-Kollege, ich solle mir doch einmal die Videos eines coronakritischen Hals-Nasen-Ohren-Arztes ansehen: Ich war entsetzt über den hetzenden Ton, den Unsachverstand des Arztes – und über die Empfehlung des Blog-Kollegen. Eben diesen Arzt sah ich neulich am Rande einer Demo in eine Fernsehkamera sprechen: Die Coronaschutzmaske sei der neue Hitlergruß. Wie bitte? Laufen neuerdings Neonazis mit einer Maske durch die Gegend und glauben, sich gegenseitig daran erkennen zu können? Dann sollte doch mindestens ein Hakenkreuz darauf gemalt sein, oder? Nein, so ist es natürlich nicht gemeint. Der Arzt behauptet, daß Leute die Maske tragen, damit sie ihre Ruhe haben, obwohl sie überzeugt sind, daß sie keine Wirkung hat – wie damals im Dritten Reich, als viele ihren Arm zum Hitlergruß reckten, um sich bei der Gestapo nicht verdächtig zu machen. Daraus folgt: Wer die Maske nicht trägt, ist ein Widerstandskämpfer.

Mal davon abgesehen, daß der HNO-Arzt durch diese Gleichsetzung die Widerstandskämpfer gegen das Nazi-Regime verhöhnt, die ihr Leben einsetzten gegen eine Barbarei, wie sie die Welt selten gesehen hat, gegen Folter und KZ und Genozid der Juden, der Sinti und Roma, gegen die Vernichtung von Behinderten und Andersdenkenden – der Vergleich ist so dumm, da fehlen mir fast die Worte. Ein Maskenverweigerer hat mit einer Verwarnung und – bei Nichtbeachtung – mit einem Bußgeld zu rechnen. Dann kann er nach Hause fahren, sich weiterhin den Blödsinn seines Hals-Nasen-Ohren-Helden auf Youtube anhören und sich auf Twitter mit Beschwerden über – wissenschaftlich fundierte – Einschränkungen seiner Grundrechte aufregen, ohne daß ihm irgendwas passiert. Ja, er kann sogar andere Leute anstecken und unter Umständen umbringen, ohne daß das für ihn irgendwelche Konsequenzen hat. Zur Erinnerung: Den Ausdruck „Covidioten“ sollen wir nicht mehr benutzen. Schwer.

Die Studie über die Wirksamkeit von Masken wird hier in deutscher Sprache erklärt, die Originalstudie in Englisch findet ihr hier.

Wir gehen viel spazieren in diesem wundervollen Herbst …

… und essen selbstgebackenen Schokoladenkuchen mit Vanillesoße. Man muß sich zu helfen wissen.

19 Gedanken zu “Spaziergänge in Zeiten von Corona (7)

  1. Jede Krise läßt uns anscheinend auch immer in eine gewissen Fratze blicken und da wo wir – ach ja, unsere Blumenkindernaivität kommt wieder durch- dachten: so schlimm wird es ja wohl nicht sein, tun sich die Abgründe der Blödheit auf.
    Dummheit kann gefährlich sein, dann nämlich, wenn sie Öl ins Feuer gießt (wir alle kennen das von einem jüngst abgewählten orangehaarigen Clown) und die US and THEM Nummer mal wieder erblüht: Die da haben keine Ahnung, wir schon.
    Weil die so und so sind, ist das wie bei Hitler, der Untergang des Abendlandes, das Ende der Freheit, blabla bla.

    Was tun? Stellung beziehen. Mund aufmachen. Ein Vorbild sein.
    AHA- denkt nun der Schlaue, behält es bei, was zu helfen scheint, wendet sich vom Wahnsinn ab und dem Kuchen zu. Niemals so ganz falsch, sich was zu gönnen. Keep calm and wear (your mask) on.

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    1. Ja, und es ist erschreckend, wie viele Leute denen auf den Leim gehen. Ich habe noch gar nichts davon gehört, daß Bill Gates und die WHO für Trumps Wahlniederlage verantwortlich sind – was sag ich, für den Wahlbetrug natürlich, nachdem der Mordversuch mit Corona nicht geklappt hat. Aber das kann nicht mehr lange dauern.

