Der „Natursteig Sieg“ ist ein Wanderpfad entlang der Sieg, ein Nebenfluß des Rheins südlich von Bonn, der in mehreren Etappen aufgegliedert ist: Anfang und Ende einer jeweiligen Etappe bilden Ortschaften mit S- und Regionalbahnanschlüssen. Der Pfad wurde jüngst um weitere Etappen erweitert, einen kleinen Wanderführer gibt es auch schon, also machen wir uns auf den Weg. Erstmal muß man mit der Regionalbahn eine Stunde lang nach Au fahren.
Der Bahnhof hier ist schon längst aufgegeben, Fahrkartenautomaten regeln das Geschäftliche. Da die Deutsche Bahn kein Lust, kein Geld und vor allem kein historisches Gewissen hat, sich um die Gebäude zu kümmern, verrammelt sie sie und überläßt sie einem langsamen Verfall – wie an hunderten Bahnhöfen in Deutschland auch. Eine Schande.
Aber – wie mich meine Begleiterin gelehrt hat, auch der Verfall hat seinen eigenen Reiz.
Gleich am Bahnhof beginnt der Wanderweg. Was uns wundert: Auf dem ersten Wegweiser steht 19,1 km nach Wissen, unserem Zielort. In dem kleinen Büchlein ist von 14 km die Rede … egal, frohgemut stapfen wir los, ein kleines Stück an der Sieg entlang, bald geht es in den Wald, den Fluß sollen wir erst in unserem Zielort wiedersehen.
Die Wege sind gut ausgebaut und begehbar, manchmal etwas matschig, die meisten werden alte Forstwege sein. Man streift Ränder von Siedlungen, wo Schilder stehen, die von längst vergangen Zeiten erzählen. Ob der Begriff „Aula“ bewußt gewählt wurde wegen der Nähe zur Ortschaft Au? Au und LA, die Metropole in Kalifornien – das heizt die Fantasien an. Damit sie nicht überschäumen: „Musik und Mores …“, Mores heißt ja „Sitte, Anstand“, das ’s‘ muß irgendwie verloren gegangen sein. Hier wurden die jungen Damen wahrscheinlich noch von den schneidigen Herren zum Tanze aufgefordert. Aber – vielleicht war auch alles ganz anders.
Viel los ist hier nicht – wir haben kaum einen Menschen gesehen. Wahrscheinlich sind alle in Köln, wo zu der Zeit ca. 1 Mio. Verrückte durch die Straßen hetzen und versuchen, nicht zusammenzubrechen, bevor sie die 42-km-Marke erreicht haben.
Oder sie verkriechen sich in ihren Häusern, die Dörfer, durch die wir kommen, wirken wie ausgestorben, postapokalyptische Szenen aus Filmen drängen sich uns auf. Merkwürdigerweise ist auf der Wanderkarte im Hintergrund kein Standort eingezeichnet, diese Karte kann nur lesen, wer sich hier auskennt, und dann braucht er sie eigentlich nicht mehr. Wird hier mit den Wanderern aus der Großstadt Schabernack getrieben?
Der wilde Müll wurde erkennungsdienstlich behandelt und „zur Anzeige gebracht“ – angeklagt und hoffentlich ordentlich bestraft: Herr Richter, ich fordere zwei Jahre Einzelhaft für die noch gebrauchsfähige Matratze und zwei Wochen Normalverzug für den organischen Müll, danach Sicherheitsverwahrung auf einer Mülldeponie!
Äh – ist das eine Grabskulptur (die Eisdecke auf dem Swimmingpool war noch zu dünn, als sie der Sohn des Hauses betrat) oder schwarzer Humor?
Ein und das selbe Schild von der einen Seite …
… und von der anderen. Je nachdem, von wo man kommt, also ein Unterschied von 7,5 km – das läßt nichts Gutes ahnen.
In Dünebusch, einem Ortsteil von Bitzen, schicken uns die Wanderzeichen im Zickzack über (gefühlt) jede Streuobstwiese und entlang eines jeden Gartens, man hat das Gefühl, man kommt keinen Meter voran, man landet immer wieder an der kleinen Hauptstraße des Dorfes.
