Cäcilienstr.

Wer von all den vielen Menschen auf den Märkten genug hat, dem kann ich einen Geheimtipp geben (ich glaube, noch ist es einer): Durch den Neubau des Rautenstrauch-Joest-Museums (für Völkerkunde) ganz in der Nähe des Neumarkts ist ein kleiner Innenhof entstanden, in dem das Museum ein kleines Café betreibt. Kaffee und Kuchen sind keine Highlights, aber ganz okay, und man ist mal raus aus dem Gewühl.
In direkter Nachbarschaft befindet sich die romanische Kirche St. Cäcilien, die das Schnütgen-Museum beherbergt, an dem zugemauerten Tor kann man einen echten Naegeli bewundern.

Der Schweizer Harald Naegeli wurde Ende der 70er als „Sprayer von Zürich“ bekannt. Seine Graffiti-Zeichnungen waren ein poetischer Protest gegen die Zubetonierung und Verschandelung der Umwelt. Anfang der 80er wurde er erwischt und zu neun Monaten Gefängnis verurteilt – völlig unverhältnismäßig, aber der Richter wollte zur Abschreckung ein „Exempel statuieren“. Tja, die saubere Schweiz – die Unterstützung von milliardenschwerer Steuerhinterziehung weltweit ist okay, Strichmännchen sprayen dagegen ein schweres Verbrechen. Naegeli floh nach Köln, wurde aber später an der dänischen Grenze verhaftet und ausgeliefert. Trotz internationaler Proteste von Künstlern und Politikern mußte er seine Strafe absitzen.
In Köln sprayte er in einer Nacht einen Totentanz-Zyklus, ein Sujet mit einer Tradition seit dem Mittelalter, die Stadtreinigung entfernte die meisten der Werke jedoch bereits am nächsten Tag. Dieses an der Kirche wurde übersehen. Nachdem Naegeli es (unfreiwillig) zu internationaler Anerkennung gebracht hatte, besann man sich im Stadtrat und versiegelte die Zeichnung zum Zweck der Konservierung. Seitdem taucht sie in jedem Stadtführer auf. Sogar in Zürich hat man inzwischen einige seiner Werke restauriert.

0 Gedanken zu “Cäcilienstr.

  1. Wirklich ein schönes Plätzchen.

    Ich wünsche Dir ja grundsätzlich viele Leser, aber… 😉

    Wo sind eigentlich die Künstler hin, die früher so hingebungsvoll mit Kreide gemalt haben? Nicht mal Kinder malen mehr mit Kreide auf der Straße. Neulich sah ich in einer verkehrsberuhigten Wohnstraße straßenbauamtlicherseits auf den Gehsteig appliziert „Himmel und Hölle“. Wie öde!

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  2. Gut, ich gebe zu, so viele sind’s nicht. Jedenfalls nicht aus Köln. 😉

    Ja, das ist mir auch schon aufgefallen, die Pflastermaler werden immer weniger, stattdessen werden die „living dolls“ immer zahlreicher. Und Kinder spielen Himmel und Hölle wahrscheinlich nur noch auf dem iPhone – und werden dick und fett dabei.

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  3. nee, auf dem land gibt es noch ganze straßen mit kreidewelten — was für eine schönes exemplar, der naegeli — hatte ich schon wieder ganz vergessen — gut, dass sich die wahrnehmung bzgl. graffiti zumindest partiell geändert hat —

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