Adenauer und Datendiebstahl

Konrad Adenauer ist gestorben, deshalb liegen die Kränze und Blumen an seinem Denkmal. Ja, aber … ist das nicht schon eine ganze Weile her? Das ist es ja gerade: Genau 50 Jahre, ein Jubiläum – na, wenn das kein Grund zum Jubeln ist! Im Fernsehen laufen Sondersendungen, Reden werden gehalten, nicht nur von Bundeskanzleramtschef Altmeier, nein, sogar von seiner Chefin selbst: „Wir verneigen uns in großer Dankbarkeit …“ und so weiter, immer nach dem Motto: Über Tote soll man nichts Schlechtes sagen. Adolf Hitler, auch tot, war ein Maler. Daß man über Tote nichts Schlechtes sagen soll, rührt her von dem ins Lateinische übertragenen Spruch „de mortuis nihil nisi bene“ des griechischen Gelehrten Chilon von Sparta, der meist  falsch so übersetzt wird: „Von Toten sage nichts als Gutes“. Richtig übersetzt heißt es: „Von Toten nichts als auf gute Weise“, was bedeutet, daß man sich über Verstorbene nicht beleidigend oder verleumderisch äußern soll, da sie sich nicht mehr wehren können. Nach dieser Bedeutung darf man von Adenauer aber sehr wohl sagen, daß er ein restauratives Nachkriegsdeutschland geschaffen hat, in dem noch lange Zeit die alten Nazis an wichtigen Schalthebeln saßen. Wie auch immer: Wieso man ein Jubelfest veranstaltet anläßlich eines „runden“ Todestages, erschließt sich mir nicht ganz – vermutlich ist das nur eine dumme Angewohnheit, irgendjemand hat mal damit angefangen, und da sich irgendwelche Nachgeborenen zu diesem Anlaß wichtig tun können und die Tageszeitung mit einer wochenlangen Serie zum Verstorbenen ihre Seiten  füllen kann, macht man das immer weiter. Wenn ich 20 oder 50 Jahre tot bin – laßt das bitte mit dem Feiern, ja?

Aber das wollte ich eigentlich alles gar nicht erzählen. Der Anlaß für das Foto ist die halbkaputte Absperrbake, die da einsam und allein völlig sinnlos auf dem Apostelnplatz steht. Ab und zu, wenn Saure-Gurken-Zeit ist (oder was weiß ich, warum), läuft ein Tageszeitungsreporter (oder auch ein Stadtprominenter in Begleitung eines solchen) durch die Stadt, macht von unmöglichen, dreckigen, verwahrlosten Orten Fotos und hat schön schnell einen Zeitungsbericht zusammen über die Häßlichkeit der Stadt, wahlweise über die Verantwortungslosigkeit der Bürger, die Weltfremdheit des Rates oder die Funktionsuntüchtigkeit der Stadtverwaltung – oder alles zusammen. Die erwartbare Leserbriefflut füllt zusätzliche Seiten, und das über Wochen. In der Stadtverwaltung hat man sich daraufhin was Schönes ausgedacht: Man entwickelte die App „Sag’s uns“: Vorausgesetzt, man hat ein Smartphone, kann man immer dann, wenn einem irgendetwas auffällt, wie z.B. diese verwaiste Absperrbake, die Stadtverwaltung darüber informieren, die sogleich für Abhilfe sorgt und den Mißstand beseitigt.

