Wandern auf dem Salzalpensteig (6): Bad Reichenhall – Bischofswiesen

An dem Tag, an dem wir in Bad Reichenhall ankommen, findet abends ein Event statt: Überall in der weitläufigen Fußgängerzone stehen …

… Lautsprecher, die per Funk miteinander verbunden sind, einige hängen sogar in Bäumen. So soll eine Klangwolke über der ganzen Stadt entstehen. Klingt nach einer reizvollen Idee. Um 20 Uhr hört man erstmal überall die Nachrichten der Bayernwelle, gefolgt von einer öligen Radiostimme, die erzählt, daß man nun alles in ganz Bad Reichenhall hören kann. Dann spielt ein Orchester seichte klassische Musik, Walzer und … äh, Walzer, bis 22 Uhr. Zufällig haben alle Geschäfte auch bis dahin geöffnet.

Vielen Leuten gefällt das, die Cafés und Restaurants sind sehr gut besucht, außen findet man kaum noch einen Platz …

… und es wird getanzt. Wie ich hinterher gelesen habe, haben die Reichenhaller Philharmoniker irgendwo live gespielt, und die Bayernwelle hat es übertragen. Das Event gibt es schon seit mehreren Jahren und wurde 2014 mit dem bayrischen Stadtmarketingpreis ausgezeichnet. Und das ist es, worum es geht, um Marketing.

Bad Reichenhall hieß ursprünglich nur Hal, das deutsche Wort für (lateinisch gesprochen) Saline. Schon zur Römerzeit fand man hier eine natürliche Solequelle. Sole ist salzhaltiges Wasser, das die Römer in Tonkrügen auffingen und kochten, bis das Wasser verdampft war, übrig blieb das kostbare Salz. Als die Römer weg waren, geriet die Solequelle erstmal für ein paar Jahrhunderte in Vergessenheit – vielleicht ist das gemeint, wenn man vom dunklen Mittelalter spricht, der Niedergang der römischen Kultur hatte vielerorts zu einem Verfall längst erreichten Fortschritts geführt.

Im siebten Jahrhundert nahm man die Förderung wieder auf. Die Salinen wurden erst von Bürgern betrieben, was ich bemerkenswert finde, aber wie immer, wenn viel Geld im Spiel war, wollten Adel und Klerus mitmischen, was freundlich ausgedrückt ist. Der Erzbischof von Salzburg verlangte fette Zölle, wenn das Salz über Salzburger Land transportiert werden mußte, was dazu führte, daß es mit Eseln über die Berge geschafft wurde, der Eselsführer wurde Säumer (Saum=Last) genannt. So entstand ein relativ dichtes Netz von Alpenwegen, auf denen wir wahrscheinlich noch heute wandernd unterwegs sind. Irgendwann kam der Salzburger Erzbischof auf die Idee, auf eigenem Gebiet graben zu lassen, und siehe da, man wurde fündig, es entstanden Konkurrenzsalinen: Hallstatt, Hallein, Hallergut und viele mehr (Schwäbisch Hall, Halle (Saale) und Halle (Westfalen) haben ihre Namen übrigens auch den Salinen zu verdanken). Um sich zu unterscheiden und um zeigen, daß hier aber die Vorkommen was ganz besonderes sind, wurde aus Hal der Ortsname Reichenhall (das „Bad“ kam erst viel später dazu). Die Konkurrenten lagen natürlich immer im Streit – einmal ritten bewaffnete Reichenhaller zu einem Berchtesgadener Kloster, das dem Salzburger Erzbischof unterstand, mauerten alle Bergstollen zu und zerstörten die Salinen. Drei Jahre später fiel der Erzbischof mit einer inzwischen aufgestellten Armee in Reichenhall ein und zerstörte gleich die ganze Stadt.