Schließlich geht es doch weiter. In unserem Wanderführer steht, nach der Überquerung einer kleinen Brücke gehe es nochmal 900 Meter hoch, dann stehe man an der Abzweigung nach Wissen. Die Wanderwegzeichen am Wegesrand führen uns stattdessen in einen anderen Ortsteil von Bitzen, von dem in dem Büchlein nicht die Rede ist. Die Wanderwegzeichen werden immer kleiner, sodaß wir prompt eins übrsehen. Nach zwei Kilometern ohne Zeichen fragen wir Spaziergänger, ein junges Paar, nach dem Natursteig. Sie haben keine Ahnung, zeigen aber in die entgegengesetzte Richtung, als wir nach Wissen fragen und machen entsetzte Gesichter, als wir erzählen, daß das unser Wanderziel sei. „Sollen wir Sie hinfahren?“ Wirklich sehr freundlich.
Später denken wir: Hätten wir das doch nur angenommen! Wir gehen zurück und finden das verpaßte Zeichen, aber an der nächsten Kreuzung das selbe Spiel, wieder kein Hinweis. Ich bin inzwischen so geladen, daß ich das Schild als persönliche Beleidigung empfinde. Nachdem eine Passantin uns erneut erzählt, Wissen liege in der entgegengesetzten Richtung als die, in der wir gehen …
… geben wir auf und beschließen, auf der Straße weiter zu laufen.
Immerhin – eine herrliche Abendstimmung, durch die wir wandern, wer weiß, ob wir das im Wald so erlebt hätten.
Außerdem: Wer mehr von seinem Leben haben will als zwei Garagen, einer Mülltonne und einem TV-Gerät in der guten Stube, muß auch mal was wagen … gut, das Wagnis mit gut ausgeschilderten Straßen war jetzt nicht soo groß, aber immerhin …
Endlich angekommen: Wissen an der Sieg. Unser Wanderführer führt uns noch ein bißchen in die Irre …
… aber eine Viertelstunde vor Abfahrt des nächsten Zuges erreichen wir glücklich – zwei Stunden später als ursprünglich geplant – den häßlichen Bahnof der Stadt.
Gerade habe ich im Freundeskreis erzählt, wie erfolgreich du „Wanderrouten“ findest und abarbeitest, aber, naja, es muss auch mal ein Missgriff dazwischen sein, sonst glauben andere Wanderer, die nicht so zielstrebig den Weg finden, sie wären nur einfach zu blöd, … aber so. 🙂
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Genau! Hauptsache, man hat selbst keine Schuld!;-)
Wenn die Wanderwegführung über die Zeichen am Wegesrand und der Wanderführer nicht übereinstimmen, wird es vertrackt: Man steht zwischen hüh und hott und weiß nicht, wem man nun folgen soll. Und wenn dann noch die Wanderwegzeichen fahrlässig angebracht sind, ist man ganz verloren. Kaum auszudenken, wenn einem sowas mitten im Wald passiert, da sollte es nicht allzu spät sein, denn bei Dunkelheit ist das bestimmt kein Vergnügen.
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das wandern ist des videbitis lust… *sing* 🙂
der sinnspruch über den beiden garagen hat etwas wahres. aber man muß schon ab und an raus in die welt gehen sonst wird man weltfremd, nicht wahr?
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Where ever I lay my hat, I’m at home – trifft auf mich auch nicht zu. Allerdings in einem dieser Dörfer in einem Einfamilienhaus zu wohnen, stelle ich mir als kleine Vorhölle vor.;-)
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Nachher ist man immer schlauer… 😉
Vergessen werdet ihr das nicht…
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Genau, währenddessen ist man am Fluchen, aber schon einen Tag später denkt man: Uff, das haben wir doch ganz gut hingekriegt.:-)
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Und das ist doch die Hauptsache… 🙂
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Das „Machwerk“ vom Kind kopfüber im Klo finde ich so abscheulich, daß mir echt nix mehr einfällt. So einen Humor teile ich nicht. Was mögen da für Menschen wohnen?
