Spaziergänge in Zeiten von Corona (5)

Endlich! Endlich kann man wieder Unterwäsche im Kaffeegeschäft kaufen, das wurde aber auch Zeit. Und auch alle anderen Geschäfte, in denen man kaufen kann, was kein Mensch braucht, haben wieder geöffnet, allein: Die Kunden wollen noch nicht wieder so richtig. Entweder, es fehlt ihnen aufgrund der Kurzarbeit das Geld, oder sie haben gemerkt, daß sie den Blödsinn eigentlich gar nicht brauchen, den sie sonst gekauft haben. Oder sie haben Angst und sind noch vorsichtig. Für die Geschäfte und die in ihnen Angestellten ist das natürlich schlecht, schließlich leben sie davon. Die ganze Gesellschaft lebt davon, daß konsumiert wird, egal was, Hauptsache, Umsatz wird gemacht. Irgendwo müssen ja auch die Steuereinnahmen herkommen, mit denen die Drecksschleuder Lufthansa gepampert wird. Arbeitsplätze – und damit wirtschaftliche Existenzen – stehen auf dem Spiel.

Was für ein absurdes System.

Bei mir um die Ecke gibt es eine Pfeffer-Boutique. Wahrscheinlich furchtbar nette Leute, die das betreiben, und wahrscheinlich segeln sie schon immer am Rande der Insolvenz. Jetzt, in Corona-Zeiten, wäre es wahrscheinlich ein Zeichen der Solidarität, wenn ich da Pfefferkörner kaufe, die vielleicht in den Gedärmen von andalusischen Katzen fermentiert wurden, ich stelle mir vor: 5 Gramm für 82,75 Euro. Daß ich überhaupt keinen Wert darauf lege, es vielleicht sogar eher ekelig finde, spielt keine Rolle, ich kann es dann ja wegwerfen, Hauptsache, ich hab’s gekauft, um den Laden zu retten.

Die Damen aus dem Kaffeegeschäft geben übrigens ein schlechtes Beispiel ab: Sie tragen keine Masken.

„Glücklichsein bedeutet das Beste aus allem zu machen“, steht da auf der Tasse, und wenn die Kunden in Not sind, können die Umstände kaum günstiger sein: Zehn Einmal-Papier-Masken für 20 Euro, das ist so, als würde man eine Packung Tempotaschentücher für den selben Preis anbieten. Das war direkt nach Einführung der Maskenpflicht. „Glücklichsein bedeutet das Meiste für sich herauszuholen“ klingt zynisch, ist aber ehrlicher. In einem Laden sah ich Masken für 28 Euro das Stück, da war dann aber auch irgendein Modelabel aufgedruckt. Corona kennt keine Klassenunterschiede? Ha, das wäre doch gelacht!

Das Café mit der schönen Aussicht auf den Rhein ist meist so gut besucht, daß man keinen Platz findet. Inzwischen wird es die Anzahl der Tische halbiert haben, aber da noch keine Touristenscharen das Schokoladenmuseum überschwemmen, wie es normalerweise der Fall ist, hat man vielleicht gute Chancen, einen Platz zu finden.

Diesen Gedanken haben allerdings viele: Neulich saß ich in einer Regionalbahn, die völlig überfüllt war von Leuten mit Fahrrädern, die vermutlich (wie ich) alle dachten: Wer wird denn so blöd sein, sich an Fronleichnam in einen Zug zu setzen – wahrscheinlich sind wir die einzigen Fahrgäste. Tatsächlich waren dann zwei Drittel der Plätze mit den Rädern versperrt, und die Leute saßen so eng zusammen wie zur rush hour.

Umständlich werden hier Plexiglasscheiben installiert, damit mehr als zwei Leute  an einem Tisch sitzen können. Ein paar Meter weiter …

… werden die Tische so ungefähr einsfünfzig voneinander entfernt aufgestellt, und wenn man abends daran vorbei läuft, kann man sehen, daß die Leute so dicht zusammensitzen, als gäbe es keine Pandemie. Freilich sind das alles Feldversuche aus Blödheit, aber bislang scheint es so, als würde es gutgehen.

Neulich wollten meine Begleiterin und ich nach einer längeren Wanderung in einem Außenbereich eines Brauhauses etwas essen. Es war nicht sehr voll, wir hatten die freie Platzwahl – dachten wir. Statt die Tische und Bänke einfach wegzuräumen, klebten Zettel darauf, daß man hier leider nicht sitzen dürfe. Unschlüssig standen wir herum und hatten die Wahl zwischen einem Platz in der prallen Sonne oder dem Weg nach draußen. Der Kellner sah unser Dilemma und setzt uns einfach an einen der gesperrten Tische. Das war zwar eigentlich nicht in Ordnung, aber eine pragmatische Lösung, denn wir saßen weit genug entfernt von anderen Besuchern. Allerdings: Da wir quasi an einem „illegalen“ Tisch saßen, wurden von uns auch keine Kontaktdaten registriert. Wenn wir Infizierte gewesen wären, hätte man das zu uns nicht zurückverfolgen können. Wie gesagt: Riskante Feldversuche.

Frisöre dürfen wieder frisieren, allerdings nur mit vielen Auflagen. Wenn man sich unsicher ist, rennt man schnell nach draußen, guckt auf die Piktogramme – und wundert sich nicht mehr, wieso man eigentlich keinen Kaffee mehr angeboten bekommt. Übrigens: Das habe ich mich noch nie getraut, beim Frisör einen Kaffee zu trinken. Der wird ja nicht vor meinen Augen aus einem Vollautomaten gezogen, sondern aus dubiosen, hinter Vorhängen versteckten Hinterzimmern geholt, wo wahrscheinlich eine Kaffeemaschine steht, wie man sie früher in Imbissen sehen konnte: Eine Glaskanne mit einer schwarzen Flüssigkeit auf einer Warmhalteplatte, die schon seit Stunden darauf wartete, mal wieder berührt zu werden.

