Auf dem Weg vom Hotel zum Königssee – ein halbstündiger Spaziergang – kommen wir an einer Art Romy-Schneider-Museum vorbei. Museum, der Ausdruck ist vielleicht etwas übertrieben, wenn man sich den Internetauftritt anschaut, es sind zwei kleine Räume, die vollgestellt sind mit Kleidern und Fotos aus der Zeit der Sissi-Filme und aus den Filmen, die sie damals noch in Deutschland gedreht hatte, bevor sie zur „Verräterin“ wurde, die lieber in Frankreich anspruchsvollere Rollen spielte. Ich mochte sie immer gern, schon als Kind hat mich besonders ihre Stimme fasziniert, ich kenne nur noch einen Schauspieler, mit dessen Stimme es mir ähnlich ging. Und weshalb hat sie hier diese ständige Ausstellung? Sie hat ihre Kindheit in Schönau verbracht.
Das hatten wir nicht vermutet: Je näher wir zum Königssee kommen, desto mehr buhlt man um unsere touritische Aufmerksamkeit.
Hier kann man sich ein neues Gesicht kaufen, falls man sein altes verloren hat – zwischen 5,95 und 7,95 Euro, das können sich auch FDP-Politiker leisten.
Besonders beliebt sind diese Plüschtiere – man spricht irgendwas in die Figur hinein, und ein integrierter Hochleistungscomputer nimmt das auf, verzerrt es ein wenig und wiederholt, was man gesagt hat. Wenn man das zweimal gemacht hat, ist der Reiz auch schon wieder verflogen, aber besonders Kinder sind natürlich fasziniert.
Den Königssee kann man mit einem Elektroboot befahren, eine Station kostet 15,90, zwei 19,90 Euro. Ganz schön happig, aber da wir schon mal da sind …
Alle Viertelstunde legt ein Boot ab, die Fahrt dauert ungefähr 45 Minuten. Seit 1909 werden die Boote – inzwischen gibt es 18 von ihnen – elektrisch betrieben. Der Grund war in erster Linie nicht frühes Umweltbewußtsein, sondern der Krach, den Benzinmotoren machen: Wenn die Herrschaften auf Jagd gingen, war weit und breit kein Wild zu sehen, weil es vor den Knattergeräuschen vom See geflohen war.
Ah! – Oh! – Ah!! – wer findet, das sei ein Postkartenfoto, klickt einfach drauf, schon ist es ein Bildschirmfoto. Das ist die 1. Station, St. Bartholomä, so genannt nach der Kirche. Im Hintergrund sieht man die Ostwand des Watzmanns. Gern klettern Wanderer darin herum, ungeübt und/oder mit Turnschuhen und stürzen ab. Diese ganze Gebirgskletterei von Kletterlaien sollte verboten sein, ohne Kletterführerschein sollte man niemanden auf die Berge lassen.
Mit Dramafilter sieht’s ein bißchen unheimlich, aber auch plastischer aus.
Natürlich steigen wir aus. Meine Begleiterin, die nicht zu Übertreibungen neigt, benutzt ein paar mal das Wort „paradiesisch“. Ja, doch, ganz schön …
… es gibt auch einen Biergarten, wo man Kaffee und Kuchen bestellen kann.
Die kleine Kapelle hat man nach dem Apostel St. Bartholomäus benannt, dem Märtyrer, dem man …
… wie auf dem Altarbild gezeigt wird, bei lebendigem Leib die Haut abgezogen hat. Wenn ihr auf einem Mittelalter- oder Barockbild mal einen Heiligen seht, der seine eigene Haut in der Hand hält, wißt ihr nun, wer das ist. Es gibt eine ganz berühmte Darstellung von Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle. Die Figur soll ein Selbstbildnis des Künstlers sein, womit er sagen wollte: Uns Künstlern wird auch das Fell über die Ohren gezogen, so ungerecht werden wir behandelt. Aber das nur nebenbei. St. Bartholomäus ist nicht nur der Patron der Almbauern und SennerInnen, sondern auch der Heilige, der angerufen wird bei – na? Bei welchen Krankheiten? Genau, bei Hautkrankheiten. Wenn jemand sich damit auskennt, dann der, dachte man wohl – ähnlich wie St. Blasius für den Hals und der enthauptete St. Dionysius für Kopfschmerzen. Also, diese Katholiken – immer für einen Spaß bereit.
Am Ufer steht ein Sektenprediger vor einer sehr kleinen Abhängerschaft und brabbelt irgendwas – so sieht es jedenfalls aus. Wir erfahren, daß das der bayerische Finanz- und Heimatminister ist, der just an dem Tag einen WLAN-Hotspot auf der kleinen Halbinsel eingerichtet hat. Besser gesagt: Er hat auf den roten Knopf gedrückt, und wie durch Zauberei können nun alle Selfidioten ihre Handyfotos augenblicklich und unverzüglich ins weltweite Netz schicken, und das völlig umsonst, möglich gemacht durch den Finanzminister. Oder durch den Heimatminister, man weiß es nicht – die CSU scheint irgendein Problem mit dem Begriff Heimat zu haben. Daß man das in der Partei ständig thematisieren muß, schon Seehofer hatte ja seine Schwierigkeiten damit, ist merkwürdig.