Um 1600 war das ganze Reichenhaller Salzwesen in herzoglich-bayrischer Hand. Salz – das nur zur Erinnerung – war deshalb so wertvoll, weil es ein erstklassiges Konservierungsmittel ist. Fleisch, in Salz eingelegt, verdirbt nicht, und das konnte besonders in harten Wintern überlebenswichtig sein. Man verdiente also enormes Geld mit dem „weißen Gold“, was man gerne noch steigern wollte. Die Sole wurde in große metallene Pfannen geleitet, unter denen ständig geheizt werden mußte, man kann sich vorstellen, was das an Energie braucht. Der einzige Energieträger, den man hatte, war Holz, das nun seinerseits zu einem immer kostbareren Gut wurde. Erst holte man es aufwändig über den Fluß aus entfernteren Gegenden. Dann hatte man die Idee, die Sole, die in den 32 Reichenhaller Sudpfannen sowieso nicht verarbeitet werden konnte – es war einfach zu viel – durch Rohrleitungen über die Berge erst nach Traunstein, später auch nach Rosenheim zu transportieren, da gab es noch genug Holz, das dem Staat Bayern gehörte. Und aus dieser Zeit stammt die Erfindung der Pipeline, wie man heute stolz behauptet: Die Sole wurde durch Bleirohre den Berg hinaufgepumpt, aber wenn man das natürliche Gefälle nutzen konnte, nahm man ausgehöhlte Baumstämme – die gerne mal von der einheimischen Bevölkerung angebohrt wurden, zur Eigenversorgung. Tja, man muß sich zu helfen wissen.
Außerdem wurden große Gradierwerke zur Energiereduzierung gebaut – hier habe ich mal eins gezeigt, das ich in Rheine fotografiert habe.

Soviel Gier bestraft der liebe Gott, könnte man denken, als die Stadt 1834 fast vollständig abbrannte (278 von 302 Häuser), aber wenn es danach ginge, wäre der Kölner Dom auch eine Brandruine. Vermutlich entstand der Brand aus Geiz: Der Schornstein eines Sudhauses war nicht richtig gereinigt, und austretender brennender Ruß setzte das hölzerne Dach unter Feuer, das durch einen kräftigen Wind erst richtig angefacht wurde. Man nutzte die Zerstörung zu einer Vebesserung der Anlage beim Wiederaufbau, was noch größeren Gewinn zur Folge hatte.

Und wie kommt das Salz überhaupt in den Berg? Die Schautafel zeigt’s (ich hoffe, es ist zu erkennen; zum Vergrößern aufs Bild klicken). Jedes Salz, das wir zu uns nehmen, ist Meersalz, ob es nun aus den Alpen kommt oder direkt aus einem Meer.

So, wir müssen endlich los. Es geht natürlich wieder auf und ab, aber es ist eine relativ leichte Etappe. Das ist auch gut so, denn ist sehr warm.

Kaum stehen wir an der Haltestelle, erscheint der stündlich fahrende Bus, der uns die letzten vier Kilometer zu unserem Hotel bringen soll – man muß auch mal Glück haben.

Ein tolles Hotel! Wir könnten in den Pool springen, aber da lungern so viele andere Gäste herum.

Stattdessen essen wir Kuchen auf der Terrasse und informieren uns im ausliegenden Fachblatt über die neusten Ereignisse. Da wird der Wald auch abgefackelt, nicht für Salz, sondern für Anbaufläche, Sojabohnen, mit denen die deutschen Schweinezüchter ihre Tiere mästen, damit wir billiges Fleisch fressen können. Sage keiner, wir hätten keine Schuld.

Fortsetzung folgt.

31 Antworten zu “Wandern auf dem Salzalpensteig (6): Bad Reichenhall – Bischofswiesen

  1. Ich hasse musikalische Umweltverschmutzung, überall, egal in welchem Gebäude. Nun in Bad Reichenhall auch noch im freien Stadtterrain? Au backe!
    Interessant, all die Salzinfos 🙂
    Und der Blick vom Hotel ist ja mega!
    LG vom Lu

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    • „Musik wird als störend oft empfunden, derweil sie mit Geräusch verbunden.“ W. Busch.
      Stimmt schon. Es war allerdings nicht sehr laut. Die „Violin Phase“ von Steve Reich hätte ich mir gut vorstellen können.;-)

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      • Na ja, wie du, mag ich ja Musik sehr, aber nicht als Muzak auf dem Klo oder in Fahrstühlen, sondern in Hi-Fi zu Hause oder im Konzertsaal, deshalb bin ich kein Fan von Buschs Spruch …
        Und was dein erwähntes Stück von Steve Reich angeht: Minimal Music KANN auch nervtötend sein 😆

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        • Ja, das sehe ich auch alles genauso!
          Musik muß immer selbst gewählt sein, sonst paßt es einfach nicht. OK, Brian Enos Musik for airports auf ganz leise, geht eigentlich immer, aber das ist auch eine der wenigen Ausnahmen.
          In Flugzeugen z.B: spielen sie oft Klassik ab, zur Beruhigung, meist überlaut und meist total nerviges Zeugs. Da ich dann ohnehin schon zu Klaustrophobie neige, ist das reinste Folter für mich.
          Und überhaupt alles ist schon zu laut, warum dann nicht mal STILLE walten lassen, um Menschen zu beglücken? Was wir im öffentlichen Raum mehr brauchen ist nicht Musik, sondern Orte an denen nichts zu hören ist.