Mein Frisör hat den Preis für einen einfachen Herrenschnitt coronabedingt um 20% erhöht. Das haben wir so hinzunehmen, die Kunden müssen Opfer bringen, um den Betrieb zu retten. Unternehmer müssen Gewinn machen, sonst lohnt sich der ganze Aufwand nicht, und wir Sklaven Angestellten hätten keine Mittel, um unseren Vermietern das Geld zu geben für den Ort, an dem wir in Ruhe schlafen können, um ausgeruht genug zu sein, um für unseren Arbeitgeber arbeiten zu können.

Die überflüssigen Elektroroller werden jetzt mit Masken ausgestattet? Das nenn ich Service.

Es gibt auffallend viele Werbetafeln und Litfaßsäulen ohne Werbung. Aber vielleicht ist das auch nur Zufall.

Auf dem Chlodwigplatz, eine Demo gegen Coronaeinschränkungen: Kinder können nicht mehr zur Schule gehen und müssen die ganze Zeit mit ihren Eltern verbringen. Schlimm. Und jetzt kommen auch noch die Sommerferien – wie können wir so grausam sein.

Rassismus ist nicht nur ein Problem der Schwarzen, sondern der ganzen Gesellschaft, will diese verkürzte Formel sagen. Das stimmt.

Vor diesem Sneaker-Geschäft kampieren manchmal junge Leute mehrere Tage lang, um zu den Ersten zu gehören, die sich sündhaft teure Exklusiveditionen eines von einem Hiphop-Star gestalteten Schuhpaares kaufen können, nicht, um sie zu tragen, sondern um sie zu besitzen, also aus Sammlerehrgeiz. Und auch hier möchte man nicht abseits stehen im Kampf für Gerechtigkeit – und hängt sich mutig ein Plakat ins Fenster. Ein solches Verhalten nennt man wohlfeil.

7 Antworten zu “Spaziergänge in Zeiten von Corona (5)

  1. Mit einem Wort zusammen gefasst heißt dein Beitrag gerade für mich: du jammerst über dein abgelegenes Landleben? Think again!

    Aber ich jammere gar nicht, auch wenn mir meine kleinen Citytrips gerade fehlen. Ich sage mir: Wenn nicht alles total aus dem Ruder läuft, ist das ein Jahr, das ich mit Einschränkungen erlebe. Was ist das schon?

    Ich habe wirklich Glück, nachbarlos, am Arm der Welt brauche ich weder über Sicherheitsabstände, noch Masken nachdenken, die Post legt mir alles auf den Gartentisch und winkt mir von Ferne zu. Und meine Zahnärztin trug auch schon vorher Maske und Handschuh.
    Und als ich mir neulich ein Eis gekauft habe, sagte der Verkäufer fröhlich, ich solle mir statt Maske doch einfach nur mein Tuch kurz vor die Nase halten.

    Gespannt bin ich nur, wie es hier in MV aussehen wird, wenn die Touris erstmal so richtig reinkommen. Aber die Sorge dann.

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    • Ja, habe ich neulich auch gedacht, als wir durch die Pampa spazierten, wie herrlich und frei man ausschreiten kann, ohne zwischendurch die Luft anhalten zu müssen, weil man plötzlich auf Tuchfühlung in einen Pulk völlig unbesorgter Jugendlicher gerät. Viele Deutsche werden dieses Jahr Urlaub im Lande machen, da kommt wahrscheinlich einiges auf die klassischen Urlaubsorte zu. Wir wandern ja nun schon seit Jahren nur in D herum, dieses Jahr geht’s nach Thüringen, wenn alles klappt und nicht eins der Hotels, die für uns gebucht worden sind, zwischenzeitlich aufgegeben hat. Ich bin auch gespannt, ob sich der Auftrieb vergrößert, wir hatten ja schon Wanderstrecken, wo man kaum andere Touries gesehen hat.

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  2. Dieser Stadtspaziergang ist einer jener Artikel, die ich in 10 Jahren noch einmal lesen will. Dann wenn man auf diesen Frühling zurück blickt. Wenn die Feldversuche durchgeführt und die Ergebnisse bekannt sind. Wird es so surreal erscheinen, wie es sich diese Jahr angefühlt hat?
    Liebe Grüße

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  3. wenn händler davon leben müssten was ich wo neuwertig kaufe, gingen viele in die insolvenz. haha… ich boykottiere so den kapitalismusexess. 😉
    das wenige an neuer bekleidung kann an einer hand abgezählt werden.
    doch ist der kleiderschrank proppenvoll und schuhe benötige ich auch gerade nicht.

    wegen corona gehe ich wenig zum einkaufen, lieber mehr einkaufen als mehrmals.
    tschibo kann seinen mist behalten, meine bhs kaufe ich im besten geschäft vor ort.
    habe wohl nen kleinen teufel im nakcne heute morgen. 😉
    bleib gesund und einen netten gruß an deine begleiterin.

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    • Da geht’s mir wie Dir. Gut, wir müssen zugeben, wenn man eh kaum Geld hat, fällt einem der Boykott leicht.;-)

      Danke, werde ich ausrichten. Bleib Du auch gesund.

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