Fluchtpunkt Berlin (4)

Eine gute dreiviertel Stunde muß man mit der S-Bahn fahren, um vom Zentrum Berlins nach Potsdam zu kommen. Vom Hauptbahnhof dort noch zwei Stationen, und man ist am recht weitläufigen Park von Sanssouci.

Im Hintergrund das „Neue Palais“, in dem Friedrich II. seine Gäste untergbracht hat. Man kann es besichtigen, allerdings nicht an einem Dienstag – jetzt ratet, an welchem Wochentag wir da waren.

Macht nichts, eigentlich sind wir sowieso deswegen hier (jedenfalls hauptsächlich): Die Weinterrassen vor dem Schloß Sanscouci und das Schloß selbst. Wenn man die Stufen hinaufläuft, kommt man hier an:

Sieht gar nicht nach Schloß aus, eher nach einer Orangerie, und ist viel weniger repräsentativ als das Palais, aber genau so sollte es sein: Friedrich II. entdeckte den Ort auf einem Ausflug und war so angetan davon, daß er beschloß, hier einmal begraben zu werden. Etwas später dachte er sich, daß es sinnvoller ist, den Ausblick schon zu Lebzeiten zu genießen, also ließ er nur für sich und sein Personal eine Sommerresidenz errichten. Sanssouci, der Begriff ist französisch, „sans souci“ heißt „ohne Sorge“.

Rätselhaft ist die Beschriftung, die auf Veranlassung des Königs so angebracht wurde: „SANS, SOUCI.“ Was machen Komma und Punkt da? Er selbst hat es nicht verraten, daher gibt es inzwischen alle möglichen Interpretationen: Vielleicht ist es eine Geheimschrift? Das Komma soll für Calvinismus stehen (eine besonders strenge Form des Protestantismus), der Punkt für die Vernunftreligion Deismus, also: „Ohne Calvinismus ist man sorgenfreier Deist“. Hm – ein bißchen umständlich, oder?

Eine andere Theorie liest alles auf französisch: „Sans virgule souci point“. Virgule wird übersetzt mit Schrägstrich, Beistrich, Strichlein oder auch (Achtung, jetzt kommt’s:) Stäbchen. Friedrich war (möglicherweise) durch einen operativen Eingriff in der Leistengegend impotent, also frei von sexuellem Verlangen: „Ohne Stäbchen (=Schwänzchen) keine Sorge mehr“. Klar, das würde ja jeder so machen, durch eine Fehloperation wird man impotent und nennt dann ein Schloß danach, oder sein Schiff oder was man sonst so hat. „Schau mal, das ist mein neues Auto, ich nenn‘ es Impotenzia.“

Eine dritte Theorie: Auf Geheiß seines strengen Vaters mußte Friedrich im Alter von 20 Jahren Elisabeth Christine von Braunschweig-Bevern heiraten, obwohl er (vielleicht, wahrscheinlich?) schwul war. Kaum war der Vater verstorben, verbannte er die ungeliebte Frau nach Schloß Schönbrunn und residierte selbst an anderen Orten. Die Kurzform von Elisabeth ist Sissi, oder auch – Susie. „Sans souci“ – „sans Susie“: Ohne Susie, keine Sorgen.

So sieht das Ensemble übrigens zusammen aus.

Der Eingang auf der Rückseite ist umgeben von einem eindrucksvollen Säulenbogen …

… von dessen Mitte aus man auf einen gegenüberliegenden Hügel mit Ruinen schauen kann. Nicht, daß die Ruinen verfallene Häuser sind, sie wurden gleich als Ruinen dort aufgebaut, sowas im Blick zu haben fand man schick im 18. Jahrhundert (fehlt eigentlich nur noch der Schmuckeremit).

Natürlich waren wir auch im Schloß, davon erzähle ich nächstes Mal.

Fortsetzung folgt.

Fluchtpunkt Berlin (3)

Eine kleine, aber feine Ausstellung finden Freunde der modernen Kunst in dem kleinen Hof neben dem Haupteingang zu den Hackeschen Höfen.

Jedes Mal, wenn ich hier bin, werden zum größten Teil neue Werke ausgestellt, die alten werden – zerstört! Welch Frevel, aber es geht nicht anders, denn es handelt sich um Graffitikunst.

