Christopher Street Day

Der Christopher Street Day (CSD) vor einer Woche war eine ziemlich nasse Angelegenheit. Das schien den Teilnehmenden aber nicht viel ausgemacht zu haben: Am Umzug (90 Festwagen und 200 Fußgruppen) waren 60.000 Menschen beteiligt, und am Weg standen ungefähr eine Million Besucher, habe ich gelesen. Der CSD in Köln ist europaweit eine der größten Veranstaltungen dieser Art. Für mich ist das ja nichts, er erinnert doch sehr an Karneval im Sommer, allerdings ohne Kamelle und Karnevalsmusik. Die Musik, die lautstark gespielt wird, ist allerdings nicht viel besser, viel Techno-Musik und irgendwelche blöden Hits – „Geh ins Gymmie, werde skinny, mach daraus eine Show / Wir sind pretty im Bikini, das ist Bauch, Beine, Po“ und so weiter.

Aber wir haben das beim Spazierengehen nur am Rande wahrgenommen, man kann dem gut aus dem Weg gehen, und wenn die Beteiligten feiern wollen und Spaß daran haben – warum nicht. Die Schützenfeste haben ihre Umzüge, an Fronleichnam tragen katholische Christen auf Prozessionen Leichenteile durch die Straßen, Karneval belästigt die Einwohner über Monate, da ist es doch in Ordnung, wenn die LGBTQ-Gemeinde an einem Tag im Jahr mit Freude und Spaß für ihre Rechte demonstriert. Denn das ist dieser Umzug auch: Eine Demonstration, offensichtlich eine mit wachsender Notwendigkeit. Im Vergleich zum Vorjahr haben die Übergriffe auf queere Menschen 2024 deutschlandweit ungefähr um 50 Prozent zugenommen. Die Stimmung gegen Diversität hat weltweit zugenommen, nicht nur in autokratischen Staaten wie Rußland oder Ungarn. In den USA werden Gelder zur Diversitätsforschung unterschiedslos gestrichen und bestimmte Wörter im öffentlichen Bereich geächtet. Firmen, Behörden und Hochschulen, die sich diesem Diktum nicht beugen, müssen mit Nachteilen rechnen. Kölns größter Arbeitgeber, die Autofirma Ford, hat zum ersten Mal seit Jahren auf Geheiß der Mutterfirma in den USA seine Unterstützung des CSD gestrichen, und das ist kein Einzelfall, auch andere Firmen in Deutschland, die bisher CSD-Paraden unterstützten, wollen plötzlich nichts mehr damit zu haben.

Ein Tag nach dem CSD wurde in Köln-Kalk eine neue Gesamtschule unter katholischer Trägerschaft für 1.000 Schülerinnen und Schüler von Erzbischof Kardinal Woelki eröffnet. Im Vorfeld forderte die Schulleitung alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen auf, zu dieser Feierlichkeit auf „provokative Kleidung“ zu verzichten – als Beispiel wurde eine Krawatte in Regenbogen-Farben genannt (der Regenbogen ist ein Symbol für Freiheit, Diversität und Toleranz). Als sich das herumsprach, schmuggelten erzürnte Eltern Regenbogensymbole in die Schule, auf Ansteckern, Taschen und Fähnchen. Schülerinnen, die von Lehrern damit erwischt wurden, wurden aufgefordert, das unverzüglich zu entfernen, eine Regenbogenfahne, die aus einem Fenster hing, wurde nach einer Stunde entfernt, und eine Seelsorgerin, die Sticker mit dem Regenbogensymbol verteilte, wurde der Schule verwiesen. „Das Erzbistum Köln rühmt sich eines <<innovativen, ganzheitlichen Bildungsverständnisses – offen für Kinder aller sozialen und religiösen Hintergründe>>“, zitiert der Stadtanzeiger. Und Erzbischof Kardinal Woelki wünscht sich, „grade jenen Kindern Perspektiven zu eröffnen, die in unserer Gesellschaft oft übersehen werden. “ Und so gibt das Erzbistum allen Kindern, die im nächsten Schuljahr an der neuen Schule anfangen, eine Lehrstunde mit auf den Weg, wofür die Katholische Kirche schon immer stand: Eine Einführung in Heuchelei, Doppelmoral, Intoleranz und Kadavergehorsam.

Der CSD ist das natürlich auch: Ein gutes Geschäft. Wer noch ein schönes Souvenir braucht als Erinnerung, dem gefällt vielleicht eine dieser Figuren fürs Badezimmer.

