Ausflug nach Leipzig (6)

Im Nachhinein habe ich mich gefragt, warum mir das „Museum der bildenden Künste Leipzig“ (MdbK) vor unserem Besuch des Gebäudes im Stadtbild nicht aufgefallen ist. Die Antwort ist einfach: Das Museum scheint im Innenhof eines Gebäudeblocks errichtet zu sein, so daß man es von fern nicht sehen kann. Und wenn man direkt davor steht, ist es zu nah, als daß man die Größe des Gebäudes ermessen könnte.
„… scheint im Innenhof …“, den Ausdruck habe ich bewußt gewählt, denn tatsächlich ist es genau anders herum: Als der Bau 2004 fertig gestellt war, stand er völlig frei, erst anschließend hat man die angrenzenden Gebäuderiegel so eng an das Museum gebaut, daß der Eindruck eines Innenhofs entsteht. Hier ist eine Luftaufnahme von 2006, hier eine, wie es heute aussieht.

Von außen ein langweiliger, schmuckloser, fensterloser Quader, entpuppt er sich von innen als ein großartiges Gebäude: Die Außenhaut ist aus Glas (oder einem anderen transparenten Material). Im Folgenden ein paar unkommentierte architektonische Eindrücke:

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Besonders stolz ist man natürlich, wenn man „Söhne“ der Stadt präsentieren kann: Der Maler und Bildhauer Max Klinger, der deutsche Vertreter des „Symbolismus“, ist in Leipzig geboren und wird entsprechend gewürdigt.

Symbolismus ist eine Kunstströmung des späten 19. Jahrhunderts. Anders, als andere Ismen der Kunstgeschichte (Impressionismus, Kubismus usw.), erkennt man den Symbolismus nicht an der stilistischen Ausführung, sondern an der inhaltlichen Aussage. Stilistisch unterschiedliche Künstlergruppen (z.B. Nabis, Präraffaeliten, Jugendstil) und Künstler (Gaugin, Edvard Munch, sogar der Surrealist Max Ernst u.a.) werden ihm zugerechnet. Der Symbolismus ist – ähnlich wie die Romantik – eine Reaktion auf die Aufklärung: Naturalismus und Realismus lehnte man ab, wichtig und richtig waren stattdessen folgende Themen: Gefühle, (Alb-)Traum, Tod, Religion, Naturmystik, Tod und Eros in Verbindung zueinander, Phantasie, also alles, was pure Rationalität in Frage zu stellen scheint.

Was ist jetzt an Klingers Beethovenskulptur symbolistisch? Der Komponist sitzt auf einem Thron, umgeben von Puttiköpfen (=Engel) und einem Adler, dem deutschen Wappentier: Das Genie, eine herausragende, göttliche Gestalt, deren Fähigkeiten man sich nicht nur nicht erklären, sondern nur bewundern kann, und die darüber hinaus ein Beispiel germanischer-genialer Möglichkeiten repräsentiert – so kann man das lesen. Thomas Mann setzt noch eins drauf zur Mythenbildung: Der kleine, schwache Mensch, der durch die Überwindung von Schwäche und Leid zu einem Helden wird – und was tut? „… sich inbrünstig concentrierend, die Fäuste ballt“. Meine Herren, ich bin schwer beeindruckt! Und dann? Windet sich der Komponist unter Schmerzen, die Wehen setzen ein, pressen pressen, atmen nicht vergessen – und da ploppt es aus ihm heraus, hurra, Freude schöner Götterfunken: Es ist ein Mädchen, die Neunte!

Ein Rationalist würde sagen: Beethoven war ein Mensch wie jeder andere, der gegessen, gepupst und geschlafen hat wie wir alle, und darüber hinaus das Privileg hatte, seinen Lebensunterhalt mit seinen Neigungen und Talenten bestreiten zu können, und der gekonnt Musik komponiert hat.

Ah! – freudig überrascht, das habe ich nicht erwartet: Vermutlich das bekannteste Bild des (deutschen) Symbolismus weltweit hängt hier in Leipzig, besser gesagt, ein Version davon:

„Die Toteninsel“ von Arnold Böcklin, ein Zeitgenosse Klingers. Es gab fünf Versionen, eine ist verbrannt. Diese ist die fünfte.

Der Symbolismus ist normalerweise nicht lustig. Aber man kann nicht behaupten, daß seine Maler durchgängig keinen Humor hatten: Ausschnitt aus dem Bild „Der Tod am Wasser“ (ca. 1880) von Max Klinger.

Wir schlendern weiter, es gibt viel zu sehen, alle Kunstepochen sind abgedeckt – viel zu viel für einen einmaligen Besuch.

Dahinten lockt Licht:

Pappfiguren, die in Seilen hängen: Das Werk heißt „Auswildern“ und ist von Sighard Gille. Glücklicherweise gibt es eine Erklärung dazu: „Das allgemein verbindliche WIR verschwand nach dem Mauerfall. Jeder mußte sich fortan auf seine eigenen Kräfte besinnen. 1990 thematisierte Sighard Gille dieses Ereigniss und deren individuelle Ausprägungen mit einer vielfigurigen Installation aus lebensgroßen und an Tauen kletternden Figuren aus Pappmasché. Er installierte sie damals für eine Ausstellung in der Mittelhalle der HGB Leipzig. Nicht jeder hat es geschafft, die Seile emporzuklettern; manche scheitern und kehren um, manche konnten den Boden nicht verlassen, andere wiederum verharren an der Position, die sie erreicht haben.“ So einfach kann eine Interpretation sein.

