Melaten

Was wünscht sich ein Fan eines Gelsenkirchener Fußballvereins für sein eigenes Begräbnis? Daß seine Kumpel an seinem Grab stehen und eine der Vereins-Hymnen singen: „Steh‘ auf, wenn Du ein Schalker bist …“.

Klingt wie ein Witz, aber ich weiß nicht genau, ob es auch so gemeint ist. Falls nicht: Man kann dabei nur verlieren. Die letzte Auferstehung soll – nach Hörensagen, der Fall ist umstritten – vor 2000 Jahren funktioniert haben, und wenn sie in diesem Fall (höchstwahrscheinlich auch) nicht klappt, nährt man den Verdacht, daß man gar kein richtiger Schalke-Anhänger war.

Zitiert wird der Satz in der Ausstellung „Abpfiff: Wenn der Fußball Trauer trägt“, die zum 60-jährigen Jubiläum der „Genossenschaft Kölner Friedhofsgärtner“ in der kleinen Kapelle „St. Maria Magdalena und Lazarus“ auf dem Melaten-Friedhof gezeigt wurde.

Ja, auch Fußballfans sterben irgendwann. Warum sollte man darüber nicht eine lustige Ausstellung machen.

Draußen gibt es ein paar Mustergräber: Die Ecke als Himmel. Warum nicht, aus der Ecke wurden schon so einige denkwürdige Tore geschossen, mit Hilfe eines zweiten, kopfballstarken Spielers – da fühlt man sich nicht so ganz allein … oder wie? Ich weiß auch nicht.

Die Ausstellung begreift sich als „interaktiv“: Hier kann der Besucher sich beteiligen …

… und hier auch. Ja, das macht Spaß. Oder auch nicht, man muß ja nicht.

Damit man mich nicht falsch versteht: Ich bin gegen jede falsche Pietät. Wie jemand seine Trauer über einen Verstorbenen verarbeitet, bleibt ihm oder ihr überlassen, da gibt es keine Regeln, ebensowenig, wie jemand sein eigenes Begräbnis wünscht. Diese Ausstellung alledings läßt mich ein wenig ratlos: Was, bitte, soll das?

Antwort gibt vielleicht diese Postkarte, die man mitnehmen darf: Auf der Rückseite steht: „Kein Job für jedermann. Wir suchen Azubis mit Feuer. Bist du ein Ruhebewahrer?“ Den Friedhofsgärtnern geht der Nachwuchs aus, wohl – wie man offenbar glaubt – weil er sich völlig falsche Vorstellungen macht: Der Arbeitsplatz Friedhof ist eine „feurige“ und oft auch lustige Angelegenheit, und in den Pausen darf gekickert werden.

Die kleine Kapelle (hier zwei Fotos von vor dem neuen Anstrich) stand lange Zeit leer. Bürgerschaftlichem Engagement ist es zu verdanken, daß sie nun wieder Gottesdiensten, Trauerfeiern und auch kultureller Nutzung zur Verfügung steht.

Sie ist im frühgotischen Stil erbaut und war schon 1245 fertiggestellt, drei Jahre vor der Grundsteinlegung des Doms. Tja – da heißt es in allen Fachbüchern, die Gotik in Deutschland habe mit dem Dom angefangen, und in Wirklichkeit …

Auf dem Areal – zu der Zeit weit außerhalb der Stadtmauern – befand sich ein Leprosenheim, worauf übrigens der Name der Kapelle und auch der des Friedhofs hinweisen: Melaten kommt von mal ladre, und das heißt: Krankheit des Lazarus, der vor seiner Wiederbelebung an Lepra gestorben war. Leprakranke, oder „Aussätzige“, wie man sie auch nannte, wurden wegen der Ansteckungsgefahr von der übrigen Bevölkerung separiert, allerdings oft an wichtigen bevölkerten Ausfallstraßen, um ihnen die einzige Tätigkeit zu ermöglichen, die man ihnen zugestand: Die Bettelei. Die Aachener Str. war die vielbenutzte Verbindung zwischen Köln und Aachen (westlich von Aachen, an der Straße nach Maastricht, gibt es noch ein Melatenhaus).

Lepra ist eine bakterielle Krankheit und könnte dank Antibiotika schon längst weltweit ausgerottet sein. Es ist ein Skandal, daß es in Brasilien, Indien und einigen afrikanischen Staaten immer noch zu Neuansteckungen kommt.

Das Leprosenheim wurde 1767 geschlossen. Als ca. 40 Jahre später die Franzosen das Rheinland besetzten, schafften sie Ordnung in Köln: Ein großer Friedhof außerhalb der Stadtmauern, dafür war das Areal gerade richtig, also rissen sie die Häuser ab, nur die kleine Kapelle und der Name blieben.

Das alles wollte ich gar nicht erzählen. Erzählen wollte ich eigentlich, daß es, wenn die Temperaturen über 30 Grad sind und man keine Lust mehr hat auf aufgeheitzte Straßen, überfüllte Parks oder backofenheiße Straßenbahnen, mit denen man an den Stadtrand ins Grüne fahren kann – also, daß es keinen besseren Ort gibt als diesen Friedhof. Er ist sehr schnell zu erreichen, wenn man wie ich in der Innenstadt wohnt, er ist weitläufig, schattig, die Luft ist gut, und vor allem: Man hat seine Ruhe! Daß der leichte Wind leise Musikfetzen eines Festivals herüberträgt, macht es einem erst richtig bewußt, wie fern man von allem ist. Herrlich!