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        • Klar, weiß ich, die Besucher des Events hätten sich wohl sehr gewundert, wenn das Stück da gespielt worden wäre, und der Marketingexperte hätte sich die Haare gerauft: Welcher Idiot ist hier für die Musikauswahl zuständig? Wir brauchen was für den Massengeschmack, die Leute sollen kaufen, konsumieren, eingelullt werden. Wo ist André Rieu?!;-)

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  2. Genau, musikalische Umweltverschmutzung! Da schließe ich mich an. Beschallung. Ich glaube als Kind, das an der Mauer der 60er aufwuchs, bin ich gebrannt.
    Danke für die ausführliche Geschichsstunde zum Thema Salz. Ich bin Salzfan, schon immer gewesen. Seltsamerweise scheint das erblich zu sein, denn meine Tochter hat das auch. Als kleines Kind hat sie immer die Salzsteinlampen abgeleckt, die bei uns im Haus rumstehen. (Keine Schäden erlitten, so weit ich das sehe.)
    Und dann erinnere man sich mal an den Salzprinzen! Ganz hervorragender Film!

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    • Ja, ein bißchen wie Fahrstuhlmusik, ausgestrahlt übers ganze Stadtgebiet. Man kann ja schon dankbar sein, daß sie keine Schlager gespielt haben, wie ich es mal auf einem Auflugsschiff von Koblenz nach Rüdesheim erlebt habe – „Ein bißchen Spaß muß sein …“ – die reinste Folter.

      Danke für den Film zum Thema, den habe ich noch nie gesehen.

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      • Ja, Musik als Folter, das ist wirklich ein Thema. Geht bei mir schnell und gut. Ich bin einfach nicht in der Lage das auszublenden. Und dann bleibt das auch immer noch haften. Ich sitze dann da, weine fast, während um mich herum anscheinend alle ganz normal damit weiter leben können.
        Ich meide deswegen alles, wo ich Angst haben muß, nicht fliehen zu können, wie eben solche Ausflugsdampfer. Ein guter Kopfhörer kann lebensrettend sein.
        Der Film lohnt sich! Ganz eindrücklich gemacht. Mit Libuse Sowieso, die man als „Aschenbrödel“ kennt, in der Hauptrolle.

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  3. die gier nach mehr profit scheint so alt wie die menchheit zu sein, oder?
    mit dem ende des tauschgeschäftes und der einführung von bezahlen mit talern hat sich die menschheit keinen gefallen getan.
    das kann man gut heute erkennen, wenn es um umwelt- und klimaschutz geht.
    es darf nix kosten, aber jeder ist dafür und zahlen müssen meist die falschen statt der eigentlichen verursacher.

    ich kaufe meersalz von der drogerie dm.
    nachdem das salz aus dem aldi nicht nur mit jod versetzt sondern auch noch flourid zugesetzt wurde, kaufe ich es teurer ein.
    eine schande, das man als verbraucher sich vieles gefallen lassen muß und zu teuren alternativen greifen darf, wenn man nicht einverstanden ist.

    danke für den feinen reisebricht.
    ja, glück muß man haben (der wartende bus) aber man sollte das kleine glück genauso wertschätzen wie das ganz große, denn die kleinen dinge sind die wichtigsten.
    wer hat schon glück auf den millionenjackpot?

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    • Ja, Fluorid im Speisesalz ist komplett überflüssig, habe ich auch mal gelesen. Aber Salz ist im Allgemeinen recht billig, oder? Neulich hat ein Fernsehkoch erzählt, man solle kein Meersalz mehr benutzen, sondern besser das aus Gebirgen, da frisches Meersalz inzwischen durch den Mikroplastikmüll belastet sei. Keine Ahnung, ob das stimmt, aber klingt erstmal plausibel, oder?

