Münster – „Skulptur.Projekte“ 2017 (4)

„Sketch for a mountain“ nennt Nicole Eisenman ihre Brunnenfiguren …

… die sich bei den Besuchern zu den Lieblingsskulpturen entwickeln von denen, die neu ausgestellt werden – vermutlich, weil man endlich mal etwas begreift, ohne Hintergrundwissen haben zu müssen. Das sind einfach Figuren in Bronze und …

… Gips, die an einem viereckigen Brunnen stehen. Basta! Endlich kommt man sich mal nicht so doof vor.

Gut, wenn das Wasser nicht aus so merkwürdigen Stellen sprudeln würde (aus den Beinen?!), könnte man solche Figuren vielleicht auch im Baumarkt finden …

Der Katalog hat wieder erhebende Worte gefunden: „Reduzierte Aktivität, sanftes Plätschern und die ebenerdige Aufstellung laden ein, es den Protagonist_innen gleichzutun und Teil der Szenerie zu werden. Alles steht als elementare Schöpfung in fluider Beziehung miteinander, Natur, Kultur und Identität gehen ineinander über.“ Wie vor ein paar Tagen in der Zeitung zu lesen war, hat jemand einer der Gipsfiguren den Kopf abgeschlagen und mitgenommen.

Die Neoninstallation „Angst“ von Ludger Gerdes (1954-2008) hängt normalerweise am Rathaus in Marl. Zur diesjährigen „Skulptur.Projekte“ haben beide Städte eine Art Partnerschaft gebildet und ein paar ihrer Skulpturen ausgetauscht.

Hier muß man wieder überlegen, was das bedeuten soll … und hat damit schon das Kunstwerk verstanden, das ist doch auch mal schön. Ich zitiere von einer Seite der „Ruhr Kunst Museen„: „Gerdes kombiniert drei bekannte und von den meisten Betrachtern sofort identifizierbare Aussagen und erzeugt – zumindest – Verunsicherung. Üblicherweise können wir die im Stadtbild vorhandenen Informationen typografischer und zeichenhafter Art rasch deuten. Die Kombination der Piktogramme mit dem Schriftzug »Angst« ist aber nicht unmittelbar zu entschlüsseln. Sie löst beim Betrachter zunächst Unbehagen und in der Folge einen Denkvorgang aus. »Schon in unserem Geist bestehende Inhalte, Erinnerungen, Wissen, Haltungen werden nun zum Medium, in dem neue Formen – auf Grund des Erlebens von Kunstwerken – hineinartikuliert werden: Die Kunst verändert dann die Art und Weise, wie wir das, was wir schon kennen, formulieren. Die Kunst ändert UNS also manchmal« [Ludger Gerdes]. Auf diese Weise wahrgenommen, versetzt das Werk den Betrachter in einen aktiv reflektierenden Zustand.“ Gut, okay – bei mir allerdings nicht sehr nachhaltig.

Und was ist das für ein Kunstwerk? Gesellschaftskritisch wird gezeigt, in welchem Überfluß wir leben durch diese schier unendliche Batterie von Soßenflaschen, die mit fluidem Inhalt kopfüber ihrem Schicksal entgegensehen – ätsch, reingefallen, das sind Tische vor einer Hamburgerbratei.

Fortsetzung folgt.

23 Gedanken zu “Münster – „Skulptur.Projekte“ 2017 (4)

  1. christahartwig

    Das letzte Kunstwerk, das Deinige, gefällt mir am besten. Du solltest es wirklich auf Alu Dibond einer Galerie anbieten. Auch über diesen Überfluss im Regen lohnt es sich, nachzudenken. Denkanstößig ist die Neon-Angst schon am ergiebigsten. Das Paar auf dem 3. Foto von oben erinnert mich stark an Hoppers „Excursion into Philosophy“ (Platon, zu spät gelesen).

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    1. Danke!
      Ah ja – stimmt, da ist eine Ähnlichkeit zu dem Hopper-Bild. Im Katalog steht, die Figuren seien geschlechtslos. Soweit es die primären Geschlechtsmerkmale betrifft, stimmt das, aber ich würde die beiden allein von der Körperform her auch als Mann und (liegende) Frau identifizieren.

