Jeck im Sunnesching

Am Samstag war es soweit: Karneval im Sommer (ich hatte ja bereits davon erzählt), oder, wie die Veranstalter sagen: „Jeck im Sunnesching“. Die Feierwilligen hatten ja wirklich Glück mit dem Wetter, und so war alles möglich, was sie sich vorgestellt haben und was den Karneval ausmacht: Singen, tanzen, saufen bis zum Abwinken, die Hauseingänge vollpissen, Flaschen zerdeppern, in großen Haufen die Bürgersteige versperren, Sex haben mit Unbekannten (letzteres beruht auf Hörensagen). Ich vermute, die Veranstalter werden das als vollen Erfolg verbuchen, denn die beteiligten Wirte von über 100 Kneipen haben bestimmt guten Umsatz gehabt, und die Karnevalsmusiker haben bei Eintrittsgeldern bis zu 20 Euro sicher auch einen guten Schnitt gemacht.

Die traditionellen Karnevalsvereine finden es aber gar nicht gut, was hier passiert. Also jetzt nicht das Saufen etc., sondern daß ein Brauchtum sozusagen mißbraucht wird. Der Präsident der Roten Funken schreibt in der Vereinszeitung „Stippeföttche“ – der Begriff Stippeföttche bezeichnet eigentlich einen Vorgang innerhalb eines ritualisierten Aufmarsches von organisierten Vereinsmitgliedern: Uniformierte Karnevalisten reiben ihre Hinterteile aneinander; das hat angeblich keine sexuelle Bedeutung, gerade in der Schwulenhochburg Köln liegt der Gedanke ja nahe, daß sich einer der beiden umdreht, wenn sie sich warmgerieben haben, um … ja. Wo war ich – also der Präsident schreibt, das seien Marketingstrategien einer profitorientierten Gastronomie und Veranstaltungs- und Kostümbekleidungsindustrie. Un-er-hört! Weiß doch jeder, daß der Karneval im Winter eine völlig selbstlose Angelegenheit ist, von der die beteiligten Karnevalsvereine und ihre Mitglieder auch nicht den kleinsten persönlichen Vorteil haben. Ein Brauchtumsforscher hat eine noch schrecklichere Entdeckung gemacht: Der Karneval werde seinem Kontext entrissen, nämlich der religiösen Tradition der Fastenzeit. Karneval ist also eigentlich ein religiöses Fest, wie Weihnachten – da geht es schließlich auch nicht ums Geschäftemachen …

Ich mußte lachen, als ich das las – trotz oder wegen der enormen Heuchelei, ich weiß es nicht genau.

23 Gedanken zu “Jeck im Sunnesching

        1. Videbitis

          Vielleicht muß man es nicht ganz abschaffen. Karneval sollte man für Kinder reservieren, finde ich. In Norddeutschland, wo ich aufgewachsen bin, sind die verkeideten Kinder Karnevalsdienstag durch die Geschäfte gegangen, haben was gesungen und Süßigkeiten dafür bekommen, so wie im Rheinland zu St. Martin. Und wenn es unbedingt sein muß: Die „KG Waterkant“ hat einen Rosenmontagsumzug organisiert, der dauerte zwei Sunden, dann sind die Beteiligten in einer Kneipe versackt und blieben unter sich. Das ist doch in Ordnung.

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  1. Aber im Sunneschin sind doch die leicht bekleideteten Funke- und andere Mariesche viel netter anzusehen! Ist doch so einfach…it’s all about sex. Und seit wann hat dat wat mit Jeld zu dun!

    Ansonsten darf ich mal Mosis Kommentar erweitern: Einmal im Jahr ist schon zu viel!

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    1. Videbitis

      Gimme five – die Antwort ist mir auch sofort eingefallen.

      Ja, wenn sich das weiter entwickelt, gibt es auch bald Umzüge, mit spärlich bekleideten Brasilianerinnen auf den Wagen, die Samba tanzen. Dann sind bestimmt auch die alten Herren der roten und blauen Funken dabei – es gibt eben Argumente, denen man nichts entgegenzusetzen hat *sabber, lechz*.

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  2. Mier laache ons kapott, dat nennt mer Sunnejeck
    Mier laache ons kapott, dat nennt mer schön, …
    Wenn im Zelt de Möcke un de Hummele uns verjöcke….
    das passt doch sowieso besser in den Endsommer,
    mit Wespenplage und so.

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    1. Videbitis

      Hey, noch eine Strophe, und Brings hat den Text für ein neues Lied, eine Zeile kann auch lauten „mer sin alle Sackjeseechter“, das macht nichts, die Leute singen das begeistert mit.

