Clarenbachstr., Sachsenring

Wer mit starrem Blick zu jeder freien Minute aufs Smartphone schaut, was die „Freunde“ bei Facebook gerade machen, wundert sich vielleicht eines Tages, daß er gar keine lebendigen Menschen mehr kennt. Kein Problem, auch dafür gibt es Abhilfe: Man stellt sich einfach ein paar Pappkameraden auf den Balkon, die sind sehr sparsam beim Sonntagskuchenessen und widersprechen nicht, wenn man ihnen was erzählt.

Und wenn man mal jemanden zum Grillen braucht, gibt’s die Gesellschaft auch in der wetterfesten Version.

Die Klagen über die Anonymität der Großstadt, die immer mal wieder laut werden, wenn man einen Verstorbenen in seiner Wohnung gefunden hat aufgrund des Geruchs vier Wochen nach dem Ableben, halte ich für überzogen: Ich sehe die Anonymität eher als Gnade. Die Kleinstadt, in der ich aufgewachsen bin, kam mir – zumindest als Jugendlicher – eher vor wie ein Übrwachungsstaat. Natürlich ist in der Großstadt der Anschluß an andere nicht so automatisch gegeben wie auf einem Dorf, dafür kann man sich die Leute, mit denen man zusammensein will, selbst aussuchen: Wer Kontakte braucht, geht in einen Verein oder bemüht sich (wie übrigens 30% der Deutschen) um ehrenamtliche Tätigkeit, und wenn einem die Leute da nicht passen, geht man halt woanders hin. Seine Dorfmitbewohner kann man nicht so leicht wechseln.

0 Gedanken zu “Clarenbachstr., Sachsenring

  1. Ich klau immer im Kino die Pappaufsteller und behaupte dann, meine Freunde wären alle berühmt :.

    In meiner Heimatstadt hatten wir vor Kurzem ein „Männchen-Phänomen“. An den Straßen tauchten -scheinbar aus dem Nichts- kleine Figuren aus (ich erinnere mich nicht so gut) Sperrholz auf. So Keith-Haring-Mäßige Männchen halt. Lange Zeit wusste keiner, wo sie herkamen oder wer sie aufgestellt hatte, war aber dann irgendein Künstler (Memo an mich: muss das nochmal recherchieren!). Der Hype hat sich aber gehalten!

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  2. Hi Videbitis,

    hat sicher alles Vor-und Nachteile.
    Dorf und Großstadt.

    Ein Dorf mit Anonymität wäre sicher prima… 🙂

    LG mosi

    PS: Das verschwommene um den Handyrand herum, nennt man Leben… ;D
    Fiel mir grade bzgl. ständig aufs Handy starren und so ein.

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  3. Als meine Freundin Ende der Sechziger nach Frankfurt/M. (!!!) zog, schrieb sie mir, wie sehr es sie nervt, wenn sie auf dem Heimweg von der Arbeit an der Metzgerei vorbei muss, und der in der Ladentür stehende Metzger schon von Weitem lächelt und grüßt. Das war uns Berlinern zu kleinstädtisch, zu wenig der von uns so hochgeschätzten Anonymität der Großstadt.

    Ich glaube, es ist auch eine Frage des Alters. Die meisten jungen Leute bevorzugen die Anonymität, und je älter man wird, desto mehr lernt man ihre Nachteile kennen. An dieser Situation haben die Smartphone und die Jahre nichts Wesentliches geändert. Dass man seine Nachbarn nicht mehr kennt, hat mehr mit neuen Wohnmodellen, Arbeitsmodellen und Familienmodellen zu tun. Früher waren die Hausfrauen auch der Kitt in einer Nachbarschaft. Mit wem sonst hätten sie sich unterhalten sollen? Eingekauft wurde in Wohnnähe, heute dagegen oft in der Nähe des (manchmal recht weit entfernten) Arbeitsplatzes oder unterwegs, beim Umsteigen. Treue zu bestimmten Geschäften gibt es kaum noch in Zeiten der Schnäppchenjagd. Dabei wird vergessen, dass alles seinen Preis hat, und dass man ihn auf die eine oder andere Art auch immer bezahlt. Wie sollte jemand vermisst werden, den man ohnehin nur sporadisch sieht und nicht namentlich kennt?

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  4. Es gibt nur eine Möglichkeit, andere Leute kennzulernen, wen man das unbedingt will: Rausgehen. Und in der Großstadt gibt es vergleichbar mehr sich anbietende Gelegenheiten: Nachbarschaftshilfen, Stadtviertel-Treffen, Parties, Straßenfeste, Kontaktbörsen für gemeinsame Aktivitäten usw.

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  5. Hey, gute Idee! Auf die Art kann man sich mit Frankenstein (also dem Monster) und Marilyn gleichzeitig unterhalten (wenn der Kölner von Unterhaltung spricht, ist damit meist gemeint, daß er erzählt, die anderen hören zu … oder auch nicht, das ist dann eigentlich auch egal, hauptsache, man kann erzählen ;-).

