5 Euro! 6,7 Millionen alkohol- und nikotinsüchtige „Hilfsbedürftige“ – so nennt man die Hartz-IV-Bezieher – dürfen sich freuen, endlich können sie das Geld mit vollen Händen ausgeben, das sie zum Überleben brauchen. Natürlich nicht für Alkohol und Tabak, das wäre ja wohl noch schöner. Sie sollen davon z.B. die kaputte Waschmaschine reparieren lassen, oder einfach mal wieder ein gutes Buch kaufen – gut, dafür muß man natürlich ein bißchen sparen, für die Waschmaschine sogar ein bißchen länger, aber egal. Man muß es mal so sehen: 5 Euro, das entspricht dem Pfandwert von 20 aus dem Müll geklaubten PET-Flaschen, oder auch 62 Bierflaschen – leere, versteht sich. Super, oder?
Zwei Meldungen später gab es in den Nachrichten noch folgende Nebensächlichkeit zu berichten: „Bei den mit Steuergeldern geretteten deutschen Banken werden wieder Millionengehälter gezahlt.“ (tagesschau 26.09.10, 12 Uhr). 25 Millionen Euro, so heißt es am Abend bei Anne Will, hätten die Vorstände sich gegönnt. Das rechnet allerdings keiner in leere Pfandflaschen um.
Blogfreund Trithemius hat vor einiger Zeit einen sehr guten Text darüber geschrieben, den ich hier der Einfachheit halber und dank seiner Pauschalerlaubnis („Klaut alles“) hineinkopiere:
„Flasche leer – Mutprobe für Beherzte
Eine Mutprobe, und wenn du nicht mitkommen willst, lies nicht weiter. Die Sache ist nicht wirklich gefährlich, aber Mut ist trotzdem erforderlich. Wenn du die Probe erfolgreich absolvierst, erwartet dich am Schluss eine Belohnung. Du brauchst dich für diese Mutprobe auch nicht stylisch anzuziehen. Es würde reichen, wenn du einen einfachen Trainingsanzug hättest. Vermutlich hast du in deinen gewiss umfangreichen Beständen keinen einfachen Trainingsanzug. Darum leihe ich dir einen. Seine vorherrschende Farbe ist Magenta. Die Hose hat an der Naht zwei senkrechte weiße Streifen. Bei der Jacke zieht sich je ein breiter Streifen von den Schultern zum Bund. Vermutlich ist der Trainingsanzug eine billige ostasiatische Nachahmung eines teuren Pitbullsmokings. Leider ist der Anzug ziemlich schmutzig und riecht ein wenig. Die Mutprobe besteht nicht allein darin, diese Teile anzuziehen, das wirklich Schwierige kommt noch. Falls du also noch nachträglich aus der Mutprobe aussteigen willst, …
Entschuldige, wenn ich das sage: Du siehst unmöglich aus. Hab auch Verständnis, dass ich einige Schritte zurücktrete. Das ist eine völlig natürliche Reaktion. Man hat Angst, sich an dir zu beschmutzen und fürchtet Ansteckung. Würdest du jetzt bitte diesen Raum verlassen und auf die Straße gehen? Ich begleite dich in gebührendem Abstand. Und nimm die Alditüte mit! Ja, im Stadtzentrum bist du ziemlich allein in dieser Aufmachung. Durch die hübschen Straßen der Altstadt bummeln die gut situierten Hedonisten, Einheimische wie Touristen, die Unterhaltung suchen und Genüsse. Du gehörst nicht dazu und verdirbst den Leuten durch dein Auftreten die Laune. Sie halten heimlich Abstand von dir, und die meisten sehen dich gar nicht an. Wer noch elender ist als du, hockt in Eingängen oder kniet auf dem Bürgersteig mit hochgerecktem Plastikbecher. Das gibt dir ein wenig Stolz, denn du bist anders als sie, du wartest nicht auf milde Gaben, du arbeitest, wenn auch zu einem Hungerlohn. Schau, der Mülleimer am Laternenpfahl. Schieb mal den Arm durch die schmale Öffnung und taste nach Flaschen. Ach, komm, hab dich nicht so, du kannst ein bisschen Dreck vertragen. Es ist alles eine Frage der Gewöhnung.
Da ist nichts, keine Flasche? Hast du auch wirklich in alle Ecken gefühlt? Es reicht nicht, nur mal die Hand einzutauchen, du musst mit dem ganzen Arm hinein. Wenn du gründlich arbeitest, kannst du heute Abend mit der vollen Tüte zum Kiosk gehen und dein Tagessalär abholen. Kipp aber vorher die sauren Reste aus den Bierflaschen, denn die Händler mögen nicht, wenn ihnen der schimmlige Schleim auf die gewischten Fliesen tropft. Vielleicht findest du sogar ein paar Petflaschen, die sind weniger eklig, leichter und bringen mehr. Ja, gäbe es nur Petflaschen, wäre dein Leben ganz hübsch. Findest du nicht?
