Tina-Turner-Str.

Wenn es darum geht, Straßen umzubenennen, sind die Meinungen geteilt: Die Einen sind der Ansicht, wenn man eine Straße oder einen Platz nach einer Person benennt, ist das eine Ehrung. Wenn sich dann herausstellt, daß diese Person ein Lump war, muß der Straßenname selbstverständlich wieder geändert werden. In ganz Deutschland findet man beispielsweise keine Adolf-Hitler-Str. mehr. Die Anderen geben zu bedenken, daß ein Straßenname ein historisches Dokument ist und es quasi einer Geschichtsklitterung gleichkommt, alle naselang die Straßen einer Stadt nach Gusto umzubenennen und so zu tun, als sei schon immer alles in Ordnung gewesen. Einige sprechen in diesem Zusammenhang auch von einer Form von „cancel culture“. Stattdessen solle man strittige Namen kontextualisieren, das heißt, mit kleinen Zusatzschildern den Zusammenhang erklären, also um wen es sich handelt und weshalb man damals eine Straße nach der Person benannte.

In Köln gibt es inzwischen eine Fall-zu-Fall-Entscheidung: Ist ein Straßenname strittig, wird der Fall geprüft und eine Empfehlung ausgesprochen. So werden demnächst die Wißmanstr. und die Gravenreuthstr. umbenannt: Hermann von Wißmann und Karl von Gravenreuth waren Ende des 20. Jahrhunderts in Deutsch-Ostafrika während der kolonialen Eroberungszüge Deutschlands für zigtausende Morde an afrikanischen Einheimischen verantwortlich.

Daß die Richard-Wagner-Str. umbenannt wird, ist allerdings noch nicht amtlich, und es würde mich wundern, wenn es dazu käme. Der in Köln wohnende kanadische Musiker Chilly Gonzales hat den Anstoß dazu gegeben, eine von ihm gestartete Petition bekam über 15.000 Unterschriften. Es ist nicht die Musik Wagners, die Gonzales stört, sondern sein Antisemitismus. Wagner hat, noch relativ unbekannt, 1850 einen Aufsatz veröffentlicht: „Das Judenthum in der Musik“, in der er Juden grundsätzlich jede künstlerische Fähigkeit absprach. 19 Jahre später veröffentlichte er eine erweiterte Neuausgabe des Aufsatzes unter eigenem Namen. Ein Lump, gar keine Frage.

Und warum ausgerechnet Tina Turner? Die Sängerin hat neun Jahre in Köln gewohnt. Wagner hat zu Köln überhaupt gar keinen Bezug.

Chilly Gonzales ist hauptsächlich Pianist, versucht sich aber auch in anderen Genres, beispielsweise dem Rapgesang – nicht, weil er es gut kann, sondern weil er Lust dazu hat. So gibt es auch zu diesem Thema einen Song „F*ck Wagner“, den er mit dem Böhmermann-Orchester eingespielt hat und den man sich auf Youtube anhören kann. Mir geht er auf die Nerven, deswegen hier ein anderes Stück von einer seiner Soloplatten:

18 Gedanken zu “Tina-Turner-Str.

    1. Da bin ich ganz bei Dir. Allerdings wäre ich hier gegen eine Umbennung – ganz in der Nähe gibt es noch eine Mozartstr., Beethovenstr. und eine Händelstr., deren Eigenschaft als Komponist geehrt wird. Sollte man jetzt wirklich bei jedem einzelnen eine Gesinnungsprüfung machen, um die Straßen dann eventuell umzubenennen? Skandalös ist hier allerdings, weshalb es eigentlich keine Bachstr. gibt. 😉
      Nein, im Ernst, bei den beiden Schlächtern aus Deutsch-Ostafrika halte ich die Umbenennung für gerechtfertigt, bei Richard Wagner, so unsympathisch er mir auch ist, finde ich sie übertrieben.