    Meinst du die?
    http://www.rp-online.de/nrw/staedte/viersen/das-ist-der-vater-der-bunten-maennchen-aid-1.5033015
    In Köln sollen ja auch welche stehen, aber ich habe noch keine gesehen. Mal schauen, vielleicht finde ich noch welche.

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  6. Klar, Vor- und Nachteile, und vor allem kommt es natürlich darauf an, was man will. Für viele Leute kommt das Leben in der Großstadt einfach deswegen nicht in Frage, weil da zu viele Menschen sind – ein Einwand, den ich zunehmend nachvollziehen kann. Aber wenn ich mir vorstelle, ich müßte an den Stadtrand ziehen mit seiner kleinstädtischen Atmosphäre, graust es mich.

    Ich habe gehört, daß sich von zu viel Smartphonebenutzung die Augenfunktionen ändern sollen: Die Pupillen können nur noch auf Armlänge fokussieren, darüber hinaus wird alles unscharf, egal, ob man gerade aufs Handy schaut oder nicht. Schlimm! Kann aber auch nur ein Gerücht sein. B)

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  7. Das kann ich mir gut vorstellen: Neben Berlin gibt es doch kaum eine deutsche Großstadt, die diese Bezeichnung auch wirklich verdient, vielmehr sind es mehr oder weniger zufällige Zusammenballungen von Dörfern, die durch Eingemeindungen immer größer wurden, während der dörfliche Charakter in den nun Vierteln (Veedel, Kiez) genannten Teilen oft erhalten bleibt. In Köln ist man sehr, sehr stolz darauf, Lieder wie „In unserm Veedel“ und „Drink doch ene mit“ beschwören und feiern diesen wärmenden, umarmenden Zusammenhalt – mir geht diese kitschige Sozialromantik eher auf den Wecker.

    Stimmt, der flexible Mensch geht in den Geschäften einkaufen, die auf seinen Wegen liegen, und da die immer länger werden …
    Ich beobachte aber auch eine Art Gegenbewegung: Die Leute treffen sich abends am oder im Kiosk, trinken Kaffee aus dem Kaffevollautomaten oder Bier und quatschen und rauchen. Aber vielleicht ist das auch spezifisch für Köln, von meiner Wohnung aus kann ich innerhalb von 10 Minuten zwischen ca. 10 Kiosken wählen (frag mich nicht, wie die alle überleben können).

    Ob Smartphones dazu beitragen, daß die Menschen mehr vereinsamen, kann man tatsächlich nicht sagen, jedenfalls nicht ohne Untersuchung; aber das Bild ist so hübsch: Sechs Leute, die leicht verstreut vor einer Tür stehen und alle in ein Handy quasseln – wäre ich ein Maler, würde ich Beziehungslosigkeit und Oberflächlichkeit so darstellen.

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  8. Servus!

    Du kannst dich ja sicher auch noch an die Walkman-Ära erinnern.
    Sehr viele Jugendliche und Twens hatten dabei Kopfhörer auf.
    Ob zu Fuß, beim Joggen, beim Fahrradfahren, beim Klönen auf der Parkbank.
    HNO-Ärzte warnten vor Hörschäden, Pressesprecher der Polizei forderten
    ein Verbot von Kopfhörer im Straßenverkehr. Soziologen und Psychologen
    warnten vor „Verkapselung“. Tja… Heute sind es die Smartphone-Nutzer.
    Was für ein Schmarrn! Was wohl in 10/20 Jahren diskutiert/kritisiert wird,
    für soziale Vereinsamung herhalten muss? Lassen wir uns überraschen..;-)
    (Ich persönlich boykottiere diese Kleincomputer, weil es auch Taschenwanzen
    sind. Von mir werden weder Geheimdienste, Behörden, Internetdienste,
    Shopbetreiber etc. Bewegungsprofile erstellen. Kein Lokalisieren möglich.
    Kein Konsumverhalten von mir wird getrackt. Verzicht hat auch Vorteile.)

    Gruß aus der guten Stube!..;-)

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  9. Aber Groß-Berlin ist ja auch aus Dörfern zusammengewachsen, nur war da vorher schon ein städtischer Kern, und der war eben als „Kaiserstadt“ angelegt mit Prachtstraßen und allem Pipapo. Und Du hast schon recht: Berlin ist auf enorm großen Flächen Großstadt geworden, und die ehemaligen Dorfkerne in den einzelnen Bezirken nehmen sich geradezu possierlich aus.