Gut, dann kommt jetzt die richtige Belohnung für die bestandene Mutprobe. Du brauchst an menschliches Elend keinen Gedanken mehr zu verschwenden. Der Dreck bleibt zwar, ist eigentlich noch weitaus ekliger als kotige Mülleimer, doch er ist plötzlich unsichtbar, denn du rutschst über Los ans andere Ende der Leiter: Für eine Weile bist du Finanzmanager bei einer amerikanischen Investmentbank, hast ein wunderbares Haus, – man könnte es eine Villa nennen. Zu dir gehört eine wohlgesittete Familie, du bist angesehenes Mitglied in diversen teuren Clubs, Â… um es kurz zu machen: Du hast nahezu den Himmel auf Erden und freust dich deines Lebens. Es gibt allerdings ein kleines Problem in deinem gut dotierten Job. Du weißt seit einigen Monaten, dass deiner Bank die Insolvenz bevorsteht. Denn du und deine smarten Kollegen, ihr habt mit faulen Krediten gezockt. Über Jahre habt ihr Hypothekenschulden gekauft, von Menschen, die nicht viel mehr hatten als ein Flaschensammler, habt deren Schulden gebündelt, hübsch verpackt und weiterverkauft. Am Handel mit Nichts ließ sich viel Geld verdienen, und eure Erfolgsprämien waren astronomisch. Jetzt ist das anrüchige Geschäft leider aufgeflogen, und weltweit krachen die Banken ein, die sich daran beteiligt haben. Gestern traf es deine Bank. Du musst deine Sachen aus dem Büro holen. Doch wirklich, es ist nicht weiter schlimm für dich.
Im Privathafen deines Segelclubs schaukelt deine stattliche Yacht. Sie liegt in der Reihe mit den vielen anderen Yachten der Mitglieder deiner Diebeszunft. Die beiden Kinder aus erster Ehe sind aufgehoben im Schweizer Elite-Internat „Auf dem Rosenberg“. 70.000 Euro Schulgeld zahlst du aus der Portokasse. Also wirst du das tun, wovon du schon lange träumst, einige Monate in der Weltgeschichte umhersegeln und dich sehen lassen, wo die Reichen der Welt sich gerne aufhalten. Wenn du genug vom Müßiggang hast, wirst du dich wieder dem Markt anbieten, und du kannst sicher sein, dass bald darauf ein Headhunter anruft. Einen kreativen Kopf wie dich kann die asoziale Finanzwelt immer gut gebrauchen.
Ein prächtiges Leben wünscht
Trithemius“
(Quelle)
Es wäre zum totlachen, wenn es nicht so traurig wäre.
Und weil ich gerade mal gepflegt sowieso ganz mieser Laune bin, zitiere ich hier noch den Bruder von Walter Kempowski: „Am liebsten alles vollkotzen und in die Ecke scheißen….“ 😉
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traurig und zum schämen.
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*lach* Klingt drastisch, erscheint mir aber angemessen.
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Ein einzige Verhöhnung, was die da machen.
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*lach* Naja Robert K. war schon ne urige Type.
Aber manchmal ist das eben genau das, was man so braucht. Ich las mal über den Regisseur Scorsese oder war es Lynch? Einer von beiden, jedenfalls einer, der mal mit Ingrid Bergmanns Tochter zusammen war, der stand morgens auf und sagte: „FUCK FUCK FUCK!“ nur deswegen, weil es ihm dann besser ging.
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Waren sie ja beide. Aber Lynch ist unwahrscheinlich, oder? Obwohl, vielleicht, als er jung war. Wenn Du keinen Namen genannt hättest, hätte ich auf Tarantino getippt, allerdings hatte der mit der Rossellini nichts. Doch, kann ich mir gut vorstellen, daß so ein morgendlicher Fluch befreiend wirken kann, wie Atemübungen.
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Es war einer von beiden, definitiv. Ich hab das in ihrem Buch gelesen. Sie ist ziemlich erfrischend.
Mein Vater sagte immer „Scheißearschpiss“ wenn er sich befreien wollte. Auch sehr hilfreich.
Oder Helge Schneider: „Sausackpillemannarschloch!“
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Was mich zusätzlich an der ganzen Sache besonder aufregt, ist, dass wir gegeneinander ausgespielt haben. Laut irgendeiner Umfrage, ich glaube es war im Auftrag von Bild am Sonntag, sind über 50% der Deutschen gegen eine Erhöhung der Hartz 4 Sätze: Diejenigen, die gerade noch einigermaßen verdienen (unterer Rand der Mittelschicht) grenzen sich gegenüber der sogenannten Unterschicht ab, als ob das Problem zu hohe Hartz 4 – Sätze wären, und nicht zu niedrige Löhne. Wenn ein Bäckermeister (ich betone Meister) in einer brandenburgischen Großbäckerei mit 1450 € Brutto nach Hause geht, ist das nicht mehr nachzuvollziehen.