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  2. Long time no read! Die Teddybären im Café sind hinreißend. Alles Wichtige, was man über Corona wissen muss, wissen wir bereits seit dem März. Alltagsmasken schützen vor allem die Anderen, was aber auch bedeutet, sie helfen viel, wenn alle sie tragen – und zwar Mund UND Nase bedeckend. Seit einiger Zeit benutze ich öffentliche Verkehrsmittel nur noch mit K95, verbinde das meist mit einem Einkauf und bin deshalb auch im Supermarkt entspannter, wenn mir – wie gerade gestern wieder – an der Kasse jemand fast in die Hacken tritt. Ansonsten immer Hände gründlich waschen, sich unterwegs (also mit ungewaschenen Händen) nie in die Augen fassen. Dass ich auch meine sämtlichen Einkäufe desinfiziere mag übertrieben sein, aber ich greife einfach mit mehr Appetit zur Milchtüte, wenn ich sie vorher entsprechend abgewischt habe. Habe neulich meine Schwiegersohn (Arzt in der Charité) gefragt, wie es denn im Kollegenkreis mit den Infektionszahlen aussieht, und seine Antwort hat mit bestätigt, dass man es durch entsprechende Schutzmaßnahmen und ein vernünftiges Verhalten schon weitgehend in der Hand hat, ob man sich ansteckt. COV 19 ist ernst zu nehmen, aber es ist nicht die Pest. Wenn die Leute sage: „Ich kann’s nicht mehr hören!“, dann sollen sie sich bei denen beschweren, die eben seit Monaten nicht zugehört und angemessen reagiert haben. Bleib gesund!

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    1. Schön, von Dir zu lesen. Wahrscheinlich bist Du auf der sichereren Seite, wenn Du Deine Einkäufe desinfizierst, man weiß nie, wer das alles schon angefaßt hat. Wenn ich mir frische Brötchen vom Bäcker hole, kommen sie als erstes für 10 Minuten bei 100 Grad in den Backofen. Die Leute scheinen allgemein vorsichtiger zu sein: Die Stadt war heute, am 11.11., voll mit Polizisten und anderen Sicherheitskräften, um aufkeimenden Straßenkarneval zu unterbinden, aber soviel ich gesehen und gehört habe, hat es nicht einen Versuch gegeben, und all die Absperrungen, die sie sicherheitshalber über die Stadt verteilt schon mal bereit gestellt hatten, sind nicht zum Einsatz gekommen.

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      1. Wie heißt es so schön? In der Ruhe liegt die Kraft – auch die Kraft, um durch diese Krise zu kommen. Wie ich Dich immer verstanden habe, wirst Du den Karnevalstrubel kaum vermissen. (Ich nehme nicht an, dass bis zum Rosenmontag die Versammlungsfreiheit voll wiederhergestellt ist. Das Durchimpfen der Bevölkerung wird dauern, und an den Impfverweigerern werden wir noch unsere Freude haben. Es entfällt dann leider für Dich ein Grund ins wenig karnevalsafine Berlin zu flüchten. Und dabei hast Du bei diesen Gelegenheiten immer so schön über die Hauptstadt berichtet und Dinge ausfindig gemacht, die ich als (betriebsblinde) Berlinerin glatt übersehe.

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        1. Tatsächlich haben wir schon beschlossen, den nächsten Berlinbesuch von Karneval in den Sommer zu verlegen, bis dahin hat sich die Situation hoffentlich entspannt, und wenn der Karneval im Februar hier so abläuft wie gestern, gibt es keinen Grund, aus der Stadt zu fliehen. Mal schauen, ob wir noch was entdecken. Da fällt mir ein: Von den letzten beiden Aufenthalten habe ich noch gar nichts erzählt. Vielleicht hole ich das zwischendurch mal nach.

