Neulich, an einem Sonnabendnachmittag, war ich in Aachen. Die Altstadt ist klein und gemütlich, viele kleine Plätze finden sich rund um dem Dom …
… in dessen Oktogon, also einem achteckigen Rundbau, mit freischwebender Kuppel wir hier blicken. Die Kirche galt lange als architektonisches Wunderwerk, selbst heute kann man sich noch nicht zur Gänze erklären, wie die das eigentlich gemacht haben, ohne daß sie zusammenkracht. Es war Karl der Große, der sie um 800 erbauen ließ.
Die eindrucksvollen Mosaike sind allerdings jüngeren Datums (spätes 19. Jahrhundert). Der Ort, auf dem sich die heutige Stadt befindet, war aus einem bestimmten Grund schon immer besiedelt, der Name der Stadt weist selbst darauf hin: Aachen kommt vermutlich vom altgermanischen „ahha“ (wie „acha“ ausgesprochen) und bedeutet „Wasser“: Hier gibt es heiße Quellen, die bis zu 74 °C heiß werden können, was auch einer der Gründe war, wieso Karl der Große, der bis dahin wie seine Vorgänger ein nomadisierender Herrscher war, sich hier ansiedelte (die anderen waren Wälder, die eine gute Jagd versprachen, und – nicht zuletzt – die geostrategische Lage des Ortes).
Die Stadt wuchs und gedieh und wurde zur Krönungsstadt: Alle „deutschen“ Könige wurden hier bis 1531 gekrönt, über 30 Herrscher saßen auf dem Karlsthron, den man noch heute besichtigen kann. Ein Blick in den gotischen Anbau mit seinen gewaltigen Glasfenstern (die höchsten gotischen in ganz Europa): Warum stehen da zwei pompöse Reliquiare? Meine Begleiterin hatte sogleich eine Vermutung: Karl der Große war so groß, daß er in einen Schrein nicht hineinpaßte, weshalb man nun von Karl dem Zerstückelten sprechen müsse. Klingt naheliegend, stimmt aber nicht: Im hinteren Schrein liegen die Gebeine Karls (ab einem bestimmten … äh, Alterungsprozeß läßt sich da ja einiges zusammenschieben), der vordere wird Marienschrein genannt und enthält die sogenannten vier großen Aachener Heiligtümer, als da sind: Ein Kleid der Jesus-Mutter Maria, eine Windel von Jesus, sein Lendentuch, das er am Kreuz getragen hat, und das Enthauptungstuch von Johannes dem Täufer, also das Tuch, in dem der abgeschlagene Kopf des Mannes begraben war. Alle sieben Jahre werden die Heiligtümer während eines Festes, genannt Heiligtumsfahrt, aus dem Schrein geholt und …
… auf dem Katschhof der Allgemeinheit vorgeführt und strahlen dann irgendwie irgendwas ab, was gut für einen sein soll. Im Rahmenprogramm wird eine Jungfrau durchgesägt Kein Scherz, früher wurden trichterförmige Hörner verkauft, mit denen man nur einen Ton erzeugen konnte (eine frühe Form der Vuvuzela), die man entsprechend in die Höhe halten mußte, um von den Strahlen (oder was weiß ich) möglichst viel aufzufangen. Besonders Findige hielten konvexe Spiegel an Stangen hoch, in der Überzeugung, daß es auf sie abstrahlte, wenn sie dann selbst hineinsahen.
Von den Heiligtümern wird nur das Kleid entpackt, die anderen Gegenstände müssen durch eine Verpackung wirken, und damit man weiß, was was ist, sind sie mit verschiedenfarbigen Bändern umwickelt. Die Bänder für die Windel sind sinnigerweise gelb und nicht braun – man kann also aufatmen.
Natürlich hat man inzwischen herausgefunden, daß sämtliche Textilien aus späteren Jahrhunderten stammten, aber auf die Feier von Lug und Betrug mag man trotzdem nicht verzichten, man macht das schon so lange, außerdem kommen die Leute doch trotzdem, bringen viel Geld in die Stadt, und vielleicht weiß es der ein oder andere Depp ja auch nicht und das Brimborium festigt seinen Glauben an die Kirche.
Will noch jemand wissen, was die drei „kleinen“ Heiligtümer sind? Ein Gürtel von Maria, ein Gürtel von Jesus und sein Geißelstrick, ein Schnürsenkel, eine Schnabeltasse – da muß ein cleverer Sammler am Werk gewesen sein, der diese Dinge frühzeitig gehortet hat.
Fortsetzung folgt.
Hi Videbitis,
danke fürs Mitnehmen… 😀
Beeindruckende Fotos und lehrreiche Fakten!
Hast Du Printen mitgebracht?! ;D
Bin gespannt auf die Fortsetzung… 🙂
LG mosi
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Ich muss gestehen: ich hab von Aachen noch NIE was gesehen, dabei war ich schon mehrere Male dort. Immer im Dezember, aufm Weihnachtsmarkt. Klar, dass man da von der Stadt nix zu sehen bekommt – ich bin von Natur aus eher klein und alle anderen irgendwie größer als ich. Deswegen: danke, dass ich jetzt weiß, wie schön Aachen ist!