Ich finde, wir haben zur Zeit die schlimmsen sozialen Unruhestifter an der Macht, die das Land in den letzten 50 Jahren gesehen hat. Unverholen praktizierter Lobbyismus, es wird noch nicht einmal mehr versucht, irgendwas zu kaschieren, auf der einen Seite, und auf der anderen Seite der Umgang mit den sozial Schwachen, denen man auf gar keinen Fall auch nur irgendwas zuviel geben darf. Aber wir lassen uns halt alle verarschen…
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Jetzt habe ich mich beim Schreiben so aufgeregt, dass ich einige Rechtschreibfehler gemacht habe, ich bitte dies zu entschuldigen…
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Das sogenannte Lohnabstandsgebot, also daß jemand, der Arbeit hat, auf jeden Fall mehr Geld haben muß als jemand, der auf Unterstützung angewiesen ist, ist reinste Demagogie, denn wenn die Löhne im Schnitt immer mehr fallen, muß natürlich auch die Grenze der Sozialzuwendungen unten bleiben. „Wir verhöhnen alle kleinen Arbeiter und Angestellten, die im Schweiße ihres Angesichts ihr Leben ohne zusätzliche Hilfe bewältigen, wenn wir die Sozialleistungen auf deren Einkommensniveau erhöhen“, empört sich Frau von der Leyen. Ist das Dummheit oder blanker Zynismus?
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:)) Erinnert ein bißchen ans Tourette-Syndrom, oder?
Je stärker die kulturelle Tabuisierung, desto großer die Druckableitung.
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Ja, herrlich, natürlich nicht, traurig. Aber irgendwie auch wieder gut. Leute, die durch die Stadt laufen und „Saftsack“ rufen oder „Arschloch“.
Oder Helga Goetze, die an der Ecke stand und „fiiiicken“ rief. Alles mit Mission.
Mehr oder weniger.
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Schön für mich, diesen Text in deinem feinen Blog zu lesen, mit den passenden Fotos dazu. Der Anlass hingegen ist erbärmlich. Um es mit den Worten einer Freundin zu sagen: In die Richtung unserer Regierung möchte ich mich nicht mal übergeben. Eben hörte ich einen flämischen Politiker auf Studion Brüssel, einen Separatisten. Er offerierte den Flamen, dass man eine Gesellschaft anstrebe, die auch den bisherigen Verlierern mit „Wärme“ begegnet. Unabhängig davon, ob er das wirklich meinte, einen solchen Satz habe ich von dem neoliberalen Pack, das sich unsere Regierung schimpft, noch nicht gehört.
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Erbärmlich ist das richtige Wort. Und wenn dann noch so einer wie Ex-BDI-Präsident Rogowski von unberechtigten Transferleistungen und Schmarotzertum spricht und NICHT sich selbst oder seinesgleichen damit meint, kommt einem die Galle hoch.
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… und dann noch sich hinstellen, und es als gerecht verkaufen…
schon übel.
Klar, die Kassen sind leer… aber (ich weiß, ich bin naiv) einen Hauch von Gerechtigkeit würde ich mir schon wünschen.
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1,39 ist für Bildung veranschlagt. Mir ist nicht ganz klar, ob man davon nun die Bewerbungsunterlagen bezahlen muß, die man regelmäßig verschicken soll, oder ob das für 2x Blödzeitung im Monat ist.
Was mich neben der offensichtlichen Ungerechtigkeit besonders ärgert, ist die mehr oder weniger offen ausgesprochenen permanente Unterstellung, die Betroffenen wären arbeitsunwillig, faul, versoffen und würden den Tag angenehm mit Nichtstun und Fernsehen vertrödeln, quasi ein ganzjähriges Urlaubsleben leben, 6,7 Millionen Schmarotzer, die es sich auf Kosten der anderen gut gehen lassen.
Tatsächlich sind Hartz-IV-Bezieher weitgehend vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen, fühlen sich oft sinnlos und überflüssig, werden überproportional krank, sind stigmatisiert und gehören mit 40 schon zum alten Eisen.
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Da bin ich bei Dir. Pauschale Aburteilungen sind mir zuwider.
Sicherlich gibt es auch hier Menschen, die diesem Klischee wunderbar entsprechen, und das System ausnutzen und belasten…
die gibt es aber auf der „anderen Seite“ ebenfalls, wie man gerade wieder bei einer bestimmten (jetzt verstaatlichten) Bank erkennen kann.
Und machen wie uns nichts vor, man kann schneller zu den Hartz-IV-Bezieher gehören, als man glauben mag.
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