World Press Photos im Hauptbahnhof

Dieses Schild, das am Rande einer öffentlichen Ausstellung der „World Press Photos“ 2010 im Kölner Hauptbahnhof aufgestellt war, hätte vielleicht noch größer sein, noch deutlicher platziert werden sollen, denn wie so oft sind auch in diesem Jahr wieder blutüberströmte Kriegsopfer und Bilder von geschundenen Leichen zu sehen, großformatig, auch für Erwachsene kaum zu ertragen. Die zynische Ästhetisierung der Szenen aus einem Schlachthaus läßt einen dann schon fast kalt. Nach der Logik von Pressefotos muß sowas natürlich auch gezeigt werden, das ist die Realität. Andererseits wird sensationsheischend auf die niedrigsten voyeuristischen Instinkte spekuliert. Ich frage mich angesichts solcher Bilder (die ich hier nicht zeige), wie man in solch grauenvollen Momenten noch fähig sein kann, seinen Fotoapparat zu benutzen.

Wie man die Schrecken des Krieges völlig unblutig darstellen kann, zeigt dieses Bild:

Es ist von Kent Klich (1. Preis „General News“) und zeigt eine Wohnung nach einem israelischen Angrif auf Gaza im Dezember 2008.

Neben dem einen Hauptgewinnerfoto (in diesem Jahr: Iranische Frauen in Teheran, die nachts illegalerweise Protestparolen von den Dächern ihrer Häuser in die Stadt rufen) gibt es noch zehn Sparten, in denen jeweils der 1. bis 3. Preis für ein Einzelfoto und für eine Fotoserie vergeben wurde.

Daß militante Palästinenser Israelis mit Haß begegnen, ist allgemein bekannt. Daß es auch Israelis gibt, die unentschuldbar demütigend mit Palästinensern umgehen, beweist dieses Foto von Rina Castelnuovo (3. Preis „General News“).

Aus der Sparte „Daily Life“ stammt dieses Strandfoto des Engländers Simon Roberts (3. Preis). Es heißt „England at Play“ aus der Serie „We English“.

Der 1. Preis aus der Sparte „Nature single“ zeigt eindrucksvoll einen Eisvogel auf der Jagd (Joe Petersburger) …

… und die Tierbilder von Paul Nicklen aus der Antarktis finde ich auch bemerkenswert (1. Preis „Nature stories“).

Was ist ein Foto? Ein Abbild der Wirklichkeit? Eine Manipulation des Betrachters? Kommt darauf an … möchte man ausweichend antworten, aber eins ist es auf jeden Fall: Eine Inszenierung. Ausschnittsauswahl, Farbe, Licht, Körnung und noch mehr, was zum Handwerkszeug des Fotografen gehört, vermitteln eine Botschaft, die der Fotograf beabsichtigt – oder auch nicht beabsichtigt, im Betrachter aber trotzdem entsteht. Die Inszenierung ist aber mit dem Druck auf den Auslöser noch nicht beendet, gerade die Digitalfotografie macht es besonders leicht, das Foto sogar so weit zu verändern, daß es mit dem Ausgangsprodukt kaum nch etwas zu tun hat. Wie weit darf das Aufklärungsmedium Presse gehen, wo es doch eigentlich um die Darstellung der Wirklichkeit im Bild gehen soll?

Interessanterweise hat die diesjährige Jury eine Fotoserie von dem Fotografen Stepan Rudik, die den 3. Platz in der Sparte „Sports Features“ gewonnen hatte, nachträglich disqualifiziert. Das eingereichte Foto sah so aus …


c Stepan Rudik

… und so die RAW-Fassung des Fotos:


c Stepan Rudik

Beanstandet wurde nicht die Verkleinerung, also der Ausschnitt, der auf nur ein (dramatisches) Element in einer völlig undramatischen Situation reduziert wurde, auch nicht der Wechsel in schwarz/weiß oder die nachträglich bearbeitete Körnung, die eine unscharfe Tiefe suggeriert, die das Ausgangsbild nicht hat, auch nicht die zusätzliche Effekterhöhung durch die Vignettierung und die Verschärfung des Lichtkontrastes – sondern das Retuschieren der Füße, hier nochmal das Bild mit Pfeil auf die bewußte Stelle.

Tja. Was soll man davon halten? Das Foto gehört übrigens zu einer Reportage über ukrainische Straßenkämpfer.

