Spaziergänge (und Karneval) in Zeiten von Corona (15)

Jeck mit großem G? Gar kein Problem, sagt der Kölner Karnevalist, Gesoffen, Gekotzt, in Hauseingänge Gepißt und Gekackt haben wir schon immer. Was wollt ihr noch, Gröhlen und Greischen vielleicht? Machen wir!

Ihr erinnert Euch vielleicht, die Bilder vom Kölner Karnevalsauftakt im November gingen ja um die ganze Welt. Die Feierhotspots waren zwar abgesperrt und nur mit Kontrollen zu betreten, aber es reichte völlig aus, den Kontrolleuren irgendeinen QR-Code auf dem Smartphone zu zeigen, schon war man drin – eventuell mit der ganzen Virenlast in Nase und Rachen, von der man noch nicht einmal selbst gewußt hat.
Die ganze Welt schüttelte den Kopf über soviel Unvernunft. Tatsächlich stellte man zehn Tage später eine Erhöhung des Inzidenzwertes fest, allerdings war sie nicht höher als im Bundesdurchschnitt. Na siehste! – sagen die Einen, alles völlig ungefährlich, wir haben das im Griff. Glück gehabt, sage ich, das hätte auch anders ausgehen können, das war wieder mal ein Menschenversuch mit dummen Freiwilligen, und daß der gut ausging, hatte man nicht vorhersehen können.

In der Folge wurden alle Karnevalsveranstaltungen abgesagt: Kein Sitzungskarneval, keine Umzüge, kein Straßenkarneval. Prima, dachte man in der Düsseldorfer Staatskanzlei, wenn kein Karneval stattfindet, gibt es kein Brauchtum und also auch keinen Grund für Brauchtumsfeiertage. Im letzten Jahr war das noch anders, trotz Corona (für alle, die nicht aus NRW kommen: Der Öffentliche Dienst hat in der Regel Weiberfastnacht ab 11.11 Uhr und den gesamten Rosenmontag frei, um sich zu besaufen). Zu verantworten hat die Aufhebung ein Herr Wüst. Kennt ihr den? So heißt unser neuer Ministerpräsident, der den „Armen Armin“ abgelöst hat.

Herr Wüst ist das erste Mal 2010 aufgefallen, als er unter Ministerpräsident Rüttgers CDU-Generalsekretär war. Die NRW-CDU bot Gesprächstermine mit Herrn Rüttgers gegen Geld an, wer also über entsprechende finanzielle Mittel verfügte, konnte Lobby-Arbeit gleich direkt beim obersten Amtschef machen. Als diese skandalösen Machenschaften aufflogen, wer wurde dafür zur Verantwortung gezogen? Man sollte meinen, verantwortlich dafür war Herr Rüttgers selbst, zumindest politisch verantwortlich, aber der wies das weit von sich. Und natürlich schmeißt man nicht den eigenen Ministerpräsidenten aus seinem Amt, was, wenn das Schule macht, das sieht nicht gut aus für die Partei, also muß irgendein anderer dafür büßen, irgendjemand auf einem hohen Posten, der aber als Person so unbedeutend ist, daß man gut auf ihn verzichten kann. So kam man auf Herrn Wüst, der daraufhin seinen Hut (als Generalsekretär) nahm.

Ich könnte mir vorstellen, daß man ihm damals ein paar Versprechungen gemacht hat („Wenn Du die Schuld auf Dich nimmst, soll das später Dein Schaden nicht sein …“), denn nach sieben Jahren wurde er unter dem überraschenden und überraschten Sieger der Landtagswahlen Armin Laschet als Verkehrsminister vereidigt, zu dessen ersten Amtshandlungen die Streichung des Sozialtickets zählte. Was sollen Arbeitslose, Rentner und andere finanziell Schlechtgestellte mit Öffentlichen Verkehrsmitteln durch die Gegend gondeln, wenn sie genausogut zu Fuß gehen können, das ist gesund für Herz und Kreislauf, mag er gedacht haben – oder er hat überhaupt nicht gedacht. Technokraten entscheiden nach Effizienzkriterien, und wenn man vor der Wahl steht: Autobahnausbau oder irgendein sozialer Sumpf, dann entscheidet man sich für die Autobahn, gar keine Frage. Erst nach Protesten mußte er die Anweisung zurücknehmen.

