Werbetafel in der U-Bahnstation Neumarkt

Über 260 Millionen Fahrgäste befördern die Kölner Verkehrsbetriebe (KVB) jedes Jahr, haben aber bloß 100 festangestellte Kontrolleure, das heißt, daß jeder Kontrolleur (Urlaubszeit und Wochenenden abgerechnet) ca. 13.684 Personen am Tag kontrollieren müßte, um eine Erfolgsquote von 100% beim Einfangen der Schwarzfahrer zu erreichen. Das schaffen die natürlich nicht – allein schon das Aufschreiben der Personalien, die überflüssigen Diskussionen („Meine Fahrkarte hat sich in Luft aufgelöst, echt jetzt!“) usw. verhindern einen effizienteren Einsatz des Personals.

Ein enttarnter Schwarzfahrer bringt 40 Euro ein, aber ob das eingenommene Geld den Einsatz von 100 Festangestellten abdeckt, ist fraglich, besonders, seitdem die Hauptbevölkerungsgruppe, aus der sich die Schwarzfahrer vermutlich vornehmlich rekrutierten, seit einigen Jahren weggebrochen ist: Die über 66.000 Studierenden in Köln haben ein Semesterticket, können also gar nicht mehr schwarzfahren, selbst wenn sie wollten. Um die Arbeitsplätze der Kontrolleure zu garantieren wäre also ein Aufruf notwendig: „Bürger! Fahrt öfter schwarz!“, aber die Gewerkschaften zieren sich, und die solidarische Bereitschaft der Bevölkerung, sich nun auch öfter mal erwischen zu lassen, hält sich in Grenzen.

Was tun? Der Königsweg ist die Erhöhung der Einträge bei gleichzeitiger Verringerung der Ausgaben: Man stellt studentische Aushilfskräfte ein! Für gut 10 Euro/Stunde dürfen die nun in den Abendstunden auf Jagd gehen und dabei noch ihre sogenannten „soft skills“ trainieren, also ihre sozialen Kompetenzen, die in der freien Wirtschaft ja angeblich eine immer größere Rolle spielen sollen: Wer verhält sich auffällig und ist ein möglicher Kunde, unabhängig von seiner Zahlungsfähigkeit? Wenn man später in seinem Beruf seinen Vorgesetzten bei passender Gelegenheit Dinge erzählen will, die man über KollegInnen herausgefunden hat, ohne dabei unfreundlich zu werden, kann man bereits hier die Voraussetzungen dafür erlernen, denn beiden Tätigkeiten haftet ja etwas DenunziatorischesDiplomatisches an. Und man kann auch schon mal eine gewisse höfliche Rücksichtslosigkeit trainieren, um einen Kunden von der Richtigkeit der eigenen Argumente zu überzeugen.

Taktisches Geschick wird erworben, wenn mal wieder ein U-Bahnzug in einem Tunnel anhält, um den Kontrolleuren Gelegenheit zu geben, wirklich alle Gäste zu kontrollieren, oder strategische Fähigkeiten bei folgender Übung: Alle Fahrgäste werden in Geiselhaft genommen und dürfen die Bahn erst dann verlassen, wenn sie einen gültigen Fahrausweis vorgezeigt haben – wieviele Kollegen sind notwendig, um das durchzuführen?

„Studieren und Kontrollieren!“ ist also praktisch eine Win-Win-Situation, jeder profitiert. Jetzt müssen sich bloß noch einsichtige Fahrgäste finden lassen, die ihr Portemonnaie mal zu Hause lassen – vielleicht könnten Hartz-IV-Empfänger sich hier endlich mal nützlich zeigen.

0 Gedanken zu “Werbetafel in der U-Bahnstation Neumarkt

  1. :))
    Also ich oute mich: ich fahre Auto und habe jetzt ein schlechtes gewissen. Arme KVB. Und: arme Studenten. Was war es doch früher für ein schöner Nervenkitzel, einfach so ohne Fahrschein zu fahren.. gerade in Köln.
    Es war doch immer ein kleines einleitendes Abenteuer, bevor man sich mit Bekannten in der Kneipe traf, das man erst bestehen mußte – und ich habe es immer bestanden. Schonwieder Geld gespart – ein kühles Kölsch mehr! 🙂
    Und man kam sich so rebellisch vor *g
    Solche Erlebnisse entgehen den armen Studenten ja heute.
    Stattdessen schlagen sie sich auf die andere Seite – was soll nur aus der Jugend werden! *g