Lucas Cranach d.Ä. (1472-1553), von dem es hier einige Werke gibt, gilt als einer der bedeutendsten deutschen Künstler der Renaissance – für mich schon immer unverständlich, denn verglichen mit seinem Zeitgenossen Albrecht Dürer hatte er eindeutig zeichnerische Defizite. Bei den Herrschenden seiner Zeit war er sehr beliebt, und auch heutige Museen sind stolze Besitzer seiner Werke. Er hatte nicht nur eine gutgehende Werkstatt, sondern war auch Weinhändler, Apotheker, Buch- und Papierhändler und Verleger.

Großartig! „Verdammnis“ von Balthasar Permoser (1651-1732), ein Bildhauer des Barock, aus einem Marmorblock gehauen. Der Gesichtsausdruck erinnert mich an ein anderes Kunstwerk, an Papst Innozenz X. von Francis Bacon, ein Maler Mitte des 20. Jh.

Ups – Fütterungszeit? Bitte, nach Ihnen (ehrt das Alter!)

Der Raum war eigentlich gesperrt, die Stehtische trugen schon ihre Hussen und warteten auf geladene Gäste. Die Museumsangestellte war wirklich freundlich, wir durften schnell ein paar Fotos machen (zum Bild: Links steht ein Spiegel an der Wand, in den ich hineinfotografiert habe). Dem T-Rex läuft eine rote Flüssigkeit aus dem Maul in einen Eimer hinein.

Man traut sich was in diesem Museum: Pop Art und Biedermeier bunt gemischt. Warum nicht, nur so entstehen neue Zusammenhänge (oder sie bleiben aus, aber auch das ist ja eine Erkenntnis).

Es wäre ein Wunder, wenn man keins seiner Bilder hier finden würde: Neo Rauch, der bekannteste Vertreter der „Neuen Leipziger Schule“ – so werden die Künstler bezeichnet, die in der „Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig“ (HGB) studiert und nach der Wende internationalen Erfolg hatten. Ich finde seine Bilder etwas befremdlich, auf mich wirken sie oft kühl und bedrohlich, und da andere Bilder fast nie eine solche Wirkung auf mich haben, fühle ich mich gleichzeitig zu ihnen hingezogen (neulich habe ich mal den Ausdruck „lynchesk“ gelesen, bezogen auf den Filmemacher David Lynch, der fällt mir hier ein … aber das jetzt zu erklären würde zu weit führen).

Arno Rink (1940-2017), Vertreter der alten „Leipziger Schule“ aus den 70er und 80er Jahren und Professor/Rektor an der erwähnten Hochschule: Ich kannte ihn (also seine Arbeiten) bisher noch nicht und bin begeistert. Die Sonderausstellung behandelt sein Werk. Oben: Ein düsteres Selbstbildnis von 2002.

Extra leicht schräg fotografiert, damit man die Größe erkennt: „Canto libre“ von 1977. Sozialistischer Realismus sieht anders aus – das nur zu dem Vorurteil, in der DDR sei jegliche Kunst staatlich reglementiert gewesen (vielleicht hat man es versucht, aber offensichtlich erfolglos).

Ein Selbstbildnis. Daneben steht ein Text: „… Rink war der einzige Rektor einer Kunsthochschule auf dem Staatsgebiet der ehemaligen DDR, der nach der Wende in seinem Amt bestätigt wurde, während viele seiner Mitarbeiter und Kollegen um ihre Entlassung fürchten mussten. Darüber hinaus war er verantwortlich für sämtliche Reformprozesse der HGB, die einschneidende, mit persönlichen Schicksalen verbundene Konsequenzen hatten. Zur Abstimmung wurde er immer wieder zu Gesprächen nach Dresden gerufen, die verhörartig abliefen und von Arno Rink als traumatisch empfunden wurden. Jedes Porträt der Werkreihe „Ministerprotokolle“ steht für ein solches Gespräch und ist Ausdruck seiner Seelenqualen.“

Wer stellt da die Frage, das Museum selbst? Kann ich mit einem klaren Ja beantworten, würde ich in der Nähe wohnen, wäre ich ganz sicher öfter hier.

Fortsetzung folgt.

12 Gedanken zu “Ausflug nach Leipzig (6)

  1. der pieselnde tod am wasser ist mein highlight.
    lieben dank für die freundliche führung durch das museeum, bester videbitis.
    freue mich auf folgende was auch immer du uns zeigen magst. 😉

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  2. eine kleine anmerkung.
    den pieselnden tod am wasser habe ich für den desktop gemopst.
    bei erster betrachtung kam er mir sehr bekannt vor.
    hast du den tod am wasser vor langer zeit auf dem alten blog gezeigt?
    ich wüsste sonst nicht warum er mir bekannt sein könnte.

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