(Ich sollte mal im Frühjahr hin…)
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Ja, habe ich, allerdings nur auf einem Foto, kannst gern mal abbeißen, wenn ich es im nächsten Eintrag zeige. 😉
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Ja, ich weiß, kleiner als die Polizei erlaubt, du bist also entschuldigt. Außerdem ist es im Winter auf dem Weihnachtsmarkt immer dunkel, egal zu welcher Tageszeit, jedenfalls hat man den Eindruck angesichts der vielen Lichter an den Buden.
Fahr bei schönem Wetter hin, es macht einfach mehr Spaß in einer Stadt, wenn man draußen sitzen kann.
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auch war schon einmal in aachen, gut 10 jahre her. nur den dom haben wir damals nicht besichtigt sondern nur ne kirche, die auf dem weg lag.
aber schee wars schon.
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Wenigstens meine ich den Eindruck zu haben, dass es in Aachen viele besuchenswerte Kneipen gibt. Dieses Halbwissen resultiert aber eher aus meinem Blutalkoholspiegel zur Weihnachtszeit.
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Freu mich drauf… 😉
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Sag mal, was ich mich schon immer fragte, beim Betrachten deiner Fotos: Gibt es dort wo du hin kommst zufällig kein Fotoverbot oder ignorierst du das?
Fast jede Kirche, die ich betrete, hat mittlerweile Fotoverbot, (vermutlich damit man Postkarten und Bildbände im „Shop“ kauft).
(In der Nikolaikirche darf man fotografieren, nur den Altarraum nicht.)
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Stimmt, Kirchen gibt’s da auch jede Menge, da steht schnell mal eine im Weg, in die man dann angelegentlich hineingeht. So geht es mir auch oft. 😉
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Gut, daß Du das ansprichst, ich hatte ganz vergessen, mich darüber aufzuregen: Im Aachener Dom gibt es ein eingeschränktes Fotografierverbot: Man soll, nachdem man die Kirche bereits betreten hat, umständlich umkehren und irgendein Büro aufsuchen und sich für 1 Euro eine Fotografiererlaubnis kaufen. Die katholische Kirche Deutschland ist so unermeßlich reich, daß sie gar nicht auswendig wissen, in welchen Steueroasen sie das Geld geparkt haben, da müssen erst Journalisten kommen und sie darauf hinweisen.
Selbstverständlich habe ich das ignoriert – hat aber auch keinen gestört. In Krakau hat mich mal ein Aufpasser derart angeblafft, ich war froh, mit dem Leben davongekommen zu sein.
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Ah, interessant. Bisher bin ich immer eher freundlich (aber bestimmt) drauf hingewiesen worden. Das Blöde ist nur, daß man sich dann so verpflichtet fühlt, was zu spenden, zu geben oder eben man fühlt sich wie einer dieser Touris, die einfach nur draufhalten, egal was es ist.
Und defacto sind Kirchen für mich auch als Nicht-Christin immer noch so was wie heilige Orte, so daß ich oft selber denke: immer dieses Geknipse. Allerdings wenn dann wie in Bad Doberan ein Video vom Shop her durch die ganze Kirche schallt, dann ist Schluß mit heilig. In manchen Kirchen artet so was echt aus, finde ich.
In der Nikolaikirche war das sehr dezent und ich war sehr dankbar, daß ich dort tatsächlich den „Schwerter zu Pflugscharen“-Button kaufen konnte, einmal Erinnerung an meine „seligen“ Friedensbewegten Zeiten (ich war extrem aktiv in den 80ern) und einmal als Erinnerung an Oktober 89.
Apropos Polen, warst du eigentlich auch in Danzig?
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In Köln ist das Fotografieren in allen Kirchen erlaubt, vielleicht bin ich deshalb immer so erbost, wenn ich in einer anderen Stadt dafür bezahlen soll.
Nein, in Danzig waren wir nicht, auch nicht in Warschau. Unsere Zeit hat nur für den Süden gereicht, Breslau, Krakau und Zakopane, letzteres, um in der Hohen Tatra zu wandern.
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Deiner lehrreichen Reportage möchte ich nur eins hinzufügen: Johannes Gutenberg hattte, bevor er den Buchdruck erfand, eine andere Geschäftsidee. Er produzierte Spiegel für die Aachener Heiligtumsfahrt. Die aber fiel wegen der Pest in der Stadst. Gutenberg ging bankrott und musste was anderes machen. Ich habs hier dramatisiert: http://abcypsilon777.blog.de/2005/12/26/das_sonntagswort_uber_spiegel~416938/
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Danke für den Link, ich konnte mich entfernt daran erinnern, daß Du mal in einem anderen Zusammenhang darüber geschrieben hast.
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