Daß er nun, als Ministerpräsident, die freien Tage zur Pflege des Brauchtums streicht, zeigt entweder, daß er keine Ahnung hat von der rheinischen Seele, oder – was wahrscheinlicher ist für einen Technokraten – daß sie ihm egal ist. Natürlich feiert der Rheinländer Karneval, egal, unter welchen Umständen, und wenn er sich ganz allein, mit einem albernen Hütchen auf den Kopf, zu Hause vor den Fernseher setzt, um zum unvermeidlichen Karnevalsgeplärre des WDR-Programms zu „schunkele“. „Nää, wat is dat schöön …“. Herr Wüst muß sich in diesem Jahr einer Landtagswahl stellen – ich könnte mir vorstellen, daß er die entscheidenden Stimmen gerade verspielt hat.

Zurück zu Köln: Inzwischen hat die Omikron-Variante die Herrschaft übernommen, viel ansteckender, aber nicht mehr so tödlich wie die Delta-Variante, die zwar noch nicht weg ist, aber der Einfachheit halber spricht man nicht mehr von ihr. Überall wird der Ruf nach Lockerungen laut, könnte man da nicht vielleicht … hier bei uns … gedacht – getan! Vor ein paar Tagen erklärte die Stadtverwaltung das gesamte Stadtgebiet ab Donnerstag bis Karnevalsdienstag zu einer „Brauchtumszone“: Es darf überall gefeiert werden, aber nur unter hohen Auflagen: Man muß genesen oder geimpft sein und außerdem einen tagesaktuellen Schnelltest mit sich führen. An den sogenannten Hotspots, also in der Altstadt und im Studentenviertel, gibt es Kontrollen zu umzäunten Bereichen, in der übrigen Stadt werden Stichprobenkontrollen durchgeführt, sobald man sich verdächtig macht, zu den Feiernden zu gehören: Wer ohne Schnelltest mit einem Bier vor einer Kneipe steht, muß, wenn er erwischt wird, eine saftige Strafe bezahlen. Wer, wie ich vielleicht, nur einkaufen oder spazieren geht, sollte das zügig machen und unverkleidet aussehen – ich hoffe, es ist nicht zu kalt, sonst wird die rote Nase ein Problem.

Auch der eigentlich abgesagte Rosenmontagszug findet nun doch statt, aber nicht auf dem angestammten Zugweg kreuz und quer durch die Stadt, sondern – man lese und staune – durch das Stadion in Köln-Müngersdorf. Da sitzen und stehen dann also ein paar tausend Jecken auf den Rängen und schreien und singen und saufen und was man sonst noch macht zu so einem Anlaß, während unten ums Spielfeld die Karnevalswagen ihre Runden drehen. Ob auch Kamelle (Bonbons aus Industriezucker) ins Publikum geworfen werden, weiß ich nicht. Dieser Irrsinn hat aber auch eine gute Seite: Da meine Arbeitsstätte gleich neben dem Stadion liegt, wollen meine obersten Vorgesetzten vor Ort es nicht verantworten, daß wir Angestellten uns dem Massenauflauf aussetzen müssen, und schließen den Betrieb nun doch.

Tja, Herr Wüst, ein Satz mit x …

Meine Stimme kriegt er sowieso nicht.

Edit 24.02.: Der Rosenmontagszug durchs Stadion wurde wegen des Ukraine-Krieges abgesagt.

7 Gedanken zu “Spaziergänge (und Karneval) in Zeiten von Corona (15)

  1. Das ist doch ganz einfach: man nimmt irgendeinen Bereich mit viel Leerstand, z.b. eine olle Kaserne und schickt alle Funkemariesche und Berufskamellewerfer und überhaupt dat janze jecke Volk hinein in eine Dauerquarantäne. Da können sie sich alle maskenfrei besaufen und abbütze, bis der Sensenmann kommt.

    Klinge ich böse. JA! Ich habe schon immer lämende und enthemmte Menschen nicht leiden können.

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    1. „Bei der Planung wird darauf geachtet, dass die Sitzungswochen sich nicht mit gesetzlichen Feiertagen überschneiden. Auch Ferienzeiten wie Weihnachten und Ostern oder die regional bedeutsame fünfte Jahreszeit des Karnevals werden berücksichtigt“, heißt es auf der Homepage des Bundestages. Ich frage mich, ob das vielleicht eine Regelung ist, die noch aus der Bonner Republik stammt, wo man sich in der Bonner Wirklichkeit vermutlich nicht vorstellen konnte, daß irgendwo im Land kein Karneval gefeiert wird. Typischer Tunnelblick – soll ja bei Politikern hier und da auch in anderen Bereichen durchaus vorkommen.;-)

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  2. Aber irgendein blöder Umzug fand wohl doch statt, wie mir in der Tagesschau präsentiert wurde. Zwar ohne Wagen, aber dafür mit ukrainischen Flaggen…na ja, jetzt ist der Quatsch ja erstmal wieder vorbei bis 11.11. 🙄

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