      Like

  1. Alte rechte Säcke gegen interessante Frauengestalten austauschen, meinerwegen geht das klar. Allerdings verstehe ich auch, daß Menschen Verlustgefühle haben, wenn Straßen durch Umbenennung gefühlt verschwinden.

    Mir gefallen immer „Naturnamen“ am besten: Pappelallee, Rotkehlchenweg, Blumenstraße brauchen nie umbenannt zu werden.

    Like

    1. So eine Straßenumbenennung ist immer ein Riesenaufriß – alle Anwohner haben eine Menge Papierkram, als seien sie umgezogen, und ansässige Firmen haben einen hohen Kostenaufwand. Dazu kommt: Wenn das Schule macht, also ideologische Gründe für eine Namensänderung ausreichen, dann ist es nur eine Frage der Zeit, wann die Rudi-Dutschke-Str. in Berlin umbenannt wird.

      Parkstr. und Schloßallee finde ich auch gut … ich weiß gar nicht, wie ich jetzt darauf komme.

      Like

      1. Rücke vor bis zur Tina-Turner-Straße, wenn du über LOS kommst, gibt es leider nix. Nich ma ne Tüte Fritten oder ne läckere Flönz.

        (Apropos Bläck-Föss-Str. wäre auch umstritten)

        Like

        1. Eine Flönzstr. würde ich im weiten Bogen umfahren, da wäre ich auf jeden Fall für eine Umbenennung. Aber was ist gegen Bläck Fööss zu sagen? Gut, sie haben mal im örtlichen Bordell ein Konzert gegeben, das war aber eher ein Ausrutscher. Oder meinst Du wegen der Musik? Ich tippe mal, 80 Prozent der Stadtbevölkerung wären sogar für eine Umbenennung der ganzen Stadt in Bläck-Fööss-Town. Man schunkelt hier einfach zu gern.

          Like

          1. Gab es bei denen nicht irgendeinen Skandal, irgendwas leicht fremdenfeindliches, woraufhin sie in der Popularität stark absackten? Oder verwechsel ich da was? (Man verliert so leicht den Überblick)

            Die Musik. Nun ja. Dat is eben dat Rheinland. Muß man mögen. Is wie Karneval.

            Like

  2. Avatar von Der wahre Lemming Der wahre Lemming

    Umbenennung von Straßen, die nach Massenmördern benannt sind – ok. Alles andere finde ich absoluten Quatsch. Dieses ganze vor allem linke Gesinnungs-Pille-Palle geht mir auf den Keks. Absolute Nebenschauplätze.

    Gefällt 1 Person

    1. Ja, und dann der Ton, in dem die Diskussion dann oft stattfindet: Da sind die Einen schnell rechtsradikale Nazis, die Anderen grünlinksversiffte Zecken. Als wenn man sonst keine Probleme hätte auf der Welt. Hallo? Das kann man auch ganz normal diskutieren. Es gibt viele Gründe, die Stadtverwaltung zu kritisieren. Hier hat sie mal was richtig gemacht.

      Like

  3. Ich bin ganz grundsätzlich dagegen, Straßen nach Menschen zu benennen. Der Heilige von heute ist zu oft der Schurke von morgen, während Rotkehlchen und Eichhörnchen kaum einer Neubewertung unterzogen werden dürften. Und wer sich gegen Umbenennungen sträubt, sollte bedenken, dass in vielen Fällen auch der aktuelle Name das Ergebnis einer Umbenennung ist.

    Like

    1. Ja, das stimmt, ich könnte auch darauf verzichten, vor allem, wenn Straßen und Plätze nach Lokalgrößen genannt werden, jüngst verstorbene Bürgermeister, die schon in 20 Jahren niemand mehr erinnert.
      Die Kölner Neustadt hatte Ende des 19. Jahrhunderts tatsächlich neue Straßennamen zu finden, denn da, wo die Straßen zwischen neu errichteten Häusern entstanden, war vorher das Schießfeld direkt an der Stadtmauer, die zu der Zeit geschleift wurde. Aber davon abgesehen hast Du natürlich recht.