Such! Such das Stöckchen! – sagt der Hund.
Im Boot zur 2. Station belauschen wir ein Gespräch zwischen einem der Bootangestellten und zwei anderen Fahrgästen. Ausgerechnet heute, so der Angestellte, wo der Minister anwesend sei, sei nur so wenig los. Heute sei der erste Tag in diesem Sommer, an dem nicht 8.000 Gäste mitfahren würden, sondern nur 2.000 … wie bitte? Ich denke erst, ich hätte mich verhört, aber er wiederholt es noch ein paarmal. Deswegen wurden wir also im Biergarten so schnell bedient. Man muß auch mal Glück haben. 8.000 mal 19,90 Euro, wenn alle die große Fahrt buchen, das macht einen Umsatz von 160.000 Euro – am Tag! Laut Auskunft des bayerischen Finanzministeriums fahren im Jahr 700.000 Menschen mit den Booten („Berchtesgadener Anzeiger“ vom 30.08.19) – was sagt der Heimatminister dazu? Ausbeutung der Natur zu rein kommerziellen Zwecken, Zerstörung der heimischen Infrastruktur für einen zügellosen Tourismus, Entfremdung der einheimischen Bevölkerung von ihrer durch Jahrhunderte gewachsenen Lebenskultur, Umweltverschmutzung durch die tägliche Bewegung der Touristenmassen, die mit Bussen und Autos hergekarrt werden – das muß aufhören!? Nichts davon. Das Ministerium erlaubt stattdessen den Bau des 19. Bootes, um den Andrang beherrschen zu können. Und nun wissen wir auch, warum das Heimatministerium dem Finanzministerium beigeordnet ist: Heimat, das ist in Bayern vielfach der Ort, wo möglichst viel Geld gescheffelt wird. Das kann man übrigens auch in den alpinen Wintersportorten sehr gut beobachten.
700.000 x 19,90 Euro – das macht knapp 14 Millionen Euro Umsatz pro Jahr, nur mit den Booten, da ist noch nicht das Geld mitgerechnet, das die Touristen für Transport, Essen und in China hergestellte und importierte Kitschsouveniers ausgeben.
Wir fahren weiter zur 2. Station, der Saletalm. Ganz schön, da kann man ein wenig herumspazieren und die Leute beim Selfienieren beobachten.
Es gibt ein Restaurant mit einem provisorisch wirkenden, aber funktionierendem Selfservice-Konzept, es gibt gute deutsche Hausmannskost, also Currywurst mit Fritten und ähnliches (gar nicht auszudenken, was hier los ist, wenn viermal so viele Leute da sind).
Weil es anfängt zu regnen, müssen alle Gäste drinnen einen Platz finden. Der Lattenjupp muß draußen bleiben, aber er hat ja sein eigenes kleines Häuschen.
Wir spazieren den Weg entlang, zu einem weiteren kleinen See, von dem aus es zu einem Wasserfall geht, in dessen Zwischenbecken immer mal wieder Leute ertrinken, die Selfies machen wollen, habe ich in einer Doku gesehen – das letzte Zeugnis ist die Botschaft an die Welt: Guckt mal, wo ich bin – und sterbe.
Wir verzichten und kehren um, folgen diesen beiden Nicht-Ostfriesen (der Ostfriesennerz ist gelb), trinken zum Abschluß in einem Biergarten in Schönau eine Apfelschorle und beobachten amüsiert, …
… wie aufgeregt diese beiden Asiaten reagieren, nachdem man ihnen das bestellte Bier serviert hat. Mit dieser Menge hatten sie ganz offensichtlich nicht gerechnet. Der Gastronom macht ein schönes Geschäft mit der Unwissenheit der ausländischen Kundschaft, aber das ist ja überall so.
Fazit: Diese Wanderung kann ich nicht empfehlen – trotz der großartigen Landschaft ist es zu anstrengend und an einigen Stellen lebensgefährlich. Daß es trotzdem ein schöner Urlaub war, verdanke ich überwiegend meiner Begleiterin: Ohne ihren nachsichtigen, humorvollen und mitfühlenden Beistand hätte ich die Wanderung wahrscheinlich nach wenigen Tagen abgebrochen.
Schönes Finale … dort in jenem „Paradies“, da wäre ich auch gerne mal. Aber ohne vorher den gesamten Salzalpensteig gewandert zu sein, meine Anerkennung!
Viele Grüße vom Lu und Dankeschön für deinen feinen Bericht.
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Gern! Ich danke Dir.
Der Königssee und die Gegend drumherum: Wirklich sehr schön, allergings kann ma nur hoffen, einen Tag zu erwischen, an dem nicht so viel los ist.