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  3. Bei mir dürfen nicht einmal mehr süsse teddybären im café sitzen…. Alles zu, lockdown total, nur die kinder dürfen -im umterschied zur ersten welle- weiterhin zur schule. Spaziergänge sind nur eine stunde am tag erlaubt und ich muss ein papier mitführen, das den grund meiner ausserhäusigkeit dokumentiert. OK, jetzt gibt’s wenigstens eine app dafür um die papier- und tintenverschwendung zu limitieren.
    Meine familie habe ich seit mai 2019 nicht mehr life gesehen. Das ist leider kein tippfehler, denn ich fahre meist nur einmal pro jahr zu besuch!

    Irgendwann ist der spuk hoffentlich eingedämmt, vielleicht sogar vorbei. Darauf freue ich mich! 🙂
    Bisous vom meer

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    1. Weitgehende Ausgangssperre, das ist hart, hier kann man wenigstens noch so lange herumspazieren, wie man möchte. Allerdings sinken die Infektionszahlen auch nicht nennenswert, ob es damit zusammenhängt, oder damit, daß die Geschäfte immer noch geöffnet sind? Ich weiß es nicht. Der Direktor des Robert-Koch-Instituts sagte gerade in einer Pressekonferenz, im Winter müßten wir „die Pobacken“ noch zusammenkneifen – besser nicht, Verdauungsprobleme, das würde mir gerade noch fehlen.;-)

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  4. wie du setze ich meine maske schon ab der haustür auf und nehme sie erst ab, wenn alles erledigt und besorgt ist.
    gestern wurde mit einem großaufgebot an polizei, ordnungsamtmitarbeiter und bupo in hannover und region nach maskenverstößen ausschau gehalten.
    die meisten halten sich daran, einige aber nicht und müssen erneut ermahnt werden.
    bei uns im ort steigen und steigen die bestätigten fälle jeden tag aufs neue an und werden nicht weniger.
    das macht unsicher und einsam.
    ich bleibe viel zuhause, habe kaum persönlichen kontakt und pflege freundschaften mit dem telefon.

    pass gut auf dich und deine liebste auf und vor allem: bleibt gesund!

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    1. Gerade hat es zwei gute Bekannte von mir erwischt, ich hoffe, es läuft glimpflich ab. Paß auch Du gut auf Dich auf, Geno, da müssen wir jetzt durch. Nicht mehr lang, irgendwann im nächsten Jahr, können wir uns impfen lassen, dann hat der Spuk ein Ende.

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  5. Ein Gutes hat die blöde Seuche – es gibt keinen Karneval dies Jahr und auch keine Weihnachtsmärkte. Beides brauche ich wie einen Kropf. Covidioten ist noch zu harmlos für diese Hirnis – ich schrieb bei mir im Blog auch darüber. Bald platzt mir die Hutschnur. So was dämliches, wenn es nicht so ärgerlich wäre…. 🙄 Auf diesen Demos tummelt sich alles mögliche und unmögliche Pack, auch jede Menge echte Nazis. Zum Glück gewinnen die hier in Frankfurt keinen Boden bei 25% Ausländeranteil. Die würden hier schnell auf ihre hetzende Fresse kriegen – sorry, aber es ist doch war, so was Dummes – koppschüddel… 🙄

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    1. Ja, kein Karneval, ein Glück. Bei Weihnachtsmärkten bin ich mir nicht so sicher, ein paar kleine sind hier in Planung, wenn ich richtig informiert bin. Aber das finde ich in Ordnung. Nervig sind ja nur diese Massenveranstaltungen, wo aus anderen Städten und Ländern mit Bussen Millionen von Menschen hergekarrt und mit Billigglühwein aus dem Pappkarton abgefüllt werden.
      Neulich habe ich gehört, daß dieser HNO-Arzt inzwischen so beliebt ist bei den Coronaleugnern, daß er sogar auf Tournee geht und zu zu seinen Jüngern spricht. Daß Leute durchgeknallte Typen mögen, hielt ich bisher für ein amerikanisches Problem, hier wird man eines Besseren belehrt.

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      1. Oh ja, da gibt es einige Berufs-Prediger und Hetzer, viele Video-Blogger – die kennen sich alle und treffen sich jedes Wochenende in einer anderen Stadt, so wie Fußball-Fans zu ihren Auswärts-Spielen fahren. Da kann man wirklich nur mit dem Kopf schütteln. Die haben ein völlig krudes Weltbild. 🙄

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