Ausflug nach Aachen (2)

„Von diesen Stunden eine wird deine letzte sein“ – wie jetzt, heute? Von den zwölf, die da abgebildet sind? Nein, keine Sorge, irgendeine ist gemeint, der Spruch bedeutet: Bedenke, daß du sterblich bist, hau vorher ordentlich auf den Putz, laß die Sau raus, es könnte die letzte sein. Gut, das ist natürlich auch Quatsch, es bedeutet: Bedenke, daß du sterblich bist, und führe also dein Leben in Demut und Bescheidenheit und vor allem ohne (kirchlich definierte) Sünde, denn nach deinem Tod entscheidet sich, ob du in die Hölle kommst, „nur“ ins Fegefeuer (das muß doch ein Sadist gewesen sein, der sich sowas ausdenkt, oder?) oder in den Himmel.

Die „Armen Schwestern vom Heiligen Franziskus“, in deren Klostergarten das Sgraffito zu sehen ist, sind aber ganz munter und gehen – zumindest an diesem Tag der offenen Tür – der Sünde des pekuniären Gewinnstrebens nach: Sie verkaufen Kaffee und Kuchen und betreiben einen Flohmarkt. Ich habe ein bißchen in den Bücherkisten gestöbert und dabei Erstaunliches entdeckt: Neben einem Anti-Jesus-Brevier gab es viele Bücher von Konsalik: „Liebesnächte in der Taiga“, „Die Tochter des Teufels“, „Ein heißer Körper zu vermieten“ – ein interessanter indirekter Blick in die Bestände der Klosterbibliothek.

Der Aachener Rathausplatz – weit und offen, durch die Gastronomie am Rand, aber auch durch die Sitzplätze um den großen Brunnen bevölkert und genutzt:

Eine lebendige Athmosphäre, ein Platz, der trotz seiner Größe funktioniert (ein Negativbeispiel: Der Kölner Neumarkt an einem normalen Tag).

Printen gehören zu Aachen wie der Lebkuchen zu Nürnberg. Ich mag sie nicht besonders gern. Wer will, kann mal reinbeißen, aber ich übernehme keine Verantwortung für Zähne und Bildschirm.

Vielleicht schmecken sie besser, wenn man sie in Kaffee taucht? Wir haben es nicht ausprobiert.

Uns steht der Sinn nach Herzhaftem: In einem kleinen Restaurant am Hühnermarkt kann man gut und günstig essen.

Sehen und gesehen werden …

… wer es ruhiger mag, geht eine Ecke weiter.

Viele Geschäfte sind bereits geschlossen, was uns nicht stört, im Gegenteil, wir fahren ja nicht von Köln nach Aachen, um da einzukaufen. Aber man kann daran den sehr viel beschaulicheren Charakter der 200.000-Einwohner-Stadt erkennen. Der Esoterik-Laden verführt meine Begleiterin, einen Stimmungsring zu kaufen: Er kann die Farbe wechseln, je nach Stimmung des Trägers. Ich habe ihn anprobiert, der Ring behauptet, ich sei ruhig und gelassen. Das stimmt – Zauberei!

Auch das ist Aachen-Altstadt – solche Überraschungen kenne ich aus allen Städten, die im 2. WK zerbombt worden sind. Hier war ca. 65% des Wohnraums zerstört.

Ein paar Meter jenseits des Altstadtrings erkennt man, wieso trotz der vielen Studenten kaum Fahrradfahrer unterwegs sind: Es ist einfach zu hügelig. Manchmal denke ich, ich bin im Harz.

Ein schönes Beispiel klassizistischer Herrschaftsarchitektur, welcher Fürst hat hier gewohnt? Jetzt beherbergt es, einer Demokratie würdig, eine Jugendherberge mit Jugendzentrum für die Stadt … wer hat das geglaubt? Aufzeigen! Was ist mit dem Weihnachtsmann, gibt es den auch? Ja? Ah ja, verstehe. Das Gebäude wird natürlich weiterhin von Herrschaften genutzt, von der Aristokratie heutiger Zeit: Dem Geldadel. Es beherbergt das Casino.