0 Gedanken zu “World Press Photos im Hauptbahnhof

  1. Ein interessanter Eintrag!
    Ich habe heute über Ähnliches nachgedacht, da mir Nobuyoshi Araki einfiel. Geniale Bilder, interessante Gedanken, aber Erotik mit Gewalt zu verknüpfen halte ich immer für eine Sache, die messerscharf an der Schmerzgrenze ist (jedenfalls für mein Feministinnenherz, das bei sowas nicht wirklich höher schlägt). (siehe TB Eintrag)

    Das disqualifizierte Foto ist in dem Zusammenhang auch „lustig“, weil es gerade Arakis Bondage-Serie ist, bei der man wirklich an’s Grübeln kommt.

    Der Seitenblick des Vogels ist übrigens ohne Gleichen! „Ahäm! Bitte KEINE Fotos! Ich muß doch sehr bitten!“

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  2. hab deinen beitrag mit großem interesse gelesen und angesehen, und freue mich, dass du keine sensationshascherei vollbringst und die entsprechenden fotos dort lässt, wo sie sind … aber auch ich frage mich oft, was manche fotografen für gewissenlose burschen sein müssen …
    kennst du das buch die fälschung von nicolas born (schlöndorff hats mal verfilmt), da wird das auch schon thematisiert …

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  3. Pressefotografen, die in Kriegsgebieten arbeiten, müssen sich stumpf machen vor ihren Motiven wie ein Arzt, der die Leiden seiner Patienten nicht zu seinen eigenen machen darf. Mir scheint das aber eine Haltung zu sein, der die Pressefotografen generell erfasst, wenn sie eine Weile im Geschäft sind. Ich habe nie am Geschehen desinteressiertere Menschen gesehen als Pressefotografen. Sie brauchen ein paar gute Bilder, das ist alles.

    Bedenklich ist die um sich greifende Effekthascherei, die dann zu Montagen und Retuschen führt, wenn Bilder nicht dramatisch genug geraten sind. Die Fälschbarkeit des Bildes ist ein generelles Problem, fängt aber schon bei der Wahl des Bildausschnittes an wie du eindrücklich dargelegt hast. Wir Betrachter sind einem Bild stets ausgeliefert, weil Bilder direkt und ungefiltert unsere Gefühle ansprechen.

    Ich habe diese Ausstellung übrigens gesehen, als ich von Aachen nach Hannover zurückfuhr. Besser, ich habe sie nicht gesehen, denn die Bilder habe ich mir nicht angeschaut, denn ich ahnte, dass da zuviel Greuel vor mir ausgebreitet würde.

    Einge solcher Pressefotos haben die Welt verändert. Der Protest gegen den Vietnamkrieg etwa kam erst richtig in Gang, als dieses Bild von Mylai veröffentlicht wurde, wo ein nacktes Napalmverbranntes Mädchen aus dem brennenden Dorf flieht. Ebenso erschütternd das Foto, wie der Polizeichef von Saigong einen gefangenen Vietcong auf der Straße erschießt.

    Ich kann mich aber nicht erinnern, dass derartige Fotos noch einmal soviel bewirkt hätten. Da gibt es eine allgemeine Abstumpfung, und deshalb fragt man sich, wozu sind sie noch gut. Meist ist es besser, die Gewalt indirekt zu zeigen bei dem Foto der Wohnung nach einem israelischen Angrif auf Gaza, das du vorstellst. Das ist wirklich eindrucksvoll.

    Vielen Dank für den wirklich lesens- und sehenswerten Beitrag.

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  4. Bondage-Fotos stehe ich mit völligem Unverständnis und Widerwillen gegenüber – Dokumentationen von sexueller und sexistischer Ausbeutung.

    Der Blick des Albatros ist fast ein bißchen unheimlich, so direkt, wie er in die Kamera sieht. Er macht aber einen ganz gelassenen Eindruck, finde ich, und wer je „Bernhard & Bianca“ gesehen hat, weiß, wie gutmütig diese Vögel sind. 😉

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  5. Ja, da spricht der feministisch geschulte Mann. Geht mir genauso.
    Kommt mir irgendwie vor wie die inszenierten Masturbationsfantasien eines alten Sacks. (ich sage nur Herbert Reinecker) Dabei hab ich gar nichts gegen erotische Fotos einzuwenden. Vielleicht mache ich dazu mal extra was.

    *lach* Sehr unwissenschaftlich, Herr R.! Aber nun ja, das lassen wir mal durchgehen. Kriegt nen Bambi-Punkt. 😉

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  6. Danke!

