In der Bahnhofshalle

Bei der Bahn scheint man der Meinung zu sein: Wenn die Fahrpläne sowieso keinen Sinn mehr haben, da die Züge – wenn überhaupt – fahren, wie gerade Mitarbeiter zur Verfügung stehen, braucht man auch keine Uhrzeiger mehr. Zu wissen, wie spät es ist, verärgert die Kunden nur: Wenn man die genaue Uhrzeit weiß, setzt man sie nur ins Verhältnis zu Terminen, die man hat, und die wahrzunehmen einen die Bahn an Streiktagen hindert. Da ist es besser, man hat keine Zeitangabe, was in diesem Fall heißt: Man hat sehr viel Zeit, die man schön mit einem Bummel durch den Bahnhof verbringen kann.
Manchmal wünsche ich mir, es gäbe keine Uhren. Wenn ich dann fertig wäre mit meiner Arbeit, könnte ich an manchen Tagen schön gemütlich nach Hause fahren und hätte noch den halben Tag zur Verfügung. Aber nein, die Uhr in ihrer perversesten Form, die Stechuhr, ist dagegen. „Es gibt immer was zu tun!“, scheint sie sagen, und das stimmt ja auch, man könnte die Regale im Büro mal wieder abwischen oder sich sonstwie beschäftigen. Dafür hat man den Vorteil der gleitenden Arbeitszeit: Man kann unter Einhaltung der Kernarbeitszeit kommen und gehen, wann man will, wenn man das mit seinen Kollegen bespricht. Jede Anwesenheit wird ganz genau auf dem Arbeitszeitkonto registriert, und wenn man gut zu tun hat, sammelt sich Pluszeit an, und wenn man irgendwann sterben soll, kann man sagen: Stop! – ich habe noch zwei Tage. Nein, natürlich nicht, aber man kann mal einen Tag frei nehmen, wenn man acht Stunden angesammelt hat. Wenn mal nicht so viel los ist und man keine Lust auf Regalewischen hat, kann es auf dem Zeitkonto natürlich auch Minuszeit geben – glücklicherweise fallen keine Zeitzinsen an, bei 15 Prozent im Dispo würde die Minuszeit schnell zu Minustagen anwachsen und man könnte nachher vielleicht gar nicht in Rente gehen, weil man seine Zeitschulden nicht losgeworden ist.
Glücklicherweise muß die Stechuhr in der nächsten Woche einen Tag länger ohne uns auskommen. Ich wünsche allen ein schönes verlängertes Wochenende, vielleicht sieht man sich zufällig – in der Bahnhofsbuchhandlung.

0 Gedanken zu “In der Bahnhofshalle

  1. Die Zeiger fehlen schon länger. Als ich im März auf der Durchreise war, haben ich sie vermisst. Fragt sich, wem die Uhr eigentlich gehört. Wenn sie tatsächlich Eigentum der Bahn ist, lässt sie hier ein Stück Bahnhofgeschichte verfallen.
    Schöne Pfingsttage in Kölle!

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  2. Tach zusammen,
    ich war am 23.05.15 Samstagabend, so gegen 20:00 Uhr im Bahnhof.
    Das erste Mal wieder seit ca. 20 Jahren.
    Möchte hier gerne positiv vermerken, alles was mich vor zwanzig Jahren
    an diesem Ort noch sehr gestört, ja zum Teil angewidert hat, war nicht mehr vorhanden.
    Für die obligatorischen Pfingstgrüße ist es nun etwas zu spät,
    deshalb wünsche ich euch allen eine angenehme 22. Woche
    M.G.R.

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  3. Hi Videbitis,

    das mit den Zeigern ist echt schon länger so.
    Konnte ich auch beobachten.

    UHREN… ich bin auch kein Fan davon… 🙄
    Frei haben, also OHNE ZEITdruck ist was ganz wertvolles.
    Leider viel zu selten.
    Erlebe ich auch richtig erst, wenn ich im Urlaub bin. Dann aber auch weg von Daheim.

    LG mosi

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  4. Der Geist? Ist Pfingsten etwa eine Spukveranstaltung? Bei mir war er glücklicherweise nicht. Oder ich habe gerade geschlafen, denn an einem langen Wochenende gibt es für mich keine Zeit zum Aufstehen. 😉

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  5. Hallo lieber Hosenträger, das wünsche ich Dir auch. Was war es denn, was Dich vor 20 Jahren am Bahnhof gestört hat? Da habe ich zwar schon in Köln gewohnt, kann mich aber an den Bahnhof damals kaum erinnern.

    Ich habe in Deinem flickr-Portfolio gesehe, daß Du Dich für Streetart interessierst – da kann ich Dir folgendes Blog empfehlen. Die Werke stammen zumeist aus Köln, aber manchmal schicken mir auch andere Leute Fotos, die sie weltweit fotografiert haben:
    http://fragenbeantworten.blog.de/

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  6. Wir Menschen sind ja auch die einzige Spezies, die die Zeit misst. Die Tauben auf dem Bahnhofsvorplatz, auf der Domplatte oder sogar im Bahnhof juckt es nicht, wie spät es ist. Darum beneide ich sie (und alle anderen Lebewesen auf dieser Welt) manchmal sehr.

    Zeit ist sehr zeitraubend, vielleicht wollte die Bahn dagegen ein Statement setzen?

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  7. Was war noch mal das andere, worin der Mensch einzigartig ist … ach ja, im Kriegführen. Ob das mit der Zeitmessung zusammenhängt? Würde mich jedenfalls nicht wundern.

    Ich glaube, die Bahn dreht es sich, wie es ihr gerade paßt: Sind viele Verspätungen oder sogar Zugausfälle zu verzeichnen, ist sie ganz philosophisch: Ach, habt euch doch nicht so, was ist schon Zeit, das Leben ist doch schön, wer will da auf die Zeiger gucken. Wenn man aber mal einen Anschlußzug verpaßt und den nächsten nehmen muß (meist ja ohne eigenes Verschulden), werden sie fuchtig, wieso man nicht in genau dem Zug sitzt, dessen Fahrzeiten auf der Fahrkarte stehen, schnell stehen Nachzahlungsforderungen im Raum, und man hat seine liebe Not, den Schaffnern zu verklickern, daß das nicht die eigene, sondern die Schuld der Bahn ist. Nee, der Bahn ist nicht zu trauen.

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