Horden von Touristen aus aller Welt werden hier durchgeführt, die natürlich (genau wie ich) alles abfotografieren. Ob die Darstellung des Affen mit der Kamera ein Kommentar des Künstlers dazu ist?

Die Künstler dürfen hier legal ihr Können zeigen, daher kann man Polizeihelme getrost für andere Bedürfnisse benutzen als vorgesehen.

Dieser Künstler zitiert ein anders Bild, eine Ikone der Antikriegsbewegung zu Zeiten des Vietnamkrieges:

Das Poster hing Anfang der 70er in vielen Wohngemeinschaften. Die Frage ist immer noch aktuell: Warum Krieg? Zum Einen natürlich, weil man Geld damit verdienen kann, viel Geld. Wenn dann noch Politiker mit psychopathologischen Zügen dazukommen, ist das Paradies soweit entfernt, wie es weiter nicht geht.

Adam und Eva haben sowieso besseres zu tun: Urlaub in Berlin, das ist hip. Coole Sonnenbrillen haben sie schon.

Der Künstler legt letzte Hand an.

Bunt, groß, folkloristisch …

… wie auch diese Indianerin. Das Kamel staunt und hat erstmal ein Foto gemacht.

So laß ich mir Karneval gefallen – still.

Gendermix.

Noch eine Mix: Ein zwei- und dreidimensionales Graffito.

Auch Surrealismus ist vertreten, sehr schön.
Das ist nur ein kleiner Ausschnitt, es gibt noch mehr Werke zu sehen. Ein Besuch lohnt sich!

Fortsetzung folgt.

Fluchtpunkt Berlin (2)

Das ist der Kollhoff-Tower am Potsdamer Platz, ein Bürogebäude, benannt nach seinem Architekten Hans Kollhoff. Gut 100 Meter ist er hoch. So gut, so langweilig – das Schöne ist: Die beiden letzten Etagen sind Panoramaplatformen, auf die man fahren kann, wenn man bereit ist, 6,50 Euro zu bezahlen.

Die Fahrstuhlführerin leiert ein paar Informationen während der Fahrt herunter – sie muß sich beeilen, denn nach 20 Sekunden ist man schon oben: Der schnellste Aufzug Europas hat eine Geschwindigkeit von über 30 km/h – man merkt nichts davon, so sanft fährt er an und bremst wieder ab. Von dem Bären, der uns oben erwartet, hat sie aber nichts erzählt. Macht nichts, der tut nix, der will bloß spielen.

Es ist bitterkalt hier oben, der Wind bläst viel schärfer als unten. Dafür hat man einen guten Ausblick auf den Berliner Dom, den Fernsehturm und überhaupt auf die Dächer Berlins.

Und in das DB-Haus gleich nebenan. Komisch, da sitzt kaum jemand an seinem Schreibtisch – ob die alle schnell abgehauen sind, als sie uns mit unseren Kameras sahen? Obwohl, die müssen das ja eigentlich gewohnt sein. So einen Arbeitplatz möchte ich nicht haben, wo man nicht mal unbeaufsichtigt in der Nase popeln oder noch intimere Sachen machen kann. Diese moderne Glasarchitektur wird oft mit positiv besetzten Begriffen wie Transparenz und Demokratisierung umschrieben, ich dagegen finde das Wort von Richard Sennett vom „Terror der Intimität“ angemessener: Transparent ist hier nur die Außenwand, die eine voyeuristische Sicht in die Büros ermöglicht. Was die da mauscheln, welche Pläne sie schmieden, um z.B. Gewerkschaften wie die GDL zu diskreditieren, davon wissen wir gar nichts.

Der Leipziger Platz – das Gebäude unten links, an dem die Reklame hängt, ist übrigens immer noch mit einer bedruckten Plane umhüllt, die Fenster sind nicht echt, seit Jahren ist das schon so. Merkwürdig.

Der Blick zur anderen Seite: Mitte links der Berlinale-Palast, daneben die Staatsbibliothek und auf der anderen Straßenseite die großartige Neue Nationalgalerie, die leider für vier Jahre wegen umfangreicher Sanierungsarbeiten geschlossen ist.

Ein Blick in s/w auf die Potsdamer Str. …

… im Detail auch in Farbe ganz schön.

Das sogenannte Sonnendeck, die 25. Etage. Die Sonne läßt uns leider im Stich, länger als 5 Minuten hält man das hier nicht aus. Es gibt hier oben auch ein Café, aber wir vermuten hohe Preise und fahren lieber wieder hinunter.