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Die Furcht vor den Unmengen an Touristen hat mich ja bis jetzt abgehalten ,,, na ja, mal sehen, was ich mache.
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Warte, ich sag Dir das genaue Datum, an dem wir da waren … es war der 29. August, warm, aber leicht bewölkt, und es hat dann ja auch ein bißchen genieselt. Wahrscheinlich hat das geholfen, die zusätzlichen 6.000 erwarteten Gäste abzuhalten. Und vielleicht ist ein Blick auf den Ferienkalender hilfreich.
Aber vielleicht braucht man auch einfach nur Glück. Ich bin froh, daß wir das an dem Tag hatten.
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Herzlichen Dank dir!
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Welch ein Gewinn, dass sich deine tollen Fotos jetzt auf Bildschirmformat vergrößern lassen. Dann zeigt sich, dass es zeitgeschichtliche Dokumente sind. Geschüttelt hats mich beim Altarbild des Hl Bartholomäus. Welch eine blutige Religion das Christentum doch ist, mit der Pflege einer fast perversen Lust an Gewaltdarstellungen.
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Ja, ich werde das zumindest bei den Reisefotos jetzt immer so machen. Aber auch die anderen Fotos lassen sich (im Firefox-Browser zumindest) vergrößern, einfach mit der rechten Maustaste draufklicken und dann auf „Grafik anzeigen“. Die Ein-Klick-Vergrößerung ist freilich komfortabler.
Das Christentum, wie es die Kirchen durch ihre Deutungshoheit bestimmen, ist eine Angst- und Unterwerfungsreligion: So, wie Jesus und die Märtyrer gelitten haben, das droht uns auch, wenn wir je wieder Zweifel an diesem Glauben zulassen: Eine Indoktrination der Gläubigen zur Machterhaltung mit allen medialen Mitteln, die jeweils zur Verfügung stehen.
Danke für Dein Lob!
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Ein wunderbares Ende dieser Wanderung. Ich bin froh, dass alles gut gegangen ist und gebe dir recht. Da kraxeln viel zu viele rum, die es unterschätzen. Und es wäre herrlich diesen unglaubliche See mal ohne all die Massen zu erleben. Weil schönes aber auch geteilt werden sollte, muss man sie ausblenden.
Nur das WLAN würde ich kappen 😉
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Ich danke Dir!
Ah, ich seh schon, Mitzi mit der Handsäge auf der Suche nach der Stelle, wo das Kabel für den Sendemast aus dem Wasser kommt. Meinen Segen hast Du.;-)
Die 1.998 anderen Gäste, die an dem Tag dagewesen sein sollen, haben sich sehr gut verteilt, angenehm, man sieht es ja an dem Foto vom Biergarten, wo höchstens ein Drittel der Tische besetzt war. Ende August waren wir da, für den Tag war leichter Regen angesagt – vermutlich optimal für einen Besuch.
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Bei manchen Ausflügen ist schlechtes Wetter die bessere Alternative. Ich werde das mit der Handsäge im Hinterkopf behalten 😉
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wow!!!
1976 oder 1977 machte meine familie dort urlaub.
wir sind auch auf dem königssee mit e-boot gefahren und konnten st. bartholmä sehen.
sogar eine fahrt mit dem ruderboot haben wir gemacht.
hier noch ein video zum watzmann.
ich freue mich schon über neue fotos aus berlin, wenn du aus dem karnevalexil zurück bist.
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Currywurst am Königssee? Sakrileg!!! Das geht ja mal gar nicht. Denn wenn’s echt authentisch sein soll, kommt nur Schweinsbraten mit Knödeln in Frage. Aber nicht die schnöden halb-und-halb-Klöße von Pfanni, sondern Semmel(n)knödel(n).
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Aber das perfekte Essen, um greinende Kinder (jeden Alters) schnell ruhigzustellen. Ich habe mal beobachtet, wie ein Kind bei einem Italiener Spaghetti-Pizza bestellen wollte, was der Kellner brüsk ablehnte. In der Gastronomie auf dem rheinischen Drachenfels dagegen bekommt man das. Ein Kulturverfall, aber immer noch besser als krakelnde Kleinterroristen.;-)
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oh ja, mir wurde mal ein „Dreckiges“ (Cola-Bier-Mix) verweigert mit der Begründung, das wäre gesundheitsgefährdend. Wenn ich beides hintereinander trinke, etwa nicht?
Genauso ein Gezeter, wenn man in Frankfurter Äbbelwoilokalen (Apfelweinkneipen) den Äbbelwoi mit Zitronenlimo bestellt, dann ist man ein Banause.
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Ja, Drecksack heißt das hier, eine Freundin liebt es. Versuch mal, das in einer Kölsch-Brauerei zu kriegen – no way! Man kann froh sein, wenn man ungelyncht wieder herauskommt.
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lieber nicht.
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