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  2. Das letzte Kunstwerk hätte ich auch als solches Akzeptiert und mit dem Text darunter nicht in Frage gestellt :).
    In der Hoffnung das die kopflose Figur ihr Haupt wieder bekommt. Die gefallen mir nämlich richtig gut.

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    1. Jeder ist ein Künstler – selbst der Zufall … oder – vielleicht gerade der.

      Die Künstlerin sagte, sie würde die Schnittstelle etwas bearbeiten, aber die Figur kopflos lassen. Die Stadt Münster kauft ja immer ein paar Kunstwerke auf nach dem Festival, und da sich dieses großer Beliebtheit erfreut, hat es gute Chancen. Und in dem Fall muß die Künstlerin sich sowieso überlegen, was sie machen will, denn wenn die Gipsfiguren über Jahre Wind und Wetter ausgesetzt sind, überleben sie nicht lang. Am besten wäre vermutlich, sie auch in Bronze zu gießen.

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      1. Eine gute Idee, die Figur kopflos zu lassen. Wie du schreibst….es ist etwas neues entstanden. Ungeplant, aber so auch einzigartig.
        In Bronze gegossen oder auf andere Art „wetterfest“ gemacht, sehen die Figuren sicher noch einmal anders aus.

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  3. Mir gefällt nur ein Kunstprojekt wirklich: „Die Soßen“, genial eingefangen von meinem Kölner Lieblingsfotografen. 😉

    Obwohl die Angst vor der Verwandlung der Stadt in Golfplätze seine Berechtigung haben könnte (man muß nur schräg genug denken) und schließlich sind ja auch auf manchen Sportshirts gefährliche Tierarten, ich sage nur Lacoste (es was es wolle), kann ich dennoch damit nix anfangen.

    Und die Brunnenfiguren sind ein netter Gag, Hingucker, mehr aber (für mich) auch nicht.

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    1. Danke! – freut mich.

      Angst und Kirche kann ich nachvollziehen – das Christentum, wie es die Kirche interpretiert, ist eine Angstreligion (ererbte und andere Sünden, Buße, Selbstkasteiung, Inquisition, Fegefeuer, Hölle, ewige Verdammnis usw.) , und seine Bauten sind Angstarchitektur: In einer Kirche soll sich der Mensch klein und erbärmlich vorkommen – eben so, wie die Amtskirche ihn sieht. Aber der Golfer? Die Angst des Golfers vorm Einputten? Hm.

      Die Figuren haben etwas leicht Befremdliches, finde ich, und das gefällt mir. Andererseits erinnern sie mich an putzige Brunnenfiguren, wie ich sie in Gartencentern schon gesehen habe.

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  4. ich fange von unten an und arbeite mich nach oben… 😉

    dein kunstobjekt hat als einziges objekt eine klare aussage, der überfluß.
    bestens beobachtet.

    das objekt mit den wort „angst“ könnte an die besagte silvesternacht erinnern.
    den „golfer“ nehme ich als solchen nicht wahr, sondern als jemanden der zuschlagen möchte. es könnte auch ein eishockyschlägre sein, der als waffe missbraucht wird.

    die gips- und bronzefiguren berühren mich nicht besonders stark.
    einzig die wasserläufe aus den beinen könnten an ein offenes bein, das sogenannte offene raucherbein, erinnern. 😉

    vielleicht reichte einem besucher der eigene gipskopf nicht aus, deswegen schlug er einer figur eben diesen ab.

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    1. Danke!

      Stimmt, könnte – aber da es schon von 1989 ist, eher unwahrscheinlich.;-) Aber Du hast natürlich ganz recht – das sieht man dem Kunstwerk ja nicht an. Das sich ein Kunstwerk immer neuen Interpretationen ausgesetzt sieht, ist zumindest in diesem Fall ja sogar beabsichtigt.

      Den letzten Satz kann ich nur unterschreiben – wer macht sowas? Ein Hohlkopf, der noch Füllung braucht?

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  5. Servus!