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  2. Als Student bin ich auch öfter schwarzgefahrn, aber nicht wegen des Nervenkitzels, sondern wegen absolut wenig Geld. Nenn mich Weichei, aber das war mir schon immer zu nervenaufreibend. 😉 2,40 kostet eine Fahrt heute, aber im Verhältnis zum Einkommen war es ja nie billiger, und wenn man jeden Pfennig umdrehen muß, ist das eine ziemliche Belastung.
    Die Jugend von heute rebelliert anders: Sie trinkt Bier in der Straßenbahn, obwohl (oder weil) das verboten ist, und nicht wenige zerdeppern hinterher die Flaschen auf dem Bürgersteig. Echt revolutionär. *seufz*

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  3. Wie jetzt – die Schwarzfahrer sind dafür verantwortlich, daß es zu viele Autos gibt?
    Ich bin auch gegen Schwarzfahren – ich finde, die Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel sollte für alle umsonst sein, schon hat sich das Problem erledigt, und es gäbe wahrscheinlich auch weniger Autos auf den Straßen.

    Man könnte z.B. eine KVB-Steuer erheben: Köln hat ca. 1 Millionen Einwohner. 10% ziehen wir ab wegen Bedürftigkeit, und von den restlichen 900.000 ziehen wir nochmal ein Drittel Kinder und Rentner ab. 600.000 Bürger sollten nun leicht 10 bis 15 Euro im Monat für die KVB-Steuer aufbringen können, das wären dann 6 bis 9 Millionen Euro im Monat, bzw. 72 bis 108 Millionen Euro im Jahr.
    Freie Fahrt für freie Bürger – hier macht der Spruch endlich mal Sinn.

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  4. Ja, vermutlich führt das dann zu einer Fahrpreiserhöhung: Da sie mehr Leute einsetzen, werden sie auch mehr Schwarzfahrer fangen, so daß sie sagen können: Das Fahren ohne gültigen Fahrausweis hat so stark zugenommen, daß wir leider die Preise erhöhen müssen. Zuzutrauen wär’s ihnen.

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  5. Ich wohne jetzt fast ein Jahr in Köln, fahre an mindestens drei Tagen in der Woche 2x mit der Bahn und wurde bislang 2x kontrolliert. Hätte beim Schwarzfahren vermutlich viel Geld gespart. Aber irgendwer muss ja den U-Bahn-Bau finanzieren. 😉

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  6. Welche Stecke fährst Du? Besonders gern wird, glaube ich, in Kalk, Mühlheim und Chorweiler kontrolliert, da wohnen die Leute, die wenig Geld zum Leben haben und deshalb wohl öfter mal in Versuchung kommen, und die sich nicht wehren, wenn sie in Tunneln oder durch verschlossene Türen ihres Grundrechts auf Freiheit beraubt werden.
    Den Neubau des historischen Archivs mußt Du leider auch noch bezahlen, mach Dich auf eine Preiserhöhung gefaßt. 😉

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  7. Och wat wor dat fröher schön en Colonia. Da sang der Kölschrocker Zeltinger:

    Ich fahr schwatz met de KVB,
    die Markfufzisch dät denne och nit wieh,
    ich fahr schwatz mit de KVB,
    dä Hals voll krieje de Bonze nie.

    und Studenten hätten sich niemals für son Scheißdreck hergegeben, nicht mal die vom RCDS.

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  8. Recht hat er, der Zeltinger.
    Es gab ja schon immer unehrenhafte Berufe, früher waren das Henker oder Ausheber von Fäkaliengruben. Heute ist es der des anonymen Fahrkartenkontrolleurs – wie kann man nur freiwillig einer solchen Tätigkeit nachgehen.

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  9. Bei den Studenten hat es geklappt, die zahlen 246,00 Euro im Jahr und haben in allen Bahnen im Gebiet Köln/Bonn freie Fahrt.
    Aber die Auto-Lobby ist natürlich dagegen, und deshalb auch die Politiker: Wenn der Kölner Autobauer Ford keine Autos mehr verkauft, gibt’s kurzfristig ein Arbeitslosenproblem – da zerstören wir langfristig lieber unsere Umwelt *grummel*.

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  10. Ist das Einkommen für die Studiosos steuerfrei, oder verlieren sie beim Kontrollieren dienstgetreu ihr Stipendium?
    Bei uns kostet Schwarzfahren 70,- + 1 Ticket zu 2,20. Bin voriges Jahr erwischt worden, weil ich meine Karte zu 27,20 ausgestreut hatte.

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  11. Renten- und Krankenversicherung müssen sie, glaube ich, davon noch zahlen. Stipendien gibt’s ja kaum in D, aber wenn, dann ist es zeitgebunden, wer fertig wird, kann nebenbei machen, was er will.
    70 Euro! Das nenn ich Abschreckung! Was hast Du mit Deiner Karte gemacht? Verbrannt und die Asche ausgestreut? Im Winter, oder wieso? Mein österreichisches Wörterbuch ist ratlos …

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