Ein letzter Blick zur Goldelse zeigt, daß ein Besuch der Panoramaterassen im Sommer bestimmt lohnenswerter ist. Einen Vorteil hat allerdings der Besuch im Winter: Wir hatten überhaupt keine Wartezeit.

Fortsetzung folgt.

Fluchtpunkt Berlin (1)

Bei einem unserer vergangenen Besuche in Berlin lag in der Ferienwohnung das Buch „111 Orte in Berlin, die man gesehen haben muß“, inzwischen ist die Anzahl sogar auf 222 gestiegen, denn es gibt nun sogar einen Band 2. Natürlich muß man gar keinen dieser Orte gesehen haben, aber als Tippgeber für Touristen sind die Bücher gar nicht übel. Allerdings werden auch Orte empfohlen, die dann ärgerlicherweise gar nicht zugänglich sind.

Der stillgelegte S-Bahnhof Siemensstadt läßt sich nur von außen fotografieren. Zigtausende von Siemensmitarbeitern wurden hier früher durchgeschleust, der 2. WK sorgte dafür, daß die Produktion nach und nach hauptsächlich in den Westen verlagert wurde und man die S-Bahnstation nicht mehr brauchte.

Ein anderer Ort, den man „unbedingt“ gesehen haben soll, ist das Ballhaus „Riviera“ in Grünau. Hier, in dieser Vergnügungsstätte direkt am Ufer der Dahme, fanden die „Goldenen Zwanziger“ (jedenfalls teilweise) statt, rauschende Feste wurden hier gefeiert, was man den Sälen noch ansehen soll – leider alles abgesperrt.

Im kleinen Park daneben finden wir diese kleine Stele – es dauert etwas, bis wir herausgefunden haben, wer S.H. ist: Der Schrifsteller Stefan Heym, der von 1952 bis 2001 in Grünau gelebt hat. Ich habe die Bücher von Heym immer gern gelesen, „Collin“ und „Ahasver“ kann ich besonders empfehlen, ganz besonders seine Autobiographie „Nachruf“ über sein wechselvolles Leben als Flüchtling vor den Nazis, amerikanischer Soldat im 2. WK, Flucht vor der Kommunistenhatz McCarthys, dann Bürger der DDR, mit deren Führern er es sich bald verdarb, was zu einem weitreichenden Publikationsverbot führte. Und nach der Wende war er auch noch Mitglied und Alterspräsident des Deutschen Bundestags – was für ein Leben!

„Das Besondere an diesem verlassenen Gelände: Es steht offen“, steht in dem Buch. Von wegen! Der letzte Ort, vor dem ich warnen möchte, ist das ehemalige Säuglings- und Kinderkrankenhaus in Weißensee: Ein riesiges Gelände mit vielen halbverfallenen Häusern, komplett eingezäunt und nicht zugänglich.

Macht nichts, waren wir da auch mal, in Weißensee, meine ich, Namensgeber einer ausgezeichneten Fernsehserie über die letzten Tage der DDR. Da gibt es tatsächlich einen kleinen Teich mit Strandbad …

… und am gegenüberliegenden Ufer ein kleines Café/Restaurant …

… in dem die Speisen von zwei Kellnern an den Tisch gebracht werden, die bezahlt sein wollen, weshalb Kaffee und Kuchen hier 7,50 Euro kosten. Aber immerhin ist es warm.

Etwas enttäuschend, unsere Ausflüge, aber in den Hackeschen Höfen bemüht man sich um Trost.

Fortsetzung folgt.

Sommer in Berlin (6)

Zum Schluß ein touristisches Highlight, nicht nur für Touristen, auch Einheimische haben bestimmt Vergnügen daran, ihre Stadt mal aus einer anderen Perspektive zu besichtigen: Eine Bootstour rund um Berlin. An der O2-Halle (roter Pfeil) geht’s los …

… als erstes unter der Oberbaumbrücke durch, dann die nächste rechts in den Landwehrkanal. Es folgen 240 Fotos, die ich auf der dreieinhalbstündigen Fahrt gemacht habe.

Kreuzberger Ufer – der Liebesgruß ist nicht mehr ganz frisch, aber dennoch ernst gemeint.

An der Ankerklause stößt das Maybachufer auf den Kottbusser Damm. Am Maybachufer findet zweimal in der Woche ein sehr schöner türkischer Markt statt, ein Besuch lohnt sich.