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  3. christahartwig

    Naja, Karneval (Fleisch ade!)… In einer Gesellschaft, in der immer mehr Menschen zu Vegetariern oder gar Veganern werden, wird vielleicht die Vorstellungen von Fastenzeit und die von der Notwendigkeit, vorher noch mal auf den Putz zu hauen, auch immer diffuser. Ein Anlass für ein Event wird doch heutzutage ständig vom Zaun gebrochen. Warum muss es denn ein sommerlicher „Karneval“ sein?

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    1. Videbitis

      Damit die Karnevalsmusiker nicht ein ganzes Jahr warten müssen, bis sie wieder was verdienen können. Außerdem hoffen die Wirte auf den Massensog, den Karneval auslöst, es gibt sonst kein Event in der Stadt, das dermaßen viele Leute animiert, sich zu betrinken.

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      1. christahartwig

        Ich hatte ja schon mal geschrieben, dass etwas in Richtung Loveparade auch massenhaft Volk auf die Beine bringt. Nun hat leider die Katastrophe in Duisburg gezeigt, dass nicht jede Stadt mit diesem Massenandrang zurecht kommt. Aber sollte trotz zahlreicher erfolgreicher Veranstaltungen in Berlin die Idee endgültig verbrannt sein? Ich weiß ja, wir Deutschen streuen uns gerne Asche aufs Haupt, und in dem einen oder anderen Fall ist das auch angebracht… und nach dem Karneval folgt eben der Aschermittwoch.

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        1. Videbitis

          Als der damalige Papst zum Weltjugendtag in Köln war, war die Stadt auch gepackt voll, aber die Wirte haben schön blöd geguckt, denn die jungen Gäubigen waren nicht zum Saufen in die Stadt gekommen und hatten überwiegend auch nicht viel Geld. Eine Art Love Parade, die nicht so richtig ins Kneipenkonzept paßte.
          Duisburg hat die Stadtverwaltungen wirklich traumatisiert, die Sicherheitsvorkehrungen selbst bei kleinen Veranstaltungen, bei denen die Stadt beteiligt ist, sind immens.

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      2. christahartwig

        Hast Du jetzt kneipentechnisch gerade einen Vergleich zwischen Loveparade und Kirchentag gezogen? Also … Nächstenliebe kann bei der Liebe ja auch mit dabei sein, aber …
        Gut, da ich weiß, dass Du zum Karneval eher aus Köln flüchtest, und ich zum Karneval NIE nach Köln (oder sonst wohin) fahren würde, sind wir vielleicht die Falschen, uns den Kopf darüber zu zerbrechen, welcher Mummenschanz Geld in Wirtshauskassen spülen könnte, ohne dem Karneval sein Alleinstellungsmerkmal streitig zu machen.

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  4. awtchen

    Servus!

    Bald ist in München auch wieder „Karneval“. Oktoberfestkarneval.
    In/Mit Lederhose und Dirndl wird kollektiv gesoffen, gebrunzt und gekotzt.
    Ausgezeichnet dokumentiert – Hier: http://tinyurl.com/l8b2nu
    Ich frage mich immer wieder, weshalb die Stadt München kein Interesse
    zeigt, solche Fotos (wie verlinkt) auf der Homepage vom Fremdenverkehrs-
    büro zu publizieren. Die Veranstalter bzw. die Bierzeltwirte könnten damit
    wunderbar werben, wie spassig doch Alkoholkonsum ist. Hahaha…
    Abertausende „Bierleichen“ können sich nicht irren! Selbstverständlich
    wird auch die deutsche Drogenbeauftragte Marlene Mortler der bajuwarischen
    Politprominenz mit einer Maß Bier zuprosten.Laut ihrer Aussage ist ja
    schließlich Alkohol eine eingebürgerte Droge. (Kiffen schlecht&böse.)
    Na dann… Ein Prosit, ein Prosit, auf Bier, Suff und Karneval!

    Gruß aus der guten Stube!..;-)

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    1. Videbitis

      Uah – was für eine Sammlung! Ich war einmal zur Oktoberfestzeit in München, habe es aber gemieden. Bekannte von mir waren neugierig, kamen aber um 18 Uhr schon wieder zurück zur Unterkunft, sie waren so knülle, daß sie sich sofort ins Bett legten. Tja, so kann man seinen Urlaub auch verbringen.

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    1. Videbitis

      Sooo schlimm ist es auch nicht, aber auch nichts, was ich mir wünschen würde, Karneval zu allen Jahreszeiten.
      Warte ab, wenn es sich weiter so entwickelt, wie ich befürchte, haben wir bald einen zweiten Rosenmontagsumzug, mitten im Sommer. Und dann berichtet bestimmt auch das Fernsehen darüber.;-)

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