Es ist noch nicht lange her, da sagte die relativ neue Oberbürgermeisterin Reker über die Stadtverwaltung: Es gebe Mitarbeiter, bei denen denke sie, „die kommen nur, um hier Schmerzensgeld zu bekommen“ – soll heißen: Die tun nichts, sind nur da, und das mit schmerzverzerrtem Gesicht, weil sie nicht zu Hause bleiben dürfen. Ich vermute, das ist gut angekommen bei den 17.000 Mitarbeitern der Verwaltung. Ganz besonders motivierend waren diese Worte offensichtlich für die Kollegen des Ordnungsamtes.
In einigen großen Städten gibt es zentrale Orte, wo sich immer viele Leute aufhalten, Einheimische und Touristen, die ihrerseits Kleinkünstler anlocken, die darauf hoffen, für ihre Darbietungen ein wenig Kleingeld zu bekommen: Jongleure und andere Artisten, Living Dolls, Pflastermaler, die mit Kreide 2×3-Meter große Gemälde aufs Pflaster malen, Musiker aller Art: Streichquartette, Flötisten, Gitarristen, gemischte Ensembles, sogar einen Flügel habe ich schon gesehen und gehört. All das macht die Plätze quirlig und lebendig (wobei man sich natürlich immer vor Taschendieben hüten sollte) und verschafft der ganzen Stadt ein gutes Image.
Auch Köln hat so einen Platz, oder besser, so eine Gegend: Es ist die Domumgebung, also die große Freitreppe, die zum Bahnhof führt, der Domvorplatz mit dem angrenzenden Walraffplatz, der Roncalliplatz im Süden und im Osten der Durchgang vorbei am Museum Ludwig hin zum Heinrich-Böll-Platz. Wenige Tage, nachdem das Ordnungsamt mit einem Auftrittsverbot der Seifenblasenkünstler auf sich aufmerksam gemacht hat, landen seine Mitarbeiter nun einen neuen Coup:

(Google Earth)
Auf genau diesen Plätzen, die ich aufgezählt habe (rot eingekreist), soll jegliche Aktivität von Künstlern ganzjährig und komplett verboten werden, damit Gottesdienste und Kirchenveranstaltungen nicht gestört werden. 10.000 Menschen besuchen täglich den Kölner Dom – gern gesehene Gäste, besonders wenn sie ein wenig Geld dalassen, für eine Kerze oder im Opferstock. Die sind natürlich alle immer mucksmäuschenstill, man könnte eine Stecknadel fallen hören – wenn da nicht die lauten Klickgeräusche der Touristenkameras wären, die auf dem Vorplatz ein Living Doll fotografieren, oder der Geiger, der auf dem Walraffplatz einen Walzer fidelt, und da die Kirchenwände aus Pappe sind … während des Gottesdienstes dröhnt die Orgel, oder alle singen lauthals, oder der Mann im Kleid vorn an der Kanzel schwingt Reden über die Lautsprecheranlage, so daß man ihn sogar hört, wenn man draußen steht, aber das soll natürlich nicht verboten werden.
Von dem Verbot auch ausgeschlossen sind selbstverständlich der Weihnachtsmarkt und andere kulturelle Großereignisse am Dom – solche Veranstaltungen spülen Millionen in die Stadtkasse.
Vielleicht, liebe Frau Oberbürgermeisterin, sollten wir wieder zurückkehren zu der jahrzehntelangen Übung, den Verwaltungsmitarbeitern ein Schmerzensgeld fürs bloße Dasein zu zahlen? Dann denken sie sich wenigsten nicht einen solchen Schwachsinn aus.
… auf dass mit der Tugendhaftigkeit auch die Freudlosigkeit einkehre im Lande. Amen.
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Du sagst es. Ora et labora, also beten und arbeiten soll der an sich sündige Mensch, Vergnügungen aller Art sind des Teufels. Aber es besteht noch Hoffnung: Die von Polizei und Ordnungsamt ausgearbeiteten Verbotsregelungen müssen noch vom Stadtrat abgenickt werden, und selbst in der CDU-Spitze gibt es leise Zweifel, ob das alles nicht ein wenig zu weit geht. Wahrscheinlich wartet man erstmal Volkes Stimmung ab – wenn zu viele Bürger auf den Gedanken kommen, daß die Stadt auch ihnen gehört, rudern die Politiker auch gern mal zurück.