Aber natürlich nicht jetzt, man sollte besser auf seinem Hintern sitzen bleiben, wenn man sich nicht den Kopf stoßen will. Die Tour wird auch „Brückenfahrt“ genannt, die vielen Brücken sind oft so niedrig, daß das Schiff so gerade darunter paßt.

Während der Fahrt wird man von einem auf Band gesprochenen Text auf Sehenswürdigkeiten hingewiesen – sowas kann sehr nervig sein, hier aber nicht, der Sprecher hat frei und unaufdringlich gesprochen. So eine Verzierung eines Gründerzeitgebäudes wie oben rechts nennt man Zwiebel. Da die Nachbarzwiebel heruntergefallen war, suchte man im Depot nach Ersatz – und fand nur eine Ananas. Eine pragmatische Lösung.

Ein Hobbymaler, der seine Bilder möglichst vielen Menschen aufdrängenzeigen will, hängt sie an eine Straße, und sei es eine Wasserstraße.

An der Corneliusbrücke wird eine halbe Stunde Pause gemacht, da hier der eigentliche Beginn der Rundfahrt ist. Zeit, sich die Beine zu vertreten. Ganz gut, daß der Himmel meist bedeckt ist, die Sonne würde einen sonst ganz schön braten.

Schwupps – da sind wir schon auf der Spree. Die Damengruppe vor uns hat bereits die erste Flasche Sekt geleert, verhält sich aber gesittet. Bockwurst gibt es auch.

Die Spreebebauung im Westen ist komplett in finanzkräftiger Hand. Im Osten gibt es noch einen stärkeren Wechsel, aber man ist dabei, das zu ändern.

In der Nähe des völlig überdimensionierten Bundeskanzler(innen?)amts …

… sitzen merkwürdig gesichtslose Menschen. Wie ich gehört habe, soll das oft vorkommen in dieser Gegend, daß Menschen hier ihr Gesicht verlieren, Niebel, Pofalla, von Klaeden und wie sie alle heißen. Furchtbares Schicksal. Allerdings gibt es auch Stimmen, die sagen, der Vorwurf sei unfair, die Betroffenen hätten überhaupt noch nie ein Gesicht gehabt oder es schon früher verloren – gut, dann ist es für sie nicht ganz so schlimm.

Hier kann man gucken, wie man angeguckt wird. Wenn ich da auch säße, würde ich mich wahrscheinlich auf dem Schiff fotografieren.

Gaffel Kölsch? Och nö, deswegen sind wir nicht nach Berlin gekommen.

Am Reichstagsgebäude – nicht ein Politiker, der am Fenster steht und winkt. Zu nichts zu gebrauchen, diese Leute.

Ah ja – den Berliner Dom kann man also auch besteigen. Gleich mal eine Notiz machen.

Im Ostteil der Stadt gibt es noch sowas …

… aber man gibt sich Mühe, alles Alte zu zerstören …

… um solche Gebäude zu errichten. Viel Geld wird eingesetzt, um noch mehr zu bekommen, gewachsene Stadtstruktur wird ökonomischen Interessen geopfert.

In wenigen Jahren wird alles zugebaut und erneuert sein.

Eine sehr schön verbrachte Zeit, ich kann es nur jedem empfehlen. Wer noch ein paar mehr Bilder sehen will, klickt hier – keine Angst, es sind insgesamt nur 40.

Sommer in Berlin (5)

Ganz schön groß, das „Ministerium für Staatssicherheit“ (Stasi). Immerhin waren hier im Jahr 1989, also kurz vor seiner Auflösung, 91.015 hauptamtliche Mitarbeiter beschäftigt – Wikipedia hat ausgerechnet, daß somit 1 Stasi-Mitarbeiter auf 180 Bürger der DDR kam, ein Verhältnis, das bis heute einzigartig ist. Und dann noch über 100.000 informelle Mitarbeiter, die Spitzeldienste verrichteten … gut, heute braucht man nicht mehr so viele Leute, da drückt bei der NSA ein Finger auf einen Knopf, und sämtliche Daten der Bürger, die heute im Internet waren oder telefoniert haben, werden automatisch abgespeichert und gefiltert – nicht nur die Daten der eigenen Bürger, sondern gleich der Bürger der ganzen Welt. Bei der Stasi würde man vor Neid erblassen.