    Du kennst ja eventuell die Filmperle „Koyaanisqatsi“ (’82). Dein Oberklassefoto „Zivilisationssoßenkaskade“ könnte ich mir als „Freeze Frame“ im Film gut vorstellen. (Wenn der Filmspeed zunimmt.) Hab mir das Foto klammheimlich abgegriffen und in meinem privaten
    Archiv abgelegt..;-)

    Ist der Magen immer noch rebellisch, oder wieder einigermaßen im Lot? (Ich gehe davon aus, dass du schon mal einen leckeren Schokotörtchenabschnitt verborgen in der Besenkammer gemampft hast..;-D

    Keep on Rockin‘!

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    1. Prima, freut mich, daß Dir das Foto gefällt. Wenn Du willst, schicke ich Dir eine Kopie in größerer Auflösung.

      Einigermaßen. Der Magen scheint repariert, dafür ist der Darm sehr empfindlich, will immer noch kein Fett und Saures – Schokotörtchen habe ich natürlich schon gegessen, aber wieso in der Besenkammer? Schmeckt es da besser?;-)

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      1. Bonsoir!

        Ich meinte selbstredend mit „Schokotörtchenabschnitt“ ein
        RIESENGROßES Stück Schwarzwälder Kirschtorte mit ordentlich
        Schlagsahne! Seit Boris Becker ist in der Besenkammer quasi
        die Lust los..;-D
        Ich hab mir eben gedacht: „Vielleicht hat die Künstlerin den Kopf
        einer ihrer Skulpturen selbst abgeschlagen bzw. abschlagen lassen,
        um damit Publicity und Agenturmeldungen zu erzeugen.
        Wer weiß das schon..;-)

        Nehme dein Angebot gerne an. (Foto)
        Carpe noctem!..:-)

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        1. Das RIESENGROßE!!! Stück Schwarzwälderkirschtorte würde ich jetzt liebend gern verputzen – meine Lieblingstorte, wenn genügend Kirschwasser drin ist. Allein: Mein Darm protestiert, soviel Sahne auf einmal, da darf das Klo nicht weit sein.;-)

          Tze, was Du den Leuten so zutraust … möglich ist es, aber ich glaube es nicht.

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  6. Umgebung eben. Das Kunst wirklich noch provoziert, passiert ja eher selten. Unverständnis ist da schon viel. Spannend ist immer, was die Stadt ankauft. Ein paar Objekte bereichern schon das Stadtbild und bei vielen ist es so, dass sie irgendwann einfach dazugehören, sich die Frage nach Bedeutung nicht mehr stellt.

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    1. 64 Kunstwerke sind es bis jetzt, habe ich gelesen, die der Stadt von früheren Ausstellungen erhalten blieben. Ich bin auch gespannt, welche diesmal übrig bleiben – viele entziehen sich ja schon in ihrem Konzept einem Ankauf.

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  7. Ich finde das Stilleben mit Plastiksoßen auch am ansprechendsten. Gut gesehen und noch besser festgehalten, faszinierend.
    Vielleicht können wir der modernen Kunst immerhin noch zugute halten, dass sie den Blick schärft … Das wäre hier dann doch ein tolle Beispiel dafür.
    Beste Grüße
    Elisabeth

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    1. Freut mich!
      Du hast völlig recht, die Beschäftigung mit Kunst schärft den Blick. Und moderne Kunst – wenn wir bereit sind, uns darauf einzulassen – schult die Urteilsfähigkeit: Wenn wir ein Werk schlecht finden, sollte man gute Gründe haben. Einfach nur zu sagen: Das kann ich auch, das ist doch blöd, reicht nicht. Kunsthistoriker benutzen das Instrument des vergleichenden Sehens: Wie wirken Kunstwerke von anderen Künstlern aus der selben Zeit mit einem ähnlichen Instrumentarium und vergleichbarer Motivation? Wenn es um alte Kunst geht, ist es nicht soo schwer, wenn man das Wissen hat. Bei zeitgenössischer Kunst ist es ungleich schwieriger, dem jeweiligen Künstler gerecht zu werden.
      Viele Grüße!

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