Jüngst wurde von der Stadt eine Diskussion darüber angeregt, wie man Kölner Friedhöfe über ihre bisherige Funktion hinaus nutzen könne. So seien ja durchaus Flächen für Yoga- und Tai-Chi-Gruppen denkbar, oder Schachtische mit mehreren Bänken als Treffpunkt, und warum solle man die Anlagen nicht zum Hundeausführen nutzen können? Es gibt 55 städtische Friedhöfe, fast 500 Hektar – verschenkter Platz, so scheint man zu glauben, wenn da nur Leblose herumliegen. „Friedhof für alle!“, heißt die Devise. Was ist mit Joggen, Trimm-dich-Pfad, Grabsteinspringen? Lagefeuerplätzen für Jugendgruppen? E-Roller-Parcour zwischen den Gräbern? Imbißstände, Bierbuden, Kinderkarrussels, elektronisch verstärkte Musikdarbietungen? Das würde die Event-Ballung in der Innenstadt vielleicht etwas entzerren … Der Protest dagegen ist groß, die Verantwortlichen scheinen zurückzurudern. Ich hoffe, es bleibt dabei.

Ein Foto meiner Begleiterin. Wenn hier die Hunde frei laufen, ist es damit vorbei.

 

11 Gedanken zu “Melaten

  1. Der Melaten… Viele Erinnerungen, an meine Jugend. Das allerdings weniger der Ruhe wegen, eher spielen einige „lecker Mädsche“ eine wesentliche Rolle darin. 😉
    Und dann kommen auch wieder die schattigen Plätzchen ins Spiel… 🙄
    Hat eigentlich außer an Karussells schon mal jemand an eine Geisterbahn gedacht?

    Viele liebe Grüße,
    Werner 🙂

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    1. 🙂 Gute Vorschläge. Für „Coffin to go“ solltest Du schnell ein Patent anmelden, auch als atmungsaktive Variante. Und man könnte doch gut das jährliche „Gothic“-Festival gleich hier stattfinden lassen, da finden die reißenden Absatz.

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      1. Coffin to go ist wirklich gut, je länger man drüber nachdenkt- auch als Dönerverpackung denkbar, Eßpapier in Sargform, schwarz einfärben, Döner, Falafel, Pommes, alles geht und schon hat man einen prima Coffin to go.
        Dann noch schnell ne Kunststoffversion aus dem 3D-Drucker machen und wupp, fertig ist das Andenken.
        „Hab isch vom Penatenfriedhof aus Kölle“.
        Und den Kaffee dazu trinkt man natürlich schwarz aus der Urne.
        Mensch, Geschäftsidee, wir werden reich! ;))

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  2. haha, einen friedhof zur anderweitigen nutzung zu öffnen ist doch pietätlos in meinen augen. da bin ich ganz bei dir.

    leprakranke gibt es immer noch in der welt wie du richtig schreibst.
    leider ist medizinische versorgung in der welt nicht für jeden erreichbar oder bezahlbar.
    gesundheitsfürsorge sollte kostenlos für jeden menschen in der welt zur verfügung stehen, verdammt.
    diesen friedhof würde ich auch gern besuchen wäre ich in der nähe.
    der friedhof in meinem ort hat auch viele grüne flecken und ecken, die ich manchmal besuche.
    auch wegen eines lieben menschen der dort beerdigt wurde.

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    1. Danke!
      Hätte ich auch vermutet, ebenso wie alle, die ich in einer kleinen Umfrage befragt habe. Ich habe versucht, herauszufinden, ob vielleicht das französische Wort „maladie“ von „mal ladre“ kommt, das ja wohl auf lateinischen Wurzeln beruht, leider ohne Erfolg.

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  3. Es spricht nichts dagegen wenn zwei auf einen Friedhof ruhig eine Partie Schach spielen, bevor sie ihre Lieben dort besuchen. Einen solchen Ort der Ruhe und des Andenkens zum Sportplatz zu machen finde ich aber ziemlich doof.
    Gar nicht doof sondern interessant und schön zu lesen dein Beitrag. Danke und viele Grüße

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    1. Genau, sehe ich auch so. Und wer sich mal in Ruhe mit seinem Freund zu einem Schachspiel treffen, der bringt halt eins mit, das war bisher möglich und wird es auch immer bleiben, da braucht man keine Betontische mit großem Gerät zu installieren. Neulich sah ich eine kleine arabische Familie an einem Grab sitzen und picknicken: Sie saßen auf einer Decke, hatten Fressalien dabei und Spielsachen für ihre Kinder – und hatten vermutlich das Gefühl, die verstorbene Person würde noch mit am Tisch sitzen. Das war vollkommen in Ordnung, sogar anrührend, auch wenn dergleichen wahrscheinlich in der Friedhofsordnung nicht vorgesehen ist. Und wenn einem mal ein Jogger oder Fahrradfahrer begegnet, ist das auch kein Weltuntergang. Aber darum gleich den ganzen Friedhof zu einer Spielwiese zu machen – keine Ahnung, wie sie auf die abstruse Idee gekommen sind.

      Gern, freut mich!

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