Im Hauptgebäude, in dem Erich Mielke sein Büro hatte, befindet sich nun ein „Stasimuseum“, Schulklassen und Reisegruppen werden hier durchgescheucht.

Die Privaträume Erich Mielkes …

… daneben sein Büro. Ich habe mal Fotos von den Räumen des Bonner Kanzlerbungalows gesehen, ich glaube, da sah es ähnlich aus.

Das stimmt zum Teil, allerdings bezogen auf jedes Gesellschaftssystem: Pädagogik, Propaganda (=Presse), Politik und nicht zuletzt die Ökonomie bestimmen und lenken die Geschicke einer Gesellschaft.

Übles Propagandamaterial.

Errungenschaften des realen Sozialsmus: Bunte Plattenbauten auf Kriegstrümmern …

… die man leicht verkabeln konnte. Alte Technik, heute macht das der Provider.

Verwaltungstristesse: Der Warteraum von Mielkes Fahrern.

Die durften auch Radio hören, aber damit sie nicht Westsender hörten mit der billigen Ausrede, sie hätten sich verdrückt, hat man die drei Ostsendertasten entsprechend markiert.

Eine Anleitung zur Abnahme von Geruchskonserven. Der kontaminierte Stoff wurde mit einer Zange in ein Weckglas gegeben und entsprechend beschriftet. Für die Hunde, die darauf trainiert wurden, gab es eine extra Schule.

Es gibt viel zu lesen in diesem Museum, vieles mutet absurd an, wie diese Liste der „Auswirkungen der politisch-ideologischen Diversion“ aus den 80ern. Aber eins wird auch klar: Es war kein Zuckerschlecken, in die Fänge der Stasi zu geraten.

Und er, dessen Antlitz an christliche Gottesdarstellungen erinnert, oder an den Weihnachtsmann, er soll an all dem die Schuld haben? Ich glaube, wenn Karl Marx gewußt hätte, was hier in seinem Namen geschieht, er hätte nicht ein Wort veröffentlicht und all seine Schriften im Kamin verbrannt.

Sommer in Berlin (4)

Ein Schwerbelastungskörper ist der Körper eines Mannes, den man schwer belasten kann, also z.B. ein Gewichtheber, der seine Leisten mit einem breiten Gürtel zusammenhält, worüber ein dicker Bauch das Trikot spannt – könnte man meinen, stimmt aber nicht. Der Schwerbelastungskörper ist – ja, was genau? Ein Gebäude? Darin wohnen kann man jedenfalls nicht.

Wenn man auf den Ausguck klettert, der neben dem Bau steht, sieht er so aus: Ein Klotz aus Beton, 14 Meter hoch, 21 Meter im Durchmesser, 12.600 Tonnen schwer, und – hier lüftet sich das Geheimnis – er ragt noch 18 Meter in die Erde hinein, hier eine Skizze, die ich von einer Schautafel abfotografiert habe:

Die Lösung: Die Nazis hatten in ihrem größenwahnsinnigen Plan, Berlin zu „Germania“ umzubauen, vor, hier einen riesigen Triumphbogen zu errichten, und um zu prüfen, ob der Boden das tragen würde, ließ Hitlers Architekt Albert Speer 1941 den Schwerbelastungskörper bauen. Der Triumpfbogen sollte 117 Meter hoch (drei Viertel des Kölner Doms) und 170 Meter breit werden (zum Vergleich: Der Pariser Arc de Triomphe ist ca. 50 Meter hoch und 44 Meter breit).

Hier kann man die Schneise sehen, die die Nazis durch Berlin ziehen wollten, ungefähr vom heutigen Südstern geradewegs bis zum Reichstagsgebäude, mit einer Straßenbreite von 120 Metern …

… an deren Ende eine riesige runde Halle für 180.000 Leute entstehen sollte. Zum Vergleich: Der Pfeil zeigt auf das Reichstagsgebäude, in dem heute der Bundestag sitzt.

Aber zurück zum Schwerbelastungskörper: Das Denkmal ist umzäunt, aber der Eintritt ist frei. Unten kann man herumgehen und sich alles genau ansehen …

… und einen Blick in den verwitterten Raum werfen, der wahrscheinlich zu den unterirdischen Meßräumen führte.

Ob der Topf hier auch schon seit den 40ern steht, weiß ich nicht.