Etwas abseits der touristischen Pfade: Der Willy-Brandt-Platz. Auch lebendig, angenehm unaufgeregt und normal. Das darf natürlich auf keinen Fall so bleiben, deshalb …

… werden alle Häuser abgerissen und ein neuer Konsumtempel errichtet. Müssen Stadtplaner eigentlich auch einen Kurs „Zerstörung von Lebensqualität durch architektonische Verschandelung“ in ihrem Studium besuchen?

Ob der Laden die (rein finanzielle) Umfeldaufwertung überleben wird?

Die leicht pompöse Brunnenskulptur öffnet und schließt übrigens ständig ihre Blätter – ein bißchen unheimlich.

Ein Nachmittag in einer Stadt, da bekommt man nur einen ersten Eindruck, aber der war gut. Vielleicht kommen wir mal wieder, um ein Museum zu besuchen. Bis dann.

Ende.

0 Gedanken zu “Ausflug nach Aachen (2)

  1. Servus!

    Nehme Bezug „zur Errichtung eines neuen Konsumtempels“:
    Ich finde die Architektur angenehm futuristisch!
    Warum immer am Altbackenen festhalten?

    Hier gehts zum Online-Stimmungsbarometer:
    …. 🔯 http://www.tinyurl.com/osp2cvk 🔯 ….
    Bitte teile mir danach deine Stimmung mit..;-)

    Diese „Stimmungsringe“ werden übrigens bei Amazon
    als Spielzeug angeboten. Siehe hier: http://www.tinyurl.com/k9vx4lp
    Deine Begleiterin hat sicher günstige 9,95 Euro dafür bezahlt..;-)
    Hier bei uns im Ort (Etwa 10.ooo Seelen) gibt es inzwischen zwei
    Hokuspokus-Läden. Die Schaufenster voller „Heilsteine“, Tinkturen
    und beschützende Engelchen. Ein-u.Ausgehen sieht man dort nur Frauen.
    (Gleich in der Nähe eines solchen Ladens gibt es ein Eiscafe mit freiem
    Blick dorthin. Meine Beobachtungen trügen nicht.)
    Tja. Es finden sich eben genügend leichtgläubige Schäfchen, die nutzlosen
    Esoterik-Orakel-Astro-Hokuspokus-Tand erwerben.
    Ich hatte ja auch mal ein magnetisches Aurafeldkorrekturimplantat offeriert:
    ….. ⏩ http://www.tinyurl.com/pywheky ⏪ …..
    Da sollte ich mich mal wieder dranhängen und ordentlich bewerben..;-)

    Angenehmen Feiertag!

    Like

  2. Mann, ich krieg Heimweh, wenn ich deine tolle Fotoreportage betrachte. Du hast eigentlich nur den wunderschönen Münsterplatz ausgelassen, wo ich oft bei Nobis gesessen und geschrieben habe. Der Moloch an der unteren Adalbertstraße ist durchaus umstritten. Vor allem wird angezweifelt, dass es überhaupt genug Kundschaft geben werde. Seis drum. Jahrelang war da nur eine riesige Baugrube hinter der noch stehenden Häuserzeile. Gut, dass jetzt wenigstens überhaupt was gebaut wird.

    Like

  3. Achja: Die Pontstraße mit ihren vielen studentischen Lokalen kann ich für einen nächsten Besuch noch empfehlen. Da gibt es auch das Reuterhaus, wo Julius Reuter einen Taubenschlag hatte für Nachrichten, Anfänge der Nachrichtenagentur Reuters.

    Like

  4. Für einen Tagesausflug ist das aber eine beachtliche Foto-Ausbeute. Ich muss eigentlich nur Dein Blog lesen und erspare mir teure und anstrengende Reisen. Aachen steht nämlich auch auf meiner To-see-Liste. Oder sollte ich schreiben: stand? Nein, nicht dass Du denkst, Du hättest mir die Lust auf einen Besuch genommen!

    Zum Stimmungsring sage ich jetzt mal nichts. ’scheinheiligguck*

    @AWTchen

    Ich kenne auch Läden, in die sieht man nur Männer reingehen.