      Gern!
      Ja, Du hast recht, es gibt immer was, womit man sich erfreuen kann, eine leckerer Kuchen, Kaffee, oder eben ein verspäteter Bus, wenn man selbst unpünktlich ist.;-)

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      • Also dann mußt du aber auch konsequent ALLES aus dem Meer weglassen, also auch Fisch & Co.
        Ein bißchen Augenwischerei, so lange man noch den ganzen anderen Junkfood ißt (oder besser essen muß), solange ist es sinnlos auf Meersalz zu verzichten, nur weil da eventuell der Mikroplastikmüll drin ist.

        Am Ende bleibt nur eines: das essen, was man liebt (und einem gut tut), das ist dann wenigstens gut für die Seele. Auf alles verzichten, weil alles gefährlich, belastet etc. ist, ist es leider nicht.

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        • Zumindest sollte man alles Verunreinigte oder Vergiftete weglassen, wenn es eine unkontaminierte Alternative gibt, oder? Ich eß ja möglichst auch nur Biogemüse und -obst, und wenn Fleisch, dann meist nur vom Biometzger. Wer gern Salzwasserfisch ißt, hat keine Alternative, da kann man das nur hinnehmen oder ganz darauf verzichten, selbst „Follow“-Fisch (das ist der einzige, der mir ins Haus kommt), wird nicht frei von Mikroplastik sein. Aber Salz – ist Salz, ich schmecke da keinen Unterschied, ob es jahrtausendealt und daher unkontaminiert aus einem Berg kommt, oder frisch (und kontaminiert) aus einem Meer. Kannst Du das unterscheiden? Ich weiß, Du bist ein Salz-Feinschmecker und eine Freundin von Fleur de sel – ich bin sicher, ich würde einen Blindtest nicht bestehen.

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      • welch ein wahnsinn mit dem plastikmüll aus dem meer.
        heißt das salz dann gebirgssalz?
        ja, für das normale salz beim aldi brauche ich nur 19 cent zu bezahlen.
        das meersalz von dm kostet 75 cent.
        nix ist mehr rein und natürlich. der mensch versaut auch alles und jeden.
        jetzt bin ich grantig.

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  4. Servus Vid!

    Ein bestimmtes Foto deiner Dokumentation hat meine Phantasie
    beflügelt. Siehe hier:

    So eine Installation wäre zwar in Bajuwarien eher unwahrscheinlich, aber:
    Was ist, ist. Was nicht ist, ist möglich..;-D

    Hanf und Salz, Gott erhalts..;-)

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      • „Was nicht passt, wird paff.. ääääh passend gemacht“..;-)

        „Salzkosten“ lassen sich übrigens umgehen, indem man
        Salzlecksteine aus Wild-Futterstellen im Wald heimlich
        entwendet und zuhause mörsert. Da spart man sich auch
        das anstrengende Bücken, um bei REWE/Edeka etc. an
        die No-Name-Salz-Packungen für 30 Cent zu gelangen.
        Diskreter Rat von Hausmann zu Hausmann..;-D

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        • Sowas machst Du? Den armen Wildtieren den Leckstein klauen? Und vermutlich nimmst Du auch von öffentlichen Toiletten das Klopapier mit? Du solltest Dich schämen. Wahrscheinlich sind unter Deinen Vorfahren auch die zu finden, die die Holzpipelines angebohrt haben – der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.;-)
          Mach ich doch schon längst, bücken. Was hältst Du von jodiertem Salz – überflüssig inzwischen, oder?

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          • Bonjour!

            Solange man sich ausgewogen ernährt und auch jodhaltige Nahrungsmittel zu sich nimmt, brauchts kein jodiertes Salz. Mir hat vermutlich jahrelanger Jodmangel eine sogenannte funktionelle Autonomie (Schilddrüsenüberfunktion) beschert, die ich nach einem Jahr nur mit einer Radiojodtherapie wieder los wurde. (Ich wünsche das niemanden, was ich bedingt durch die Überfunktion erlebt habe. Habe immer noch zwei „Knoten“ in der Schilddrüse, die sich aber bisher „ruhig“ verhalten. Gott sei Dank.)

            Wer sich von „Himalaya-Salz-Marketing“ verarsch.. äähh verblenden lässt, ist selber schuld. Ich lasse mich jedenfalls nicht „versalzen“..;-)

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