      Gefällt 1 Person

  4. Es ist ein heikles Thema. Kein Mensch ist nur Licht – und keiner nur dunkel.
    In Frankreich ging es vor kurzem um Jean-Baptiste Colbert. Der hat nämlich maßgeblich den „Code noir“ beeinflusst, einen Erlass, der den Umgang mit Sklaven regelt.
    Das ist in Frankreichs Rechtsgeschichte der erste Text, der die Sklaverei ins Gesetz bringt. Insofern ist die Kritik berechtigt…
    Aber: Colbert hat die Sklaverei nicht erfunden. Die gab’s schon in der Antike. Der Code noir legiferiert über Dinge, die offensichtlich nicht selbstverständlich waren – zum Beispiel, dass Sklaven ohne Zweifel Menschen sind und nicht nur Material! (Und ich hänge schon wieder bei dem Begriff „human ressources“, den ich als „Menschenmaterial“ lese, weil man kein Personal will, das per definitionem Persönlichkeitsrechte hat…)
    Ist Colbert nun der böse Sklaventreiber oder der Retter der Rechtlosen? Weder noch. Das muss einfach differenzierter betrachtet werden, und auch unter der Sonne des 17. Jahrhunderts: wäre die Abschaffung der Sklaverei überhaupt denkbar gewesen, oder hat der Code noir das unter den gegebenen Umständen Mögliche herausgeholt?

    Richard Wagner hat im Grunde nur einen geistigen Mainstream seiner Zeit bedient. Seine Musik geht mir eher auf die Nerven, und die Ideen hinter seinen Werken liegen mir auch nicht – aber ein Vorreiter oder Vordenker des Antisemitismus war er m.M.n. nicht.

    Gefällt 1 Person

    1. Ja, sehr gut, Colbert ist ein gutes Beispiel dafür, daß man Personen in ihrer Zeit bewerten muß, und nicht nach heutigen Maßstäben. So gesehen war er ja sogar ein Vorreiter für die Abschaffung der Sklaverei, und vielleicht ein wichtiger.
      An Wagner stößt mir besonders auf, daß er nicht nur ein Antisemit war wie viele seiner Zeit (sogar Marx hat eine Abhandlung gegen das Judentum verfaßt), sondern daß er als noch erfolgloser Komponist versuchte, Stimmung zu machen gegen erfolgreiche Kollegen, mit musikalisch völlig unhaltbaren Behauptungen. Blanker Neid war vermutlich eins seiner Motive.
      Aber wie auch immer, eine Umbenennung der Straße rechtfertigt das nicht, meine ich. Die Straße heißt jetzt seit über 120 Jahren so, und an die Gründe sollte man ruhig immer mal wieder erinnern, das schult das Geschichtsbewußtsein mehr als eine einfache Umbenennung.

      Gefällt 1 Person

  5. Ja, sehr gut, Colbert ist ein gutes Beispiel dafür, daß man Personen in ihrer Zeit bewerten muß, und nicht nach heutigen Maßstäben. So gesehen war er ja sogar ein Vorreiter für die Abschaffung der Sklaverei, und vielleicht ein wichtiger.
    An Wagner stößt mir besonders auf, daß er nicht nur ein Antisemit war wie viele seiner Zeit (sogar Marx hat eine Abhandlung gegen das Judentum verfaßt), sondern daß er als noch erfolgloser Komponist versuchte, Stimmung zu machen gegen erfolgreiche Kollegen, mit musikalisch völlig unhaltbaren Behauptungen. Blanker Neid war vermutlich eins seiner Motive.
    Aber wie auch immer, eine Umbenennung der Straße rechtfertigt das nicht, meine ich. Die Straße heißt jetzt seit über 120 Jahren so, und an die Gründe sollte man ruhig immer mal wieder erinnern, das schult das Geschichtsbewußtsein mehr als eine einfache Umbenennung.

    Gefällt 1 Person

Hinterlasse einen Kommentar