7 Gedanken zu “Christopher Street Day

  1. Wir können gar nicht genug Rainbows haben. Noch besser wäre eine Gesellschaft, die das nicht braucht, die fragt: Ist was besonderes an queerer Liebe? An Kindern, die zwei Väter oder zwei Mütter haben? und dann auch gleich noch bitte: an Neurodiversität und Leute mit Behinderungen? usw.. Das schöne alte Kölsche Motto „Jeden Jeck is anners“ muß wieder blühen.

    Und für die Woelkis dieser Welt fällt mir neben „Und unter den Talaren der Muff von 1000 Jahren“ noch das schöne alte: „Schnipp-Schnapp Schw*nz ab“ ein.

    Ich für meinen Teil schmuggle immer wieder rainbows and ähnliches nach Belarus. Und wie stolz können wir doch auf Ungarn sein! In diesem Sinne, volle Farbkraft voraus.

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    1. Ja, nicht wahr, es ist erstaunlich, wie sehr gewisse rechte Kreise immer noch darauf aus sind, andere Leute auszugrenzen – als ob die irgendjemandem irgendwas wegnehmen würden. Aber es geht natürlich um Macht und die Deutungshoheit, wie eine Gesellschaft auszusehen hat. Und es geht natürlich um die Bekämpfung der Angst vor den eigenen homoerotischen Neigungen. Sehr abstoßend, das alles.

      Wie machst Du das mit Belarus, schickst Du die per Post dahin?

      Ja, Ungarn, das war großartig, wie viel Mut die Leute da haben. Ich habe gehört, die Leute haben allgemein die Schnauze voll von Orban. Man kann ihnen nur wünschen, daß sie irgendwann die Chance haben, ihn abzuwählen.

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      1. Genau, das sogenannte Zölibat und was es so alles freisetzt. Jahrhunderte der Unterdrückung der Lust und all der Perversionen, die das nach sich zieht und dann natürlich sich aufregen über andersleuts freigelebte Lust.

        In Belarus lebt mein liebster Brieffreund, er ist trans und ich wünschte, er könnte das frei ausleben. Und dennoch, so absurd es sich anhört, in Belarus kann man zur Zeite offener queer sein als in Amiland. Das sollte einem wirklich zu denken geben. Wenn es nicht so traurig wäre, es wäre zum dotlachen.

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  2. Ich ertappte mich beim Münchner CSD dabei, dass ich vor lauter Musik, bunt und Partystimmung (wir hatten sehr warmes und sonniges Wetter) kurz gar nicht daran dachte, dass es eine Demonstration ist. Aber auch wenn diese oft wie eine einzige Party wirkt, ist sie besonders wichtig. Dein Text zeigt die vielen Stellen auf, an denen es noch happert und in letzter Zeit wieder zu hapern beginnt. Traurig. Und besonders traurig, wenn ein Zeichen wie der Regenbogen als Provokation aufgefasst wird.

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    1. Gut so, wenn Du da mitfeiern kannst, ich wünschte, es würde mir auch so gehen. Vermutlich bin ich einfach nur zu alt dafür. 🙂
      Ja, unfaßbar, wie rückschrittlich die Katholische Kirche hier in der Stadt ist. Aber was mich ganz froh stimmt, daß sie kräftig Gegenwind kriegt aus der Bürgerschaft, und auch der Kölner Stadtanzeiger macht über die Vorkommnisse eine sehr gute Berichterstattung und verhehlt auf der Kommentarseite nicht, was er davon hält. Das Erzbistum und auch Woelki selbst scheinen unbelehrbar zu sein und lassen kein Fettnäpfchen aus. Da wird wirklich Religion gegen die Bevölkerung betrieben. Und dann wundern sie sich, daß die Austrittswellen ungeahnte Höhen erreichen.

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      1. Ich hab auch nicht mehr mit gefeiert. Ich hab die ganzen Leute nur gesehen, als ich aus dem Freibad nach Hause gegangen bin. Vor einigen Jahren hab ich mich da gerne noch mit rein gestürzt, aber jetzt überlasse ich das Feld gerne den anderen und freue mich mit etwas Abstand über die vielen Regenbogenfahnen.

        Ja, die katholische Kirche scheint wirklich unbelehrbar zu sein. Es gibt einzelne Ausnahmen beim Bodenpersonal, aber insgesamt wundert mich die ganzen Austritte auch nicht. Liebe Grüße

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        1. Gut daß Du es sagst, es gibt auch andere. Pfarrer, denen es völlig absurd erscheint, daß sie ein Motorrad segnen dürfen, aber kein schwules Paar. Oder die Frauen von Maria 2.0, großartig, was die fordern. Kirche als Versammlungsangebot auf der ideellen Basis der Nächstenliebe ist doch eigentlich eine gute Idee, nichts könnten wir besser brauchen zur Zeit.

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