Wissen an der Sieg, dazu fällt mir die Kalkofe-Folge ein, wo Sarah Kuttner sich verrennt mit „Wissen ist Macht“ und irgendwann bei Hitler landet. Leider gibt es das Video nicht mehr, aber den Text noch: http://www.granatenmaessigrecherchiert.de/mattscheiben,clipid,1109.html
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Solche, mit denen man nichts zu tun haben möchte. Wer weiß, wie es im Haus aussieht – in den Ecken stehen Särge, und an den Türzargen hängen lebensgroße Puppen mit Hanfseilen um den Hals. Zum Totlachen.
Lustig! Lebensberatung pur, fragen Sie Frau Kuttner.
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Genau, wer weiß, was innen alles lauert, da wo die Öffentlichkeit nicht mehr hinguckt. (Aus dem Grunde bin ich auch nicht sicher, ob die den Film „Im Keller“ jemals sehen möchte.)
Jedenfalls scheint die Gegend um Wissen recht merkwürdig zu sein, Schilder falsch ausschreiben ist sicher nur die Spitze des Eisbergs.
Und schön, daß du immer wieder Orte zeigst, die man sich ersparen kann. So kann der Leser ganz neidlos vom Sessel aus mitreisen und sich denken: hab ich’s gut!
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Ein bißchen Abenteuerlust ist natürlich immer dabei, wenn wir uns auf bisher unbekanntes Terrain wagen – solange ich keine Waffe mit mir führen muß und wir mit der Regionalbahn gemütlich hin und her kommen, ist alles im grünen Bereich.;-) Von Wissen habe ich außer den häßlichen Bahnhof gar nichts gesehen – eine Stadt, die eine eigene Brauerei hat, kann nicht ganz schlecht sein. Vielleicht fahren wir nochmal hin, wenn ein anständiger Wanderführer veröffentlicht wird.
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Oha, wat’n Männersatz „eine Stadt, die eine eigene Brauerei hat, kann nicht ganz schlecht sein“- ganz untypisch für dich- *lach*
Gehen euch eigentlich bald die Ziele aus? Und gibt es auch Orte bei denen entweder du oder deine Freundin nein sagen, obwohl der andere da gerne hinmöchte? Und wäre der Jakobsweg was für euch? (Nicht unbedingt aus religiösen Gründen, mehr so als Herausforderung?)
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War auch mit Augenzwinkern geschrieben.
Nein, die Ziele gehen uns nie aus. Manchmal gehen wir auch dahin, wo wir schonmal waren, meistens gibt es immer irgendwas Neues – und wenn es nur eine andere Jahreszeit ist.
Ich würde ja gern mal wieder nach Paris fahren, oder in die Bretagne, aber meine Begleiterin hat es nicht so mit Frankreich, „da muß man ja Französisch reden“. Aber sonst … gut, der Jakobsweg reizt uns beide nicht, wir haben beide keine Lust auf die Wanderherbergen, und daß da noch so viele religiös motivierte Wanderer unterwegs sind, schreckt mich außerdem ab. Und wenn wir in Deutschland alle interessanten Wanderwege abgelaufen sind, haben wir wahrscheinlich ein Alter erreicht, in dem wir nicht mehr wandern wollen. Der Coast Path in Cornwall würde mich noch reizen, aber ich glaube, da gibt es sowas nicht, daß das Gepäck für einen von Station zu Station transportiert wird.
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Stimmt, es ist ja wirklich immer wieder neu. Und es macht auch Spaß zu altvertrauten Wegen zurück zu kehren.
Paris ist bei mir auch auf der „To visit“ list, aber natürlich nicht zum Wandern. Und alleine etwas trostlos, hab ich so das Gefühl. Andererseits, ich brauche ja diese Freiheit des Alleinreisens.
Jakobsweg kann man doch auch mit Hotels machen, man braucht ja wirklich nicht die Wanderherbergen nehmen.
Oh ja, das schöne Cornwall. Aber auch das könnte man doch so organisieren mit kleinen Tageswanderungen mit leichtem Gepäck und einem festen Punkt. Ich sage nur airbnb.
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