Christmas Avenue

Eine erneute Berichterstattung über die vielen Weihnachtsmärkte in der Stadt wäre wahrscheinlich so ermüdend wie die Weihnachtsmärkte selbst, denn jedes Jahr sind es die gleichen Stände mit teurem Schund, fettigem Essen und zuckrigem Glühwein. Allerdings gibt es in diesem Jahr etwas neues, ein kleines Skandälchen:

Die Christmas-Avenue ist ein schwul-lesbischer Weihnachtsmarkt. Doch doch, ihr habt ganz richtig gelesen.

Die Buden sind mit farbig-glänzendem Material umwickelt, aus den Lautsprechern schallt zumeist Popmusik und es gibt eine kleine Bühne. Darüber hinaus ist der Markt nicht viel anders als andere: Reibekuchen, Bratwurst, Glühwein und ein paar Buden mit Sachen, die kein Mensch braucht. Kleine Unterschiede gibt es doch: Die Bratwurst ist vom Bio-Rind, der Glühwein kommt vom Winzer und ist nicht ganz so süß, dafür etwas teurer, alternativ dazu werden heiße Cocktails angeboten. Wer es mag …

Wenn man Pech hat, tritt gerade irgendjemand auf und singt. Wer gern in seinen Schwulen-Klischees verharren möchte, wird hier also gut bedient: Der Schwule an sich ist etwas eleganter als der Hetero-Mann, er hat mehr Geschmack in fast allen Dingen und auch mehr Geld, um sich all das leisten zu können. Und er hört gern die allerschrecklichste Schlagermusik, bevorzugt gesungen von gemütlich-dicken Transen.

In der hiesigen Tageszeitung beeilte sich ein Kommentator schon im Vorfeld zu schreiben, ein schwul-lesbischer Weihnachtsmarkt sei ja wohl schon längst fällig gewesen. In der ARD-Sendung „Hart aber fair“ dagegen regten sich CDU-ler über diese „Provokation“ auf: Weihnachten sei ein Familienfest, Sexualität das Mittel, um eben diese Familie zu (er)zeugen, wo also männlicher Samen auf eine weibliche Eizelle trifft und daraus neues Leben entspringt (ich hoffe, ich habe das so ungefähr richtig zusammengefaßt). Was, bitte, haben diese Perversen die Schwulen und Lesben also damit zu tun? Sie verhöhnen das heilige Fest, indem sie einen Adventskalender verkaufen, auf dem muskulöse halbnackte Männer mit Weihnachtmütze auf dem Kopf abgebildet sind. Auf der Bühne tritt ein Mann in Frauenkleidern auf und singt Weihnachtslieder, was für ein Frevel! – während im Publikum dauergeile Homos an Biowürsten saugen – pfui Deibel! Die anderen Weihnachtsmärkte dagegen sind natürlich Orte reiner Kontemplation und christlicher Demut – oder wie?

Braucht man einen schwul-lesbischen Weihnachtsmarkt? Nein, so wenig wie einen der anderen kitschigen, auf bloßen Kommerz ausgerichteten Weihnachtsmärkte. Ja, solange es solche heuchlerischen Ansichten bigotter Christenkämpfer gibt.

0 Gedanken zu “Christmas Avenue

  1. …Bravo, endlich gibt es einen Schwulen-Weihnachtsmarkt…da wird es demnächst auch Weihnachtsmärkte für Anglervereine, Kommunisten und Briefmarkensammler geben, der Weihnachtsmarkt für Hundebesitzer ist sowieso schon längst überfällig, nicht zu vergessen der für Antiquitätensammler und Vegetarier…

    Like

  2. :))
    Genau! Und den für Kombinationen, etwa den schwulen briefmarkensammelnden vegetarischen Angler, sowie den kommunistischen Hundefriseur mit dem Art Deco Fanclub und und und…

    Ich muß gerade an eine Frau denken, die mir schrieb, sie habe mal einen Adventskranz mit Bierdosen an einer Haustür gesehen. OK, das war in Kanada, da ticken die Leute eh anders. Aber den Drogen- und Alkohol-Wei(h)nachtsmarkt den brauchen wir auch noch! Schließlich heißt es ja Rauschebart, nicht wahr?

    Like

  3. Ja, habe ich auch schon gedacht, wieso gibt es eigentlich noch keinen Punker-Weihnachtsmarkt? Der Wein kommt da dann aus Dosen, die vorm Öffnen einfach in heißes Wasser getaucht werden. Gut, die Musik könnte einem auf die Nerven gehen, besonders die Lautstärke.

    Like

  4. Wenn Du es nicht mehr schaffst, hast Du nicht viel verpaßt: Das beste an diesem Markt ist der nicht ganz so süße Glühwein, und den trinkst Du ja sowieso nicht, wenn ich mich recht erinnere, oder? 😉

    Like

  5. Ich dachte, eines der Ziele von Schwulen und Lesben sei die gesellschaftliche Anerkennung und Integration? Paraden mit extravaganten Outfits oder eigene Weihnachtsmärkte bewirken leider eher das Gegenteil: Man grenzt sich ab und sorgt in der restlichen Bevölkerung für Befremden. Gab’s da zufällig auch Santa-Massagestäbe? Mit sowas könnte ich meine Schwester herrlich an Heiligabend ärgern ;D

    Like

  6. Gut, da ist was dran. Andererseits erhält man keine gesellschaftliche Anerkennung und Integration, indem man so tut, als wäre man gar nicht da. Es macht auf mich eher den Eindruck, als wolle die schwul-lesbische Community sagen: Schaut alle her, wir können genau denselben Mist machen wie ihr: Heiraten, Karneval feien und Weihnachtsmärkte veranstalten.

    Santa-Massagestäbe – ob das zu den Dingen gehört, von denen ich gar nicht wissen will, wozu sie dienen? 😉 Jedenfalls habe ich keine gesehen.

    Like

  7. Gewisse, nicht viele. Und diese gewissen Leute machen ein Geschrei, daß man glauben könnte, es wären viele, sind es aber nicht. Bei einer Umfrage auf den traditionellen Märkten sagten einige, daß sie ganz froh seien, daß die Schwulen nun alle auf ihrem eigenen Markt sind, da würden sie hier nicht stören – was wiederum Audruck einer absurden und völlig ahnungslosen Homophobie ist, gleichzeitig aber auch der einer gewissen Gelassenheit.

    Like

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s