Nach dem 2. WK überlegt man, den Bau zu sprengen, verwarf es aber wegen der nahen Häuser. Die Nazis hätten ihn auch nicht gesprengt: Sie hatten vor, die ganze Gegend wegen der Prachtstraße zu erhöhen, der – ja immerhin 14 m hohe – Schwerbelastungskörper hätte dann unter der Erde gelegen (kein Scherz) – was für ein Wahnsinn, auf hunderte von Metern links und rechts der neuen Straße hätten die Nazis alles platt gemacht.

Sommer in Berlin (3)

Als wir morgens mit dem Bus von Kreuzberg zu einer einer weiteren Berliner Attraktion fahren wollten, war der Zugang zur Haltestelle abgesperrt, und wie wir dann merkten, nicht nur der, sondern ganze Straßenzüge, Hunderte von Polizisten verwehrten den Zutritt zu einem großen Gebiet. War hier vielleicht eine Gasleitung geplatzt? Die erste Polizistin verwies uns auf Nachfrage an die Pressestelle, erst der zweite gab Auskunft: Wegen der Räumung der besetzten Gerhart-Hauptmann-Schule (die nicht mehr betrieben wird) sei die Gegend aus Sicherheitsgründen abgesperrt.

So leer habe ich die Wiener Str. noch nie gesehen.

Seit Dezember 2012 hielten sich in dem Schulgebäude mit Duldung des grünen Bezierksrates Asylbewerber auf, die Gruppe war in der Zwischenzeit auf 200 bis 300 Personen angewachsen, und forderten Bleiberecht in Deutschland, was ihnen aber natürlich nicht von den Grünen gewährt werden konnte, zuständig dafür ist der CDU-Innensenator. Die Verhältnisse in der alten Schule sind alles andere als lebbar: Nur eine Dusche für so viele Leute, miserable Wohnbedingungen, dazu die Unsicherheit, das führte immer wieder zu Streit, in einem Fall sogar zu einer Messerstecherei und einem Toten – unhaltbare Zustände.

Die grünen Bezirkspolitiker bemühten sich monatelang um eine einigermaßen verträgliche Lösung und erreichten, daß viele der Besetzer sich bereiterklärten, besser geeigneten Unterkünften zuzustimmen. Um diesen Umzug reibungslos über die Bühne zu bringen, forderte der Bezirksrat die Hilfe der Polizei an, die dann, wie gesagt, in einer Stärke von ca. 1.000 Beamten gleich weiträumig den Straßenverkehr lahmlegte, Personenkontrollen durchführte und für schlechte Stimmung sorgte – ein Zustand, der über eine Woche so blieb, da sich 40 bis 80 Asylanten weigerten, das Gebäude zu verlassen.

Inzwischen hat man sich geeinigt – ein grüner Bezirkspolitiker hatte eigenmächtig die Polizei zu gewaltsamen Räumung aufgefordert, was im letzten Moment von seinen KollegInnen abgewendet werden konnte. Die restlichen Besetzer können weiterhin in einem Flügel des Gebäudes bleiben, während die anderen Gebäudeteile saniert und zu einem Flüchtlingszentrum ausgebaut werden.

In meinen Augen war die Besetzung – ich meine die der Polizei – völlig unverhältnismäßig: Muß man wirklich über eine Woche ein halbes Viertel absperren, um ein (1) Haus zu sichern? Dem CDU-Innensenator paßt das vermutlich ganz gut: Den ganzen Ärger, also die ungeklärte Asylantenfrage und die umfangreichen Behinderungen der letzten Tage, kann man wunderbar dem grünen Bezirksrat in die Schuhe schieben, dabei haben nur die Grünen intensiv versucht, den Spagat zu schaffen zwischen der rigiden Asylgesetzgebung auf der einen Seite und den Schutzbedürfnissen der Asylanten auf der anderen. Wie gesagt, der, der ein Bleiberecht zu- und absprechen kann, ist der CDU-Innensenator Frank Henkel (der übrigens, wie man hier sehr schön nachlesen kann, selbst ein Flüchtlingskind ist).

Sommer in Berlin (2)

… soll in Wirklichkeit heißen: Kreuzberg bleibt eigenwillig. Ich nehme an, das ist eine Reaktion auf das hier:

Eine offizielle, von irgendwelchen Werbefuzzies ausgearbeitete „Freundlichkeitsoffensive“ der Stadtverwaltung, die ihren eigenen Bürgern nicht so recht traut und darum bittet, freundlich zu sein zu den zahlenden Touristen. Kreuzberg braucht diese Aufforderung nicht, hier wohnen die freundlichsten, gelassensten Menschen, die man in der Stadt kennenlernen kann.

