Urlaub, Heidelberg (2)

Es fällt auf, daß es in Heidelberg sehr viele Antiquariate und Delikatessengeschäfte gibt. Die Waren, die da jeweils angeboten werden, sind ja sehr unterschiedlich, aber vermutlich ist da doch einen Zusammenhang: In kaum einer deutschen Stadt gibt es mehr Professoren (gemessen an der Gesamtbevölkerung) als hier. Was man an den Büchern spart, kann man doch ausgezeichnet für französiche und italienische Spezereien ausgeben.

Und wer es noch billiger haben will, bedient sich hier an diesem vielbesuchten und immer wieder gutbestücktem Bücherregal.

„Semper apertus“ – was sich anhört wie ein Zauberspruch bei Harry Potter, ist das lateinische Motto der Universität und heißt: Immer offen. Die Ruprecht-Karls-Universität ist 1386 gegründet worden, zwei Jahre vor der Kölner, und ist damit die älteste Hochschule im Gebiet des heutigen Deutschlands.

„Immer offen“, das galt und gilt natürlich nicht für den Karzer, dem Studentengefängnis. Damals, also vor 1914, wären die Insassen vermutlich abgehauen, heute dagegen zahlt man sogar Eintritt, damit man ihn besichtigen kann.

Der pädagogische Wert des Karzers war nicht besonders hoch, weshalb man diese Institution auch abgeschafft hat: „Da sich die Studenten im Karzer in der Regel selbst verpflegen mussten und auch Besuch empfangen durften, war es ein Leichtes, die „Strafe“ zu einem gesellschaftlichen Ereignis mit exzessivem Alkoholkonsum werden zu lassen, was in Quellen des 19. Jahrhunderts immer wieder berichtet wird.“ (Wikipedia)

Mark Twain hat Heidelberg auf seinem „Bummel durch Europa“ auch besucht und erzählt:

„Der Student kann offenbar gegen eine ganze Anzahl staatlicher Gesetze verstoßen, ohne sich dafür vor den staatlichen Behörden verantworten zu müssen. Sein Fall kommt zur Verhandlung und Aburteilung vor die Universität. Falls ein Polizist ihn bei einer gesetzwidrigen Handlung ertappt und ihn festnehmen will, erklärt der Missetäter, daß er Student sei und zeigt vielleicht seinen Immatrikulationsausweis vor, woraufhin der Schutzmann sich die Adresse geben läßt und dann seiner Wege geht und den Vorgang auf der Wache meldet. Handelt es sich bei dem Vergehen um eines, das nicht unter die Gerichtsbarkeit der Stadt fällt, meldet die Behörde den Fall auf dem Amtswege der Universität und kümmert sich nicht weiter darum. Das Universitätsgericht läßt den Studenten kommen, hört sich die Aussagen an und verkündet das Urteil. Die üblicherweise verhängte Strafe lautet auf Haft im Universitätsgefängnis, dem sogenannten Karzer. Soviel ich gehört habe, wird oft gegen einen Studenten verhandelt, ohne daß dieser überhaupt anwesend ist. Dann trägt sich ungefähr folgendes zu: Ein Pedell in Diensten der Universität begibt sich in die Wohnung des besagten Studenten, klopft an, wird zum Eintreten aufgefordert, tritt ein und sagt höflich:

„Wenn Sie gestatten, ich bin gekommen, um Sie in den Karzer zu bringen.“
„Ach“, sagt der Student. „Damit habe ich nicht gerechnet. Was habe ich getan?“
„Vor zwei Wochen hatte die öffentliche Ruhe die Ehre, von ihnen gestört zu werden.“
„Das ist wahr; ich hatte es vergessen. Nun schön, man hat mich angezeigt, vor Gericht gebracht und für schuldig befunden – ja?“
„Genau. Sie sind zu zwei Tagen Einzelhaft im Karzer der Universität verurteilt worden, und man hat mich geschickt, um Sie zu holen.“
Student: „Oh, aber heute kann ich nicht.“
Pedell: „Und warum nicht, wenn Sie gestatten?“
Student: „Ich habe eine Verabredung?“
Pedell: „Dann vielleicht morgen?“
Student: „Nein, morgen gehe ich in die Oper.“
Pedell: „Könnten Sie Freitag kommen?“
Student (überlegt): „Warten Sie – Freitag – Freitag. Freitag scheint nichts anzuliegen.“
Pedell: „Wenn Sie gestatten, werde ich Sie also Freitag erwarten.“
Student: „Gut, ich komme Freitag vorbei.“
Pedell: „Danke schön. Guten Tag, mein Herr.“
Student: „Guten Tag.“
Und so geht der Student am Freitag aus eigenem Antrieb ins Gefängnis und wird eingelassen.
Es ist fraglich, ob die Weltgeschichte des Verbrechens einen seltsameren Brauch aufzuweisen hat als diesen. […]“