    Like

  5. Hola Señora Cuentacuentos!
    Falls du jetzt auch Erotikshops meinst, dann liegst du
    da falsch. Werden vielerorts auch von Frauen frequentiert..;-)
    Mir würde spontan kein Laden einfallen, den nur Männer
    aufsuchen. Selbst beim Herrenausstatter sind Frauen zugegen,
    um Hemden und Socken für den Gatten zu erwerben.
    Klär mich bitte mal auf. Merci!..;-)

    Like

  6. am mittwoch besuchte ich den dom in hildesheim. er ist 1200 jahre alt und wurde von 2009 bis 2014 saniert. es war beeindruckend.
    dazu stand die hildesheimer rose im frischen grün, sie blühte noch nicht.
    leider habe ich meine kamera vergessen, ich schaf.
    fotografieren war dort erlaubt und es gab einiges zu sehen, verdammt.

    Like

  7. interessante Auswahl bei den Klosterschwestern. Aachen hab ich kaum noch in Erinnerung, aber mir fehlt NRW nun so gar nicht. So ein Bericht von dir reicht völlig aus. Leider kriegt man gleich auch noch schwachsinnige Kommis von seltsamen Zeitgenossen mit. Manchmal ist meine Fähigkeit des schnell lesens sehr hinderlich.

    Like

  8. Natürlich hab‘ ich an Erotikshops gedacht – obwohl ich es besser weiß, da ich auch selbst schon in einem war (und sogar etwas gekauft habe!). Ich habe vorm geistigen Auge eben immer noch den ersten Beate-Uhse-Laden, in den die Herren nach schnellem Rechts-links-Blick (Sieht mich auch keiner, der mich kennt?) blitzschnell verschwanden. Jetzt überlege ich zu meiner Ehrenrettung, was schnelleren Erfolg verspricht: Mich vor einem Esoterik-Laden auf die Lauer zu legen, bis ich das Beweisfoto eines eintretenden Mannes habe, oder eine rein männliche Alternative zum Erotikshop zu finden. Ah, ich hab’s! Darkroom einer Gay-Bar! Und in diese schönen altmodischen Pissoirs gehen Frauen auch nicht rein – nicht mal versehentlich. (Ich hoffe inständig, dass Charlotte Roche mir jetzt nicht widerspricht.)

    Like

  9. …und der Himmel ist keine Option? Dann bin ich wiederum froh, nicht gläubig zu sein. Wobei ich wahrscheinlich eh in den Keller kommen würde.

    Mit VIP-Bändchen und Freigetränk. :>

    Like

  10. Futurismus, wie er in den 70ern modern war. 😉
    Das Problem ist, daß überall bezahlbarer Wohnraum fehlt. Woran es garantiert nicht fehlt, ist ein neues Einkaufszentrum, davon gibt es schon genug: Soviel ich weiß, hat sich die Kaufkraft der Kunden nicht vegrößert. Hier findet ein Verdrängungswettbewerb statt, zu Lasten der Stadtgestaltung und der Lebensqualität der Bewohner.

    Laut Stimmungsbarometer ist meine Stimmung super. Hm – das war mir gar nicht klar bis eben, gut daß ich das jetzt weiß.

    Danke für den Link – ich war schon drauf und dran, nochmal nach Aachen zu fahren, um mir auch einen Ring zu besorgen. Wenn ich mich dann mit meiner Begleiterin verabreden will, frage ich vorher nach der Farbe ihres Ringes und entscheide dann, je nachdem, ob das auch zu meiner Ringfarbe paßt. Und ich überlege noch, ob ich nicht jedem meiner Kollegen so einen Ring schenken sollte, allerdings ohne sie darüber aufzuklären, was es damit auf sich hat. Wenn ich dann zu meiner Chefin gehe, um ein wichtiges Gespräch über eine Gehaltserhöhung zu führen, reicht ein Blick auf ihren Ring, ob das überhaupt Zweck hat, oder ob ich den Termin lieber verschieben sollte.

    Like

  11. Schnell mal nachgesehen – ah ja, da waren wir auch, ich habe leider bloß kein aussagekräftiges Foto von dem Platz. Nobis merke ich mir fürs nächste Mal.
    Einkauszentren in Großstädten gibt es nun wirklich genug, ebenso wie Büros. Was man braucht, sind bezahlbare Wohnungen, aber Gebäude zur gewerblichen Nutzung zu bauen ist für Bauherren finanziell viel attraktiver. Man, also die Politik, müßte es verbieten oder zumindest regulieren.

