Menschen, Pfaffen, Sensationen (1)

Der Dom kommt aus den Schlagzeilen kaum noch heraus. Was ist davon zu halten: Ein junger Mann betritt stürmisch ein Gotteshaus, schmeißt alle Tische um, beschimpft die Anwesenden, beschuldigt sie indirekt der Heuchelei und versucht, sie handgreiflich zu verjagen. Seine Anhänger finden das so gut, daß sie nun seit über 2000 Jahren mit großem Pomp seinen Geburtstag feiern. Sein Name ist Jesus. Und wenn zu einer solchen Feierei eine junge Frau etwas Ähnliches macht, allerdings viel harmloser: Sie schmeißt nichts um, beschimpft niemanden, stört nur ein bißchen – dann ist das plötzlich was ganz besonders Schlimmes. Die Volksseele kocht.

In dem selben Exemplar des Kölner Stadtanzeigers, aus dem der Bildausriß oben stammt, steht in dem Bericht, die Aktivistin der Frauenrechtsgruppe Femen sei mit entblößten Brüsten auf den Altar des Doms gesprungen, und auf denen stehe der Satz „I am god“. Sind es schlechte Anatomiekenntnisse, oder ist es einfach nur Schludrigkeit, denn wie jeder sehen kann, steht der Satz auf dem ganzen Oberkörper, nicht nur auf der Brust, zudem war da auch nichts entblößt, die junge Frau trug ein Trikot, was man zwar nicht sofort eindeutig erkennt, aber Recherche sollte eigentlich zum Handwerkszeug eines jeden Zeitungsschreibers gehören. Stattdessen wird vermutlich einfach abgeschrieben, was Sensationsschlagzeilen im Internet behaupten, selbst Tage später noch ist in der Zeitung von entblößten Brüsten die Rede.

Ein paar Tage später wird in der selben Zeitung berichtet, besser gesagt: behauptet, die renitente Aktivistin sei sehr störrisch gewesen und nur durch das beherzte Eingreifen eines Unternehmers aus Frechen, der aus der zweiten Reihe aufstand und ihr auf den Kopf schlug, sei sie zu bändigen gewesen. Tatsächlich sieht man in dem kleinen Film, wie die Frau von zwei Männern umringt wird, als der Besucher plötzlich aufspringt und sich übel an ihr abreagiert. Sehr mutig. Die Zeitung schreibt – völlig zusammenhangslos – von ihm als einen Mann, „… der selbst gläubig ist und in der Vergangenheit schon mehrmals Kirchenprojekte im Ort unterstützt hat …“.

Ein Zeitungsschreiber darf sogar einen Kommentar abgeben: Die Provokation sei verpufft, meint er, da der Kardinal so gelassen reagiert habe: Der hatte die Störende sogar in sein Gebet aufgenommen, und mit ein bißchen Weihwasser und ein paar liturgischen Floskeln war der entehrte Altar auch im Nu wieder einsatzbereit – Altarreinigungsexpressservice während des Gottesdienstes. Allerdings liest der Kommentator offenbar seine eigene Zeitung nicht, denn was da seit Wochen an Geifer und Galle auf den Leserbriefseiten gespuckt wird, spottet jeder Beschreibung.

Und was ist nun zu halten von der Protestaktion der Femen-Ativistin? Zumindest hat sie meine Sympathie, dazu gehört viel Mut, am ersten Weihnachtstag im vollbesetzten Dom auf die Mißstände und strukturelle Frauenfeindlichkeit der katholischen Kirche hinzuweisen. Ob die Aufklärung, die dadurch bewirkt werden soll, tatsächlich erfolgreich ist, ist fraglich angesichts der heftigen negativen Reaktionen, langfristig aber nicht abzusehen: Die Londoner Suffragetten Anfang des 20. Jahrhunderts bewaffneten sich mit Hämmern, um Schaufenster einzuschlagen, und stecken (leere) Kirchen in Brand.

0 Antworten zu “Menschen, Pfaffen, Sensationen (1)

  1. …die junge Frau hat meine Sympathie und Bewunderung, denn ich bin nicht so mutig…warten wir 50 Jahre ab…dann wird über sie ganz anders berichtet werden…Zeiten ändern sich glücklicherweise…

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  2. Ich habe gelesen, daß die Femen-Gruppe in den westlichen Medien allgemein bewundert wurde – als sie sich noch auf die Ukraine beschränkten. Seitdem sie auch bei uns ihre Aktionen machen, sieht die Sache anders aus.

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  3. WOW WOW und nochmals Wow! Mein uraltes schlafendes Feministinnenherz wird wieder wach und lacht. Das ist doch mal was!
    I am God! Yes you are. Gott hat kein Geschlecht und wenn dann ist das Göttliche eher yin als yang. Nur kapiert das der Verein Alt-Pädophiler nicht, denn mehr als alles andere fürchten diese Männchen die starke Seite der Frau.
    Deswegen haben sie ja Maria, der großen Mutter Meer schon vor tausenden von Jahren die Krallen gezogen und sie zur reinen Magd gemacht.

    Die nackten Brüste in der Zeitung sind klar: sie erinnern total an die Aktion von damals, (laaaang ist’s her), als Studentinnen aus Protest barbusig daher kamen und kurz danach gab es das „Schwänzeflugblatt“ und das ist das, was den Leuten noch irgendwie hängen geblieben ist. Das ist alles ein Topf! Feministinnen, die Gott sein wollen und kurz danach geht’s den Männern an das beste Stück!

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  4. Ja, am bekanntesten ist wohl das Ereigniss, als sich drei Studentinnen während einer Adorno-Vorlesung an der Frankfurter Universität auszogen, woraufhin der Professor eilig den Hörsaal verließ.
    In diesem Fall kommt noch die Erwartungshaltung der Schreiberlinge hinzu, denn das Protestieren mit blanken Brüsten ist ja eine der Hauptprotestformen der Femen-Gruppe. Sie machen das, wie sie sagen, damit sie überhaupt wahrgenommen werden von der Öffentlichkeit, wenn man einfach nur Plakate hochhält, interessiert das keine Sau. Aus dem gleichen Grund zerschlugen die Londoner Suffragetten Schaufensterscheiben mit Hämmern – natürlich war ihnen bewußt, daß ihnen das kaum Sympathien einbringt, aber das war besser, als einfach nur totgeschwiegen zu werden.

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  5. Genau, das ist es und es ist traurig, daß frau zu solchen Mitteln greifen muß.
    Dennoch sehe ich dieses „oben ohne“-Demonstrieren sehr sehr kritisch, denn es gibt dann z.B. auch Applaus von der falschen Seite oder eben es reduziert sich alles auf „XY zieht blank- ah, geifer, geifer…“.
    Und die Suffragetten verstehe ich zwar auch, dennoch kann Gewalt nicht das Mittel sein. Aber Tabubrüche sind ein gutes Mittel.
    Mensblut auf dem Altar, vermutlich hätte man sie gesteinigt.

    Es gibt einen Teil in mir, der all diese plakativen Aktionen mag, eben weil die Masse zu allem schweigt. Allerdings würde ich mich persönlich gegen Kirche nicht mehr engagieren, denn die ist für mich eine Sache, die sich sowieso bald auflösen wird. Zumindestens was die Katholiken angeht, das kann ich nicht ernst nehmen, das ist einfach ein Haufen ewig Gestriger und interessiert mich so viel wie ein Club oller Kriegsveteranen, die von Stalingrad erzählen und daß die Jugend mal wieder einen Krieg braucht, um zu Männern zu werden.

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  6. Femenaktionen findet man bei uns nur gut, wenns gegen Putin geht. Allerdings waren die Sicherheitsleute auf der Hannovermesse am VW-Stand auch nicht zimperlich.

    Die tolle Aktion im Dom erinnert mich an den Dadaisten Johannes Baader, der im Jahr 1918 mit einem Christus-Happenings im Berliner Dom schockte. Es ist nicht überliefert, ob er obenrum ein fleischfarbenes Trikot trug.
    Baader:
    „Was bedeutet euch Jesus Christus? Er ist genau wie ihr – ihm ist alles egal!“

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  7. Danke für den Link und den Hinweis auf Johannes Baader.

    Auch ein Tittenattentat muß unbedingt verhindert werden, dafür gibt es wahrscheinlich extra Bodyguardkurse. Außerdem könnte ja jemand eine Knarre im Höschen haben – worst case für einen Leibwächter, Putin würde es nie verzeihen, von halbnackten Mädchen angeschossen zu werden.

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