    Das Bild von Leuten, die alle in ihr Handy quasseln und ihr Umfeld kaum noch wahrnehmen, erscheint aber nur dem physisch präsenten Nebenstehenden wie ein Symbol der Vereinzelung. Hopper hat urbane Einsamkeit gemalt. Stell Dir seine Figuren mit Smartphone vor, und es bliebe nichts von der Einsamkeit. Tatsächlich ist nur der nicht ins Handy Quasselnde vereinzelt, die anderen kommunizieren ja – nur eben anders. Und so, wie ich in jungen Jahren es gehasst hätte, in einer Kleinstadt zu leben (unter Beobachtung der Altvorderen zu stehen war ja schon schlimm genug), so hätte ich es auch gehasst, am elektronischen Gängelband zu hängen – immer erreichbar. Im Grunde schafft sich heute jeder sein eigenes Dorf. Dass alte Leute vier Wochen tot in ihrer Wohnung liegen, hat damit zu tun, das sie an diesem elektronischen Dorf nicht teilhaben. Unsereiner kann keinen Tag tot irgendwo liegen, ohne von jemandem vermisst zu werden, der gleich zehn Freunde anruft, ob die was von einem gehört haben oder wissen, warum man nicht ans Telefon geht und SMS nicht beantwortet.

    Will sagen: Die Leute, die miteinander telefonieren und SMS tauschen, die treffen sich auch real. Um deren Vereinsamung mache ich mir keine Sorgen. Bei manchen Bloggern mag es anders sein. 100 Freunde in einer Community zu haben aber keinen, der einem frisches Obst bringt, wenn man mit einer Erkältung im Bett liegt, das ist Einsamkeit – um nur ein wenig dramatisches Beispiel anzuführen.

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  10. Rheinländer sind generell gute Alleinunterhalter :>>

    Jap, ganz genau :yes: Das hat die Leute daheim eine ganze Weile ganz schön auf Trab gehalten.

    Übrigens: ich finde es richtig besch…eiden, dass man bei RP Online nur noch 10 Berichte im Monat lesen kann, und wenn man mehr lesen möchte, muss man ein Abo bezahlen. Bis vor Kurzem habe ich 10 Berichte am Tag gelesen (man will ja informiert sein über das, was Zuhause geschieht) – mittlerweile überlege ich mir mehrmals, welchen Link ich noch anklicke, um mein begrenztes Kontingent nicht vorschnell aufzubrauchen. Ausnahmsweise muss ich da der Blöd-Zeitung zugute halten, dass die ihren Online-Bezahl-Dienst größtenteils auf irrelevanten Gossip-Quatsch beschränken, und die „normalen“ Sachen kann man immer noch lesen.

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  11. Das finde ich allerdings auch, nach dem Motto: Hier möchte ich nichtmal begraben sein, aber für Urlaub ist es ganz schön.

    Wenn Du mich so fragst: Nee (habe ich mir ausgedacht; jemandem, der im Dunkeln eine Sonnenbrille trägt, ist nicht zu trauen ;-).

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  12. Stimmt, „wer redet, ist nicht tot“, wie es in einem Gedicht von Gottfried Benn heißt. Ich habe mal einen Sketch gesehen, in dem zwei Leute miteinander handyfonierten, die Kamera schwenkte langsam zurück, bis man sah, daß die beiden sich in einem Biergarten an einem Tisch gegenübersaßen. In meiner Vorstellung sind Leute, die permanent am Telefon hängen, traurige Quasselstrippen, die mit ihrem Gerede die Wirklichkeit zu erzeugen suchen, in der sie leben wollen. Aber wahrscheinlich habe ich Unrecht: Ich telefoniere total ungern. Deshalb kann ich mir auch gut eine Hopperfigur mit einem Handy vorstellen, ohne daß die Wirkung auf mich verloren ginge.

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  13. Seit es Handies gibt, häufen sich die Verkehrsunfälle mit ungeklärter Ursache, man nimmt an, daß viele davon auf SMSen während der Fahrt zurückzuführen sind – diese Deppen! In zehn bis zwanzig Jahren gibt es wahrscheinlich diese Brillen, die man manchmal heute auch schon in der Werbung sieht, dann aber voll ausgereift: Während man einen Tanklaster mit chemischer Beladung über die Autobahn kurvt, kann man mit dem linken Auge einen Kinofilm sehen („Ironman 12“), während das rechte auf den Verkehr achtet und halbransparent im Internet surft. Lieber wäre mir allerdings, wenn mich mein Fahrrad selbsttätig durch die Stadt bringen würde, damit ich nebenbei in einem Buch lesen kann. Oder ein Bier trinken.

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  14. Ich habe mal – live und in Farbe – miterlebt, wie zwei Kollegen – in der Mittagspause einander am Tisch gegenübersitzend – miteinander telefonierten, und das erst nach ca. drei Minuten merkten. Einer hatte sich verwählt. Das war total lustig und passierte schon vor etlichen Jahren.

    Es ist eine interessante Überlegung, was Hopper heute malen würde. Hätte er überhaupt dasselbe Thema?

    Interessant: Wir haben mal in einer Theaterwerkstatt für Schüler ein kleines Stück aufgeführt, das die Schüler selbst entwickelt hatten. Dabei ging es um die exzessive Nutzung des Handys. Und das Problem. das die Youngsters dabei herausgearbeitet haben, war, dass am Handy ständig gelogen wird.

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