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Servus!
Ordnung muss sein in der Bananenrepublik!
„Lebendiges soll dem Starren weichen,
die Sesselfurzer setzen Zeichen.“ (AWT 2o16..;-)
Anfang ’80 war ich im Sommer gern im Englischen Garten. (München)
Am Monopteros-Berg trafen sich die „Alternativen“, qualmten Joints
und machten Musik. Beliebt waren Bongos und Congas. (Ich hatte Bongos)
Man setzte sich einfach dazu und spielte. (Improvisierte Sessions)
Heute sind Trommelinstrumente untersagt, weil es die Spaziergänger
stören könnte. Tja… Damals war es mehr „Central Park“, heute ein
geordneter „Kleingarten“. (Die Erinnerung trügt hier nicht.)
Sex & Drugs & Rock’n’Roll!..;-)
P.S.
Ich wollte einen passenden Song präsentieren.
Leider ist Picosong aktuell down..;-/
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Edit:
Picosong ist wieder online.
… 🎶 http://tinyurl.com/jgsogwk 🎶 …
(Nachlieferung..;-)
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Gutes Zitat!;-)
In den 70ern war ich mal in Amsterdam im Park, man hätte fast den Eindruck haben können, da findet ein Musikfestival statt, aber es war ein ganz normaler Tag. Tja – die Spießbürger haben den längeren Atem.
Hört sich gut an! (unten)
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Also… wenn bald die Straßenmaler, Musikanten, Seifenblasenmacher etc. weg sind, ergibt das gleich ein anderes, ödes,fades,graues Strassenbild.
Ich mag all die Menschen die das machen und schaue gerne hin und zum
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Ein ödes, fades, graues Straßenbild für öde, fade, graue Menschen – so hätte man uns gern bei Ordnungsamt und Polizei, mit denen hat man am wenigsten Ärger. Außerdem verdient die Stadt nichts an den Umsonst-und-draußen-Aktivitäten, die Leute sollen shoppen gehen!
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Auf der Kölner Domplatte habe ich Living Dolls erstmals gesehen. Und bei dir endlich gelesen und gelernt, wie die heißen. Ich habe sie glaube ich mal in einem Text „Eckensteher“ genannt. Fällt das statuenhafte Herumstehen auch unter das Verbot?
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Ja, auch, jedenfalls, wenn Ordnungsamt und Polizei damit durchkommen. Der Stadtrat kann das im November noch verhindern, und es regen sich bereits erste Proteste, selbst der Domprobst (!) bittet um Mäßigung bei der Behandlung dieser Frage: „Aber meine Bitte ist: Lasst dem Dom die Kleinkunst, sie gehört zum kölschen Lebensgefühl.“
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jawoll, es soll alles verboten werden was spaß und freude verbreiten könnte.
konsum und shopping sind auch kultur, wenn auch mehr als zweifelhaft.
ach, sollen diese bürokraten an ihren verboten doch verrecken!
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Ja, schön blöd, man fragt sich, was das für Leute sind, die sich sowas ausdenken. Aber vielleicht kommt es ja doch nicht dazu, immer mehr Leute – auch welche mit Einfluß, also Geschäftsleute – äußern Kritik an dem rigiden Vorhaben. Klar haben sie Angst, daß Köln an Charme verlieren könnte, was dann auch Einfluß auf den Umsatz haben könnte. Eigentlich sollten sie die Künstler auf der Domplatte bezahlen dafür, daß sie der Stadt zu so einem guten Image verhelfen.
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…ich schlage vor, Lachen und Lächeln generell unter Strafe zu stellen, dann fallen alle solche Aktivitäten von allein fort und man braucht nicht immer wieder neue Verbote…
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Und dazu hat die Polizei die Erlaubnis, jeden anzuhalten und nach seinem Ziel zu fragen, und wenn einer kein ordentliches nennen kann, wird er sofort wegen Rumlungerei verhaftet.
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…genau, dann ist endlich Schluss mit all dem sinnlosem Tun!
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