Seit ein paar Tagen nun gibt es eine neue Version der App, viel besser als die alte: Nicht nur, daß man mit ihr weiterhin Mängel melden kann, nein, es werden auch alle auf dem Smartphone gespeicherten Kalenderdaten, Fotos und andere Medien sowie andere Dateien auf den städtischen Server gezogen. Selbstverständlich können die Nutzer das auch ablehnen – dann funktioniert allerdings die ganz App nicht mehr. Auf die Frage, was das solle, antwortet man, die neue App erfordere das halt. Tja, da kann man nichts machen, bei einer solchen stichhaltigen Begründung – das muß man so hinnehmen und einsehen. Als Datendiebstahl kann man das nicht bezeichnen, das ist alles ganz legal. Und es hat auch Vorteile, daß die Stadtverwaltung ihre Bürger ausspioniert: Wenn ich an meinem Todestag im Kalender notiere, datiert auf 50 Jahre später: „Heute für mich keine Jubelfeier!“ – dann weiß man das in der Verwaltung schon und muß keine Anstrengungen unternehmen.

11 Gedanken zu “Adenauer und Datendiebstahl

    1. Die Stadt als absurdes Theater, die Verwaltung als Spielleiter, alles zusammen ein riesiges Happening? Schön wär’s, dann hätte es irgendwann ein Ende und man könnte beruhigt nach Hause gehen.;-)

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  1. Das ist sehr lobenswert, dass die Stadtverwaltung sich so für ihre Bürger interessiert. Und wer nichts zu verbergen hat, der offenbart sich doch auch gern und dann weiß die Stadt eben nicht nur, welche Mängel es in der Infrastruktur gibt, sondern welche Mißstände im Denken und Handeln ihrer Bürger anzumerken und gegebenenfalls auszuräumen sind.

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    1. Ganz genau! – wer was zu verbergen hat, ist gleich verdächtig, mit dem stimmt doch was nicht. Und erst diese subversiven Elemente, die gar kein Smartphone haben – entziehen sich einfach dieser städtischen Fürsorge! Aber auch da schiebt die Stadt bald einen Riegel vor: Bestimmte Fahrkarten kann man bei den Kölner Verkehrsbetrieben (also Straßen- und Ubahnen) bald nur noch über Smartphone kaufen (kein Scherz).

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      1. wenn es wirklich so kommen sollte, dass man fahrkarten nur noch per smartphone kaufen kann, hilft nur widerstand auf breiter ebene.
        ich halte nämlich auch nix davon, mein smartphone als bezahlmittel einzusetzen. aber was kann man schon von einer stadt erwarten, die sich als datenkrake erweist???

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  2. hm, der alte adenauer und sein tod werden deshalb gefeiert, weil er der erste demokratische kanzler nach dem wk II war, jedenfalls vermute ich das.
    jedoch, wenn man über tote nur gutes sagen sollte, warum wird „hitler“ heute so schlecht gemacht? 😉
    ich weiß, eine fiese frage.

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    1. Man sollte Todestage nicht feiern, das ist doch makaber. Wenn man unbedingt jemanden feiern will nach seinem Ableben, dann vielleicht zu seinem Geburtstag, oder ein Datum, wenn was Besonderes passiert ist: 276-Jahrfeier der Goldberg-Variationen, das fände ich mal gut!

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    1. Wenn das so weitergeht, kommst Du bald ohne Smartphone nur noch an einen Ort – ins Gefängnis. Wer sich strikt weigert, sich auf Schritt und Tritt überwachen zu lassen und auch seine Dateien und Fotos den Behörden vorenthalten möchte, macht sich so sehr verdächtig, daß von einer hohen Kriminalitätswahrscheinlichkeit auszugehen ist. Und solche Menschen sperrt man doch am besten ein, bevor sie irgendwas Illegales machen – zu ihrem eigenen Schutz.

      Ja, spärlich. Aber dafür, daß sie da auch nur vergammeln, mehr als genug, finde jedenfalls ich.;-)

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      1. …das glaub ich nicht…mit solchen wie mir kann auch ein Gefängnis nichts anfangen, stell Dir mal vor, da sitzen lauter Leute, die meditieren, gerne fasten, singen und dabei glücklich sind…

        …aber, ich überleg grad, mir so ein Dingens zuzulegen, um besser mit meinen Mitmenschen kommunizieren zu können…

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