Critical mass

Der kleine Film zeigt eine sogenannte Critical mass: Zu einem bestimmten Termin an einem bestimmten Ort sammeln sich möglichst viele Fahrradfahrer und gondeln zusammen durch die Stadt. Zum ersten Mal ist das in San Francisco im Jahre 1992 passiert und hat sich zu einer weltweiten Bewegung entwickelt. Allein in Deutschland treffen sich regelmäßig Fahrradfahrer in über hundert Städten. Die Teilnehmerzahl ist unterschiedlich: In Hamburg wurden schon über 5.000 Fahrräder gezählt, in Köln waren es letzten Freitag immerhin 830. Und was soll das Ganze? Die Fahradfahrer wollen auf spielerischer Art zeigen, daß die Verkehrssituation so, wie sie ist, nicht in Ordnung ist: Obwohl es in Köln über eine Millionen Fahrräder gibt, wird wenig getan für diese Art der Fortbewegung, stattdessen wird versucht, die Straßen für den Autovekehr zu optimieren, was aber kaum gelingt: Staus sind an vielen Stellen der Stadt an der Tagesordnung, was zu einer steigenden Umweltbelastung führt und die Mobilität aller Verkehrsteilnehmer behindert, also auch die der Fußgänger, Radfahrer und Benutzer der öffentlichen Verkehrsmittel.

Die Critical-mass-Bewegung macht sich in Deutschland eine durchaus zulässige Gesetzesinterpretation zunutze: Laut eines Paragraphen der Straßenverkehrsordnung dürfen mehr als 15 Fahrräder auf der Straße einen Verband bilden. Dieser Verband muß von den anderen Verkehrsteilnehmern als Einheit behandelt werden, als wäre er z.B. ein langer Lastwagen, was unter anderem zur Folge hat, daß bei einer grünen Ampel alle Fahrer in einem Rutsch über die Kreuzung fahren dürfen, selbst wenn die Ampel inzwischen rot anzeigt. Man kann sich vorstellen, wie lange das dauern kann. Neulich, Freitagabend, dauerte die Fahrt drei Stunden, über eine Strecke von ca. 26 km – das führt natürlich zu erheblichen Einschränkungen für die anderen, motorisierten Verkehrsteilnehmer.

Und so ist es auch nicht verwunderlich, daß die Polizei gar nicht mehr amüsiert ist: Als 2010 die Critical mass in Köln zum ersten Mal stattfand, war sie vermutlich noch recht klein, und die Polizei hat gar nichts davon gewußt. Später, so ist zu lesen, sind Fahrradpolizisten mitgefahren, um für Sicherheit zu sorgen, was aber gar nicht nötig ist. Neuerdings bedient man sich rabiaterer Methoden: Bei einer Fahrt im letzten Mai wurden die Radfahrern von Motoradpolizisten begleitet, nach Zeugenaussagen in aggressiver Form. An einer Stelle wurde die Fahrbahn so sehr verengt, daß nur jeweils ein Fahrrad hindurchpaßte, und alle Personen wurden von der Polizei gefilmt, was eigentlich nicht zulässig ist. Die Polizei rechtfertigte das mit der Angabe, es liege eine Anzeige vor – von wem, wurde nicht gesagt. Gegen einen angeblichen Veranstalter wurde Anzeige erhoben wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz: Eine Versammlung oder Demonstration muß ein paar Tage vorher angemeldet werden, mit Angabe des Ortes oder der Orte, und es müssen Ordner gestellt und noch andere Dinge geregelt werden. Eine Critical mass hat aber keinen Organisator oder Veranstalter oder Anführer, sondern allenfalls einen Urheber, der sagt: Dann und dann fahre ich von da los, wer Lust hat, kann mitkommen.
Die Anzeige der Polizei wurde inzwischen von der Staatsanwaltschaft abgewiesen.

Letzten Freitag sind sogar zwei Anwärter auf das Amt des Oberbürgermeisters mitgefahren: Herr Ott von der SPD und der parteilose Herr Hövelmann. Da kann man nur hoffen, daß sie sich auch für Fahrradfahrer einsetzen, wenn die Wahlzeit vorbei ist.

11 Gedanken zu “Critical mass

  1. Die Bewegung gibt es auch in Hannover. Besonders an den Masten von Fahrradampeln kleben immer wieder mal kleine gelbe Werbeaufkleber für Critical mass. Ich werde demnächst mal eins fotografieren, denn ich wollte sowieso mal über die von mir so genannten „schlanken LItfaßsäulen“ schreiben, die immer öfter für Werbeaufkleber genutzt werden.

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        1. Videbitis

          Stimmt, ich erinnere mich. Was ich nicht wußte: Daß in Hannover jeden Monat (!) eine offizielle Velo-Night stattfindet. Daran sollten die Kölner Rat und Verwaltung sich mal ein Beispiel nehmen.

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          1. Das muss ich als Rheinländer neidlos anerkennen: In Punkto Fahrradfreundlichkeit hängt man in vielen Städt von NRW weit hinten Niedersachsen, trotz des überall vergebenen Attributs „fahrradfreundliche Stadt“. Was uich aus Aachen überhaupt nicht kannte, dass man hier bei Baustellen sogar Umleitungen für Radfahrer baut und ausweist.

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  2. nevertheless13

    die idee finde ich toll. allerdings gibt es auch spontandemonstrationen, die nicht tage vorher angemeldet werden müssen. wie denn auch. doofe polizei in köln.

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  3. seeehr interessant für mich, da mir die fahrräder-critical-mass-bewegung bisher noch unbekannt ist…
    Stuttgart ist sooooo vollgestopft mit autokisten derzeit, dass da sogar niemand mehr mit dem Fahrrad auf den Straßen zwischendurch kommt, auch für mich als töfffahrer ist inzwischen alles dicht; gestern brauchte ich für 20km nach hause 90 Minuten, ich habe die nase gestrichen voll von jedwedem Stadtverkehr, es ist die pure hölle auf erden nur noch!

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    1. Videbitis

      Das kann ich mir gut vorstellen. Ich bin ja auch eine zeitlang mit einem Roller durch die Gegend gefahren, aber ich habe dann schnell festgestellt, daß man in der Stadt mit dem Fahrrad einfach schneller ist.

      In Stuttgart findet die Critical Mass auch regelmäßig statt

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  4. Ich bin ja viel mit dem Rad unterwegs (das Vernünftigste) und muss jeden Tag in der Großstadt um mein Leben kämpfen – unglaublich, was da alles passiert. Ich finde solche Veranstaltungen super: müsste es jede Wochen geben, damit die Herren Autofahrer mal runterkommen von ihrem hohen Ross. 🙄

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