    Like

  12. Da sind wir auch hinuntergelaufen, ohne zu wissen, wie die Straße heißt und was es damit auf sich hat, es bietet sich einfach an, wenn man auf dem Rathausmarkt steht und überlegt, wohin man als nächstes gehen soll. Stimmt, je weiter es nach außen geht, um so studentischer wird es:

    Da gibt es auch ein Zeitungsmuseum, vermutlich hängt das mit der Nähe des Reuterhauses zusammen? Ist ja interessant, wie sich das entwickelt hat, vom Taubenschlag zur weltweit operierenden Nachrichtenagentur.

    Like

  13. Ich hoffe sogar, ich habe Dir Lust gemacht auf einen Besuch. 🙂 Den Dom und Umgebung sollte man unbedingt mit eigenen Augen gesehen haben. Wenn Du da bist, kannst Du für mich Printen probieren und mein Vorurteil bestätigen oder ausräumen.

    Like

  14. Du Schaf! 🙂 Na gut, vielleicht kommst Du nochmal hin und holst das nach mit den Fotos. Hildesheim ist ja nich soo weit weg – liegt bloß 30 km südlich von Hannover, lese ich gerade, schade eigentlich, daß ich die Stadt nie besucht habe, als ich mal in Hannover wohnte.

    Like

  15. Wirklich eine schöne Innen-Stadt, sofern man das nach einem Nachmittag sagen kann. So richtig erschließt sich eine Stadt natürlich erst, wenn man ein paar Tage da ist und auch in die Randbereiche geht.

    Like

  16. Ja, wenn man als Kölner mal Lust auf einen Ausflug hast, aber nicht weißt, wohin: Aachen ist nicht weit.
    Sind Printen nicht unangenehm schwere süß-bittere Teigstücke, die einem zwischen den Zähnen kleben, mit „versteckten“ Zuckerstücken, die knirschen wie Sand, wenn man darauf beißt? Ich glaube, ich bleibe beim schwäbischen Apfelkuchen. 😉

    Like

  17. Ah – danke für den Hinweis! Hölle, Fegefeuer oder Hölle – die Aufzählung könnte glatt von einem Prister stammen, für die sind ja alle Menschen per se Sünder.
    Du glaubst also, die Hölle ist ein Partykeller? Hm – könnte stimmen, wenn nur Musik von Helene Fischer und Andrea Berg gespielt wird. Da kann man nur hoffen, daß es ordentlich was zu trinken gibt. 😉

    Like

  18. Das sieht nach café Kittel aus. an der linken Wand des Biergartens befand sich früher ein Graffito von Klaus Paier, bei Wikipedia zu sehen: http://de.wikipedia.org/wiki/Klaus_Paier_(Graffiti-K%C3%BCnstler)
    Das internationale Zeitungsmuseum hat eigentlich nichts mit dem Reutershaus zu tun. Übrigens stammt das Bild meiner Frau Nettesheim daher, nämlich aus einem Exemplar der 50er-Jahre-Zeitschrift Kristall, das ich dort bei einem FLohmarkt erstanden habe. Über die Pontstraße und Julius Reuter habe ich hier geschrieben:
    http://abcypsilon777.blog.de/2007/08/01/abendbummel_online_ringsum_lebenswege~2740333/

    Like

  19. „Kennst du das? Du wachst morgens auf, und wunderst dich, wer du bist und dass du allerlei Dinge erledigen sollst, bis hin zum Kaffee machen. (…) Wenn es blöd kommt, fremdelst du den ganzen Tag als wärst du im falschen Film. Wer gibt dir eigentlich die Gewissheit, dass du gestern nicht jemand anderes warst?“ Immer wieder ein Vergnügen, in Deinen Artikeln zu lesen – der Zustand ist mir nur allzu gut bekannt. 😉

    Danke für den Hinweis auf Klaus Paier, da werden einige seiner Werke gezeigt, die ich noch nicht kannte. Ich habe ja auch eine kleine Sammlung von Werken, die er in seiner Kölner Zeit gemacht hat, ich glaube, ich habe sie Dir schonmal gezeigt:
    http://fragenbeantworten.blog.de/tags/aachener-wandmaler/fullposts/

    Like

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s