Mark Twain: Bummel durch Europa. Gesammelte Werke Bd. 4. Frankfurt/Main: Insel-Verl., 1985

Der alte Hörsaal. Auch hier muß man als Tourist Eintritt zahlen, elende Geldschneiderei. Dafür kommen wir ungeplant in den Genuß eines Vortrags: Ãœber die Jahrhunderte hatte die Universität ihre Bedeutung verloren, Professuren wurden innerhalb der Familien weitervererbt, was die Qualität der Forschung nicht besonders beförderte (waren Professoren nicht schon immer mit den Privilegien von Feudalherren ausgestattet? Und sie sind es noch, jedenfalls in Deutschland …). Um ihr neuen Auftrieb zu geben, verpflichtete man gegen Mitte des 19. Jahrhunderts einen anerkannten Wissenschaftler, der die Hochschule reformieren und ihren Ruf verbessern sollte, und dessen Name heute immer noch fast jedes Kind, das einmal Chemieunterricht hatte, kennt:

Robert Wilhelm Bunsenbrenner. Mit viel Geld und Unterstützung rekrutierte er noch andere bedeutende Wissenschaftler der damaligen Zeit. Neue Gebäude wurden errichtet, die Fakultäten mit dem besten Equipment ausgestattet, das es gab. Und weil sich nach ein paar Jahren alle darüber freuten, daß das klappte, gönnte man sich den prachtvollen und kostspieligen Hörsaal.

Die Studenten gingen vermutlich trotzdem lieber in die Kneipen, tranken literweise Bier und ritzten den Namen der Angebeten in den Tisch.

Wenn die nicht hören wollte, konnte man ersatzweise zu einem „Heidelberger Studentenkuß“ greifen, einem Batzen Schokolade mit Schokoladenüberzug. Wer’s mag …

Die neue Ruprecht-Karls-Universität (Ruprecht hat sie begründet, irgendein Karlheinz hat im 19. Jh. für die Reform gesorgt; der Kenner sprich übrigens von der „Ruperto Carola“) ist auf einem riesigen, unübersichtlichen Gelände auf der anderen Neckarseite untergebracht. Ãœber 20% der Stadtbevölkerung sind Studenten (zum Vergleich: Köln ca. 7%).
„Dem lebendigen Geist“ war 2009 der Titel einer Bettelkampagne zur dringend notwendigen Sanierung und Modernisierung: Wenn die Universitätsverwaltung es schaffte, 8 Millionen Euro von privaten Spendern einzuholen, war das Land bereit, 3 Millionen dazuzugeben. Hat funktioniert. Schirmherr der Kampagne war übrigens jemand, der sich bestens auskennt mit der diskreten Beschaffung von Geldern, aus welchen Quellen auch immer: Altbundeskanzler Helmut Kohl.

Und es hat sich gelohnt, die Hasen am Physikalischen Institut vollbringen wahre Wunder.

Und was machen die Studenten? Wie überall, sie arbeiten in der Gastronomie, und weil die Japaner das erwarten, auch kostümiert. Merkt ja keiner, wenn sie aus Hamburg kommt.

Fortsetzung folgt.

0 Gedanken zu “Urlaub, Heidelberg (2)

  1. Oh ja, auch wenn Bücherfreigiebigkeit und Holztischpatina grandios sind, die Touristenschröpfung als solche (weltweit die gleiche) geht einem dann wohl irgendwann echt auch auf den Bunsenbrenner, wenn jeder Karlheinz nur unser Bestes will: unsere Kohle.

    Und die Karzer sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. But we love it (like Heidelberg/beer-Eis)!

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  2. aha :yes: die frau, die einen „schlauen“ mann sucht, sollte in heidelberg mit der suche beginnen.

    also, so fragte ich mich eines tages, brauche ich einen doktor oder professor zum mann? der mann meiner träume sollte schon sein hirn nutzen können, soviel steht fest. 😉

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  3. Hi Videbitis,

    Heidelberg… war ich leider auch noch nicht.
    Aber Deine Fotos schauen super aus und machen Lust auf mehr.

    Der Tisch ist der Knaller.So muss ein ge-und belebeter Tisch ausschauen… 😀

    LG mosi

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  4. Ja, gemein: Wenn man schon mal da ist, will man nicht knausern, schon gar nicht, wenn man extra aus Fernost angeflogen ist. Und das wissen die hier ganz genau. Sie werden wahrscheinlich in der Hölle schmoren für diese Habgier.

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  5. Daß Professoren schlau sind, ist ein weit verbreitetes Mißverständnis: Die haben ein Studium abgeschlossen, eine Doktorarbeit abgeschrieben und sind berufen worden, wenn mal wieder einer gebraucht wurde und kein besserer da war. Mit Klugheit hat das nichts zu tun, ganz zu schweigen von anderen Eigenschaften wie Witz und Großzügigkeit, auf die frau unbedingt Wert legen sollte. Also aufgepaßt! 😉

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