    Die Bilder im Bahnhof auszustellen war keine gute Idee, ich habe Mütter gesehen, die erschrocken ihren Kindern die Augen zugehalten haben, mit solchen Grausamkeiten rechnet man einfach nicht an einem solchen Ort.

    Die ganze Veranstaltung „World Press Photo“ wird in meinen Augen zunehmend fragwürdig: Es wird so getan, als erhielten die Fotos eine besondere Qualität oder einen Mehrwert dadurch, daß sie in der Presse erschienen sind. Tatsächlich ist ja das Gegenteil der Fall: Man tut so, als würde einer aufklärerischen Ideologie dienen, in Wirklichkeit ist man auf der Jagd nach Sensation, Ruhm und hoher Auflage.

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  7. Das Strandfoto des Engländers Simon Roberts gefällt mir besonders gut…mit den Füßen darunter…
    gleich erhält es einen anderen Sinn, wenn Menschen sich auf dem Bahnhof Strandfotos anschauen…

    ansonsten…denke ich, es gibt viel zu viele Fotos und viel zu viel Information und diese Dinge schieben sich vor die Gegenwart…das schwächt die Gegenwart, aber auch die Information bzw. die Fotos…

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  8. Ja, da hast Du völlig Recht. Manchmal, wenn ich frei habe, versuche ich, alle Tages- und Wochenzeitungen, die liegengeblieben sind, an einem Tag „aufzuarbeiten“, auch, weil es mich interessiert, was andere schreiben. Wenn ich das geschafft habe, bin ich so randvoll mit Informationen – die fast sämtlich zwei Tage später schon wieder weg sind aus meinem Kopf.

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  9. Ganz toller Eintrag…
    und ich verneige mich vor diesen Bildern, insbesondere von diesem (ausnahmsweise) unblutigen Kriegsbild, welches trotzdem die ganze Dramatik zeigt.
    Zu der Retusche bei Fotos habe ich natürlich meine eigene… und sehr spezielle Meinung. Generell bezeichne ich Fotografie noch immer als Kunst. Insofern sind bearbeitete Bilder durchaus erlaubt… und (für mich)auch ausdrücklich erwünscht.
    Auch wenn Du das an meinen Fotos so wenig magst. 😉
    Außerdem macht der gewählte Bildausschnitt das Foto meistens erst sehenswert.
    Bei Fotos, welche der reinen Berichterstattung dienen, ist Retusche in Form von „wegstempeln“ oder noch schlimmer „hinzufügen“ fatal.

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  10. Ja, das Bild ist wirklich beeindruckend.
    Bei Pressefotos gehe ich (fast) immer davon aus, daß sie dokumentarischen Charakter haben wollen und auch sollen – Wegstempeln und Hinzufügen geht da gar nicht. Aber auch die Dramatisierung, die z.B. Rudik da vornimmt, finde ich sehr grenzwertig, da aus einem recht harmlosen Schnappschuß eine unheilvolle, gefahrsignalisierende Situation suggeriert wird. In dokumentarischer Fotografie will ich annähernd das sehen, was der fotografierende Zeutzeuge vor Ort gesehen hat und keine Fotomärchenstunde, selbst wenn die vielleicht besser zum Bericht paßt. Das ist eine Frage des Ethos, der Redlichkeit des Fotografen, Eigenschaften, die in einer auf Sensation gepolten Presse keinen Wert mehr zu haben scheinen.

    Wenn man diesen Anspruch gar nicht hat, sondern „nur“ schöne Bilder machen will, ist natürlich alles erlaubt, da ist es eine Frage der persönlichen Vorlieben, was man einsetzt. Die ganz starke, sichtbare Bearbeitung durch Farbfilter oder HDR ist dabei noch „ehrlicher“ als z.B. das einfache Kontrastschärfen usw.

    Stimmt, HDR ist nicht so mein Ding. Trotzdem sehe ich mir gern an, was Du damit machst, manchmal naserümpfend („also … also …“ *Schnappatmung*), manchmal aber auch wohlgefällig. 😉

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  11. *lächel*
    Naserümpfend… ah-ja… 😉
    Die nächsten 3-4 Fotos sind kein HDR… und ohne Filter aufgenommen. :yes:
    Sei gespannt… 😉

    Ich wage mal zu behaupten, dass es kein öffentliches und semi- bis professionelles Foto gibt, in denen nicht „Feinheiten“ wie Kontrast, Farbabgleich und Nachschärfen nachträglich gemacht wurden.
    Was die meisten vergessen, selbst „damals“ in der Dunkelkammer wurde schon „gemauschelt“… leider war es da nicht für die breite Masse möglich.

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