Na gut, vielleicht nicht alle. Aber wahrscheinlich hatte der Schreiber nur schlechte Laune, hätte ich auch, wenn ich in der Höhe kopfüber über dem Dachrand hinge und vergessen hätte, wie Buchstaben auf dem Kopf aussehen. Die „Fickt-Eusch-Allee“ habe ich nicht gefunden, im Stadtplan steht sie gar nicht.

„Du hast doch nur Shiss so richtig aus Liebe zu küssen“, steht da – ob sexuelle Frustration der Grund für die Botschaften ist? Unerwiderte Liebe?

Das dagegen ist eine positive Forderung, die ich voll und ganz unterstütze. Sie klebte an der Scheibe einer Bahn der Berliner Verkehrsbetriebe, die völlig idiotisch alle Fenster mit dem Emblem des Brandenburger Tores zugeklebt hat – nicht sehr freundlich.

An der Oberbaum-Brücke gibt es Kunst zu bewundern …

… ebenso wie an der Schlesischen Str. Man kann genau sehen, wo die Leute am meisten hinfassen, wenn sie die vordere Skulptur berühren. Tze.

Ein paar Schritte weiter kann ich mich nur wundern über diese sexistische Werbung: Denken ist SO uncool, Alter. Nach einer Kiste Tequila-Bier torkeln wir alle in Unterhose und mit offenen Schuhen durch die Gegend, geil, das macht richtig Spaß. „Mach hinter jedem Tag ein Kreuz“ – abgehakt, hätten wir den Tag auch geschafft, ist ja auch anstrengend, immer diese Sauferei. Die Werbefirma weiß vermutlich, wovon sie spricht.

Die Wirklichkeit hat andere Probleme: Was ist von einer Gesellschaft zu halten, die ihren Nachwuchs mit den unverkäuflichen Abfällen („das ist aber noch gut, das kann man noch essen“) von Supermärkten ernährt?

Apropos Essen: Kulinarisch ist Berlin Köln weit voraus. Noch nie habe ich so wohlschmeckende asiatische Gerichte gegessen wie bei diesem Vietnamesen in der Schlesischen Str., zu einem Preis, da hätte ich noch leicht drei Schulkinder mitverköstigen können. Sowas gibt es in Köln leider nicht.

Hier hat der Automatenaufsteller mitgedacht: Aus welcher Altersschicht rekrutieren sich meine Kunden?

Ein Mensch, der einen Laden betreibt, um solche Dinge zu verkaufen, kann nicht böse sein.

Vielleicht ist es ganz gut, wenn wir uns überall beobachtet fühlen, das schärft den Sinn für eine Ausspährealität durch die Geheimdienste, von der wir erst nach und nach erfahren.

Der Meinung ist man wohl auch im Literaturcafé in der Fasanenstr., wo ich diesmal übrigens einen miserablen Florentinerapfelkuchen gegessen habe (ich will ja nur Werbung machen für den Laden, wenn er es auch verdient).

Das sind die Leute, die man in Kreuzberg gar nicht mag, die Abneigung ist aber wohl wechselseitig. Wieso ca. 1.000 von den Uniformierten plötzlich in den Stadtteil einfielen und tagelang ganze Straßenzüge absperrten, erzähle ich nächstes Mal.

Sommer in Berlin (1)

Ja, wir mögen Berlin auch, auch wenn wir uns unter Sommer etwas anderes vorgestellt hatten.

Dabei fing es gut an: Am Tag unserer Ankunft war die „Fete de la musique“, an jeder Straßenecke spielten Bands Blues, Jazz oder Rockmusik.

Während eines heftigen Regenschauers verschwanden die Musikgruppen wieder, und dann …

… war sowieso Fußball angesagt, hier sehr schön zu sehen, links wird noch Musik gespielt, während im Hintergrund schon mal die Glotze warmläuft.

Trööt trööt – keine Ahnung, ob dieser junge Mann ein gutes Geschäft gemacht hat.

Wir waren wieder viel unterwegs, in den nächsten Tagen erzähle ich mehr davon.

UBahn