Diese geisterhafte Gestalt soll Johann Adam Schall von Bell sein – vielleicht hat der Künstler Werner Stötzer dem Umstand Rechnung getragen, daß er nur seine ersten 15 Lebensjahre in Köln verbracht hat. Dann, im Jahre 1607, schickte ihn seine einflußreiche Familie nach Rom, wo er Mathematik, Astronomie und Theologie studierte und dem Jesuitenorden beitrat. Im Alter von 26 Jahren reiste er mit ein paar Kollegen nach China, um die dortige Einwohnerschaft zu missionieren. In Peking war man gar nicht amüsiert, hatte man doch gerade erst die letzte Truppe von Missionaren des Landes verwiesen. Aber Berufs-Katholen sind hartnäckig, also ließen Schall von Bell und seine Mitreisenden sich in der winzigen protugiesischen Kolonie Macao direkt an der chinesischen Küste nieder und hofften auf bessere Zeiten. Die ließen auf sich warten, stattdessen kamen die Niederländer und wollten die Kolonie für sich haben. Dank der Missionare – sie reparierten vier alte Kanonen und waren auch sonst kämpferisch hilfreich – konnte der Angriff abgewehrt werden, was wiederum die Chinesen neugierig machte. Sie luden die Gruppe ein.
In den folgenden Jahren beeindruckte Schall von Bell seine Gastgeber nicht nur mit seinen mathematischen und astronomischen Kenntnissen, sondern er reformierte auch den chinesischen Kalender und leitete die Produktion von hundert Kanonen. Tja, diese Jesuiten, sehr vielseitig. Sein Ansehen stieg dermaßen, daß er als Lehrer und Berater des Kaisers Shunzhi zum Mandarin 1. Klasse ernannt wurde, d.h. zum einem höchsten Staatsbeamten. Kurze Zeit, nachdem der Kaiser gestorben war, erlitt Schall von Bell, inzwischen 72 Jahre alt, einen Schlaganfall, der ihn zwar nicht umbrachte, aber sein Sprachvermögen stark beeinträchtigte. Seine höfischen Gegner nutzten das aus, intrigierten gegen ihn, und am Ende eines Prozesses wegen Hochverrats fiel das ungerechte und denkbar ungünstigste Urteil: Zerstückelung des Körpers bei vollem Bewußtsein. Das wünscht man seinem ärgsten Feind nicht. Aber dann, wenige Tage vor der Vollstreckung – das Leben ist manchmal unwahrscheinlicher als ein Hollywood-Drehbuch – ereignete sich ein Erdbeben, was die Richter für ein Omen hielten, worauf sie Schall von Bell freisprachen. Anderthalb Jahre später starb er ganz normal an seinem Alter.
Und weil sich alles so schön anhört, diese kölnisch-chinesischen Geschichten von damals, führen Politiker und Funktionäre anläßlich des China-Jahres in Köln und NRW den Namen Schall von Bell gern im Mund.
Worüber sie aber nicht gern reden, sind die Ereignisse um den „Platz des Himmlischen Friedens“ im Jahr 1989, als studentische Demokratisierungsbemühungen ein paar Tausend Menschen das Leben kostete. Und auch im Westen, so findet man, schadet ein immer wieder erneutes Aufwärmen dieser unerfreulichen Dinge den Geschäften: Billigwaren aus China verschaffen auch hiesigen Firmen einen Gewinn, den man nur ungern durch ungemütliche Kritik gefährden will (außerdem sind in demokratischen Ländern die Löhne höher, was die Produkte verteuert, aber pssst!).
Das Graffito ist in diesem Jahr von „Amnesty International“ in Auftrag gegeben worden, ein zweites sieht man hier (letztes Bild).
diese fotos —- hhhmmm… eine wahre pracht! unten farblich, oben in so gelungener s/w-schattenwurfqualität!
ich muss sagen: interessant, dein köln!
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Ja, stimmt, es gibt immer wieder Neues zu entdecken. 🙂
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Tiamen … und der Mann, der die Panzer aufhielt. Hierzulande wäre er auch verhaftet worden … .
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Hierzulande werden allerdings Demonstrationen noch nicht vom Militär mit Panzern aufgelöst, obwohl es aus CDU-Kreisen ja immer wieder Forderungen gibt, die Bundeswehr auch im Inneren einsetzen zu dürfen, was bislang und aus guten Gründen noch verboten ist.
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Viel Wissensstoff! Ich fange mal bescheiden an und versuche, mir zu merken, dass der Jesuitenpater Schall von Bell und nicht Bell von Schall (was für ein Name!) hieß.
Mit gefallen Stötzers Skulpturen am besten in seinem Garten. Aber Du hast den Schall von Bell (richtig?) wirklich fein fotografiert.
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Das Leben: Ein Abenteuer. Hier kann man das wirklich sagen, wenn man es verfilmen wollte, könnte man eine ganze Serie daraus machen. Noch lieber wäre mir, Daniel Kehlmann würde einen Roman darüber schreiben.
Danke! 🙂
Warst du mal da, in Stötzers Garten? Ich habe mir die Satellitenbilder angesehen, er hat ja ziemlich abgelegen gewohnt.
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„was bislang und aus guten Gründen noch verboten ist.“
Da hat das Verfassungsgercht inzwischen diese Absolutheit negiert. Und beim G8 am Heiligendam wurden definitv Kampfflugzeuge eingesetzt.
Allerdings: Ob Panzer, Militär oder nicht, der Mann waäre auch in Deutschland verhaftet worden. Und das mit gutem Recht. Denn wer sich den Organen der Staatsmacht (Polizei) widersetzt, sich selbst passiv vor Wannen setzt, begeht diverse Straftatbestände und wird entsprechend hart verurteilt.
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Ah ja. Um so schlimmer. Immerhin ist es noch nicht so weit, daß bei Demonstrationen regelmäßig Militär eingesetzt wird. Aber braucht es auch nicht, denn die Breitschaftspolizei selbst wurde seit den 70ern immer mehr militarisiert, und die Wasserwerfer und Einsatzwagen sind inzwischen auch gut gepanzert. Daß das Recht „gut“ ist, möchte ich allerdings bezweifeln, da kommt es ganz auf den Einzelfall an und auf dei Perspektive, aus der man es betrachtet.
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Du bist ein gründlicher Rechercheur. Das weiß ich sehr zu schätzen. 🙂
Nein, ich war leider nie in Stötzers Garten, aber kürzlich ergab es sich, dass ich fürs Archiv Fotos sichten und mit IPTC-infos versehen musste, die anlässlich eines Besuchs von Schülern bei ihm gemacht wurden: Einige sind hier zu sehen: http://www.adk.de/jungeakademie/schuelerprojekte/100-10/projekte/Seiten_100-